Besonders
"ersterbend"
Mahlers Neunte mit den Berliner Philharmonikern
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Kirill Petrenko | Foto (C) Chris Christodoulou
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Bewertung:
Kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war, erlebte ich (bei meinem allerersten Aufenthalt in der Philharmonie Berlin!) die Neunte von Gustav Mahler, die das Deutsche Symphonie-Orchester damals (10/2000) musizierte; es dirigierte - 25 Jahre ist das her - der zu dieser Zeit gerade als neuer Chefdirigent des DSO amtseingeführte Kent Nagano; ich erinnere mich an dieses Konzert, das in der Tat mein aller-allererstes in dem legendären Westberliner Hans-Sharoun-Bau war, mit inbrünstiger Ehrfurcht.
Zuletzt hatte ich Mahlers 9. Symphonie 2016, mit dem Gustav Mahler Jugendorchester unter Philippe Jordan, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt erlebt; und das ist auch schon wieder fast zehn Jahre her.
Nun wurde es demnach mal wieder Zeit, sie live zu hören:
Die Berliner Philharmoniker spielten sie gestern Abend, und es dirigierte Kirill Petrenko - beide werden hiermit in der kommenden Woche in Amsterdam, Brüssel, Köln und Essen gastieren.
"Mit ihren vier Sätzen, rein orchestral ohne Gesang, bewegt sich die Symphonie auf den ersten Blick in üblichen Bahnen. Allerdings sind die Außensätze nicht nur außerordentlich lang, sondern noch dazu beide in langsamem Tempo gehalten; nur die Binnensätze kommen gemessen bis zügig daher. Arnold Schönberg meinte, das Werk sei 'nicht mehr im Ich-Ton gehalten', als ob es 'noch einen verborgenen Autor gebe, der Mahler bloß als Sprachrohr benützt hat'. Das bestätigen besonders die beiden mittleren Sätze: Sie beschwören volkstümliche Tänze und Formen (Ländler und Walzer im zweiten, vertrackte Fugati im dritten), teils verfremdet, teils verzerrt – von 'grimmiger Lustigkeit' sprach der mit Mahler vertraute Dirigent Willem Mengelberg. Andererseits klingen der erste und letzte Satz auf eine fast schmerzvolle Weise intim, als läge jemand sein Innerstes offen, sich schutzlos der Mit- und Nachwelt ausliefernd." (Quelle: berliner-philharmoniker.de)
Petrenko ging die beiden Ecksätze (Andante comodo und Adagio) mehr unsentimental und allzu zügig an; ich gewann sofort den Eindruck, als ob er mir das, was ich "normalerweise" bei diesen beiden allein von ihrer Dauer her ziemlich ausufernden Großmusiken bisher zu hören gewohnt war, ein für alle Mal austreiben wollte. Sein dirigentischer Ansatz schien demzufolge auf Ernüchterung, vielleicht sogar Entkitschung aus zu sein. Und insbesondere im Falle jenes unendlich sich gebenden Ersterbungstons (des Adagissimos am Schluss der Sinfonie) hätte er, falls er bei seinem anfänglichen Entsentimentalisierungsgebaren geblieben wäre, aufs Entnüchternde recht behalten wollen - doch er änderte "sich" zum Finale hin geradezu abrupt: Ich gestehe, dass ich jene (lt. Mahlers Spielanweisung als "ersterbend" bezeichneten) letzten Worte dieser Sinfonie noch nie zuvor in so einem leisen und immer leiser werdenden Ausgehauchtsein gehört zu haben meinte wie an diesem Abend. Überirdisch!
Das Dazwischen (Im Tempo eines gemächlichen Ländlers und Rondo-Burleske) machte den Eindruck, als ob es für Petrenko hinsichtlich Gesamtstruktur und ganzheitlicher Stimmung dieser letztvollendeten Mahlersinfonie das für ihn "Wichtigere" und Herausarbeitungswürdigere gewesen wäre; und so sah und spürte man, mit was für einer Lust & Laune er der totentänzerischen Ironie und/ oder auch Mahlers Zitatefreudigkeit (Lehars "Das Studium der Weiber ist schwer", als Beispiel nur) zu begegnen wusste und wie die von ihm derart enthusiasmierten Philharmoniker speziell in diesen beiden Mittelsätzen schier aus sich heraus zu explodieren drohten. Auch gab es fulminate Einzel-Soli, deren abgehobenstes vielleicht dann das von Solobratschist Diyang Mei (!) gewesen war.
Alles in allem: gewöhnungsbedürftig und beeindruckend zugleich.
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Andre Sokolowski - 15. Mai 2025 ID 15266
BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 14.05.2025)
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-philharmoniker.de
https://www.andre-sokolowski.de
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