Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 5

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Konzertkritik

Das Ei des Kolumbus



Bewertung:    



Auf Schumann, Brahms und Tschaikowski folgte der vierte große Sinfoniker des 19. Jahrhunderts. In der Doppelausgabe der Sinfoniekonzerte des Staatsorchesters Stuttgart im Mai dirigierte Cornelius Meister die vier „großen“ Sinfonien von Felix Mendelssohn-Bartholdy, also ohne die mit der Nr. 5 eingeordnete später veröffentlichte Sinfonie in d-Moll. Und einmal mehr bewährte sich das Konzept, einen erweiterten Blick auf das Schaffen eines Komponisten zu werfen. Es ist der Gegenentwurf zum Prinzip des Klassik Radios, das mit banausischem Kunstunverständnis auf die Ungeduld heutiger Musikkonsumenten setzt und selbst Einzelwerke zerstückelt, als bekäme man eine Ahnung von Michelangelos David, wenn man dessen Penis abbildet.

Das freilich war noch nicht das Ende der Saison. Den krönenden Abschluss zelebrierte der zu Recht gefeierte Dirigent, der im kommenden Jahr Stuttgart wegen eines die Orchestermusiker betreffenden finanziellen, nicht künstlerischen Dissenses mit dem Intendanten der Staatsoper und dem geschäftsführenden Intendanten der Staatstheater verlassen wird, mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 8 Es-Dur, die ungefähr so lang ist wie drei Sinfonien von Mendelssohn-Bartholdy zusammen.

*

Mahlers 8. Sinfonie ist ein Werk der Superlative. Dies zusammen mit der Selbsteinschätzung des Komponisten, dass sie sein „wichtigstes Werk“ sei, ist wohl für die anhaltende besondere Wertschätzung verantwortlich. Dabei spielt der pure Umfang von rund eineinhalb Stunden sicher eine Rolle. Normüberschreitungen ernten immer besondere Aufmerksamkeit. Das ist bei Mahlers Achter nicht anders als bei Robert Musils Mann ohne Eigenschaften so. Hinzu kommt, dass Mahlers Sinfonie von 1906 eine „gesungene“ Sinfonie ist, nicht in bloß einem Satz, sozusagen als Pointe, wie in Beethovens Neunter, oder wie in seinen eigenen früheren Sinfonien, sondern durchweg, von Anfang bis Ende. Das Programmheft zitiert den Komponisten:


"Hier [...] ist die Singstimme zugleich Instrument; der ganze erste Satz ist streng in der sinfonischen Form gehalten und wird dabei vollständig gesungen. Es ist eigentlich merkwürdig, dass niemand bisher auf diese Idee verfallen ist – es ist doch das Ei des Kolumbus, die Sinfonie an sich, in der das schönste Instrument, das es gibt, seiner Bestimmung zugeführt wird.“


Zu den zwei gemischten Chören, dem mehrfach ausgezeichneten hauseigenen Opernchor, und einem Knabenchor – in Stuttgart der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart – kommen acht Solisten, die Sopranistinnen Ricarda Merbeth, Simone Schneider und Natasha Te Rupe Wilson, die Mezzosopranistinnen Tanja Ariane Baumgartner und Maria Theresa Ullrich, der Tenor Benjamin Bruns (für den Rezensenten, mit Verlaub, der Primus inter pares), der Bariton Johannes Kammler und der Bass David Steffens. Sechs von ihnen waren bereits in Inszenierungen der Stuttgarter Staatsoper zu sehen. An hervorragenden Sänger*innen gibt es also am Ort keinen Mangel. Sollte Cornelius Meister, der acht Jahre lang des ORF Radio-Symphonieorchester Wien geleitet hat, zu einem Konzertorchester zurückkehren, werden sie ihm fehlen.

Meister dirigierte wie gewohnt konzentriert und subtil. Im ersten, kürzeren Teil hält er die Spannung im ausgedehnten Fortissimo. Dann, im zweiten Teil: diese ungemeine Zartheit, diese Zerbrechlichkeit, die nach einer knappen Stunde in eine weitere jubilierende Klimax mündet. Hier kommt zu Beginn das Orchester ohne Gesangsstimmen zum Zuge. Er lässt die einzelnen Abschnitte ineinander überfließen, hat stets das Ganze im Visier. Die Zeit vergeht im Flug. Waren das wirklich fast neunzig Minuten?

Am Ende steht Goethe, die Schlussszene seines Faust, mit Orgel. Eigentlich sehr deutsch, finden Sie nicht, Herr Wagner?



Staatsorchester Stuttgart | (C) Matthias Baus

Thomas Rothschild – 15. Juli 2025
ID 15366
STAATSORCHESTER STUTTGART (Liederhalle, 14.07.2025)
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 8 Es-Dur
Ricarda Merbeth, Simone Schneider und Natasha Te Rupe Wilson (Sopran)
Tanja Ariane Baumgartner und Maria Theresa Ullrich (Alt)
Benjamin Bruns (Tenor)
Johannes Kammler (Bariton)
David Steffens (Bass)
Kinderchor & Staatsopernchor Stuttgart
(Einstudierungen: Manuel Pujol und Bernhard Moncado)
Staatsorchester Stuttgart
Dirigent: Cornelius Meister


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/staatsorchester/


Post an Dr. Thomas Rothschild

Ballett | Performance | Tanztheater

Konzerte

Musiktheater

ROTHSCHILDS KOLUMNEN



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!    



Vielen Dank.



  Anzeigen:



MUSIK Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AIX-EN-PROVENCE

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

BAYREUTHER FESTSPIELE

CD / DVD

KONZERTKRITIKEN

LEUTE

LUDWIGSBURGER SCHLOSSFESTSPIELE

NEUE MUSIK

PREMIERENKRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

SALZBURGER FESTSPIELE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal




Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2025 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)