Begegnung
mit den
Jungen
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Bewertung:
Das Staatsorchester Stuttgart hat einmal mehr bewiesen, was es von Orchestern unterscheidet, dessen Mitglieder sich außer durch exorbitante Gagen und das Renommee ihres Ensembles durch Arroganz und Größenwahn auszeichnen: Es blickt auf den „Nachwuchs“ nicht herab, sondern betrachtet ihn als Partner, als die Künstler, die es in Zukunft beerben werden. Beim fünften Sinfoniekonzert der Saison lud es für eine der zwei Aufführungen, nicht zum ersten Mal, das Landesjugendorchester Baden-Württemberg ein, um gemeinsam mit ihm Beethovens Leonore-Ouvertüre Nr. 3 zu interpretieren und ihm zum Abschluss des Konzerts die Bühne der Liederhalle für Strawinskys zweite Feuervogel-Suite von 1919 zu überlassen. Dazwischen spielte das Staatsorchester unter der Leitung des britischen Dirigenten mit zypriotischem Hintergrund Kerem Hasan und mit Alexander Melnikov am Klavier Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini und Edward Elgars Enigma-Variationen. Das LJO, dessen Mitglieder zwischen 13 und 19 Jahren alt sind, wurde bei der Feuervogel-Suite von Johannes Klumpp dirigiert.
Dass die Leonoren-Ouvertüre durch die monumentale Besetzung ästhetisch gewonnen hätte, kann man allerdings nicht behaupten. Der Wert der Orchesterbegegnung war ein sozialer, nicht ein künstlerischer. Die Paganini-Variationen spielten Melnikov und das Staatsorchester leicht, tänzerisch. Sie demonstrieren, ähnlich wie Pachelbels berühmter Canon per 3 Violini con Basso continuo, was man mit begrenztem Material machen kann. Das Hauptthema gipfelt im Pathos eines zweiten Themas, eines Dies irae, und endet furios in Tonmalerei, die irgendwo zwischen Mussorgski und der Filmmusik der vierziger Jahre zu lokalisieren ist.
Wenn ein Brite ein Konzert dirigiert, steht fast zwangsläufig Benjamin Britten oder Edward Elgar auf dem Programm. Schließlich hat England nach Purcell darüber hinaus außer Ralph Vaughan Williams, vielleicht noch Gustav Holst, kaum Komponisten der ersten Garnitur anzubieten. In seinen Enigma-Variationen weicht Elgar vom (eigenen) Thema viel weiter ab als Rachmaninow von Paganinis Vorgabe. Beeindruckend ist Elgars Instrumentierungskunst. Kerem Hasan bringt sie zum Vorschein, dirigiert mit großen, aber plausiblen Gesten, berücksichtigt die Lautstärken, die Crescendi und die Diminuendi äußerst differenziert.
Im Feuervogel erweist sich das LJO, auf sich allein gestellt, als erstaunlich professionell, mit wenigen Restschwächen. Das Fagottsolo, die Berceuse, klingt nicht so abgrundtief traurig, wie wir sie aus wegweisenden Aufnahmen seit Pierre Monteux kennen, und dem Blech unterlaufen noch kleine verzeihliche Patzer.
Bleibt die Frage, ob man die jungen Musiker aus dem Jahr 2025 tatsächlich den Zwängen einer überholten Kleiderordnung unterwerfen muss. Sie spielen ohne Smoking und Fliege sicher genau so gut.
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Thomas Rothschild – 27.April 2025 ID 15244
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/haus/menschen/staatsorchester-stuttgart/
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