Theodorakis
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Schlagwörter wie Migration und Exil sind längst zu leeren Begriffen ohne Sinn und Verstand geworden. Man spricht sie aus, ohne dass sie irgendwelche Empfindungen auslösten. Wer in den siebziger Jahren miterlebt hat, wie Mikis Thedorakis zur Zeit der griechischen Junta mit seinen Musikern und Sängern, allen voran der charismatischen Maria Farantouri, mit Antonis Kalogiannis und mit Petros Pandis in überfüllten Hallen vor seinen Landsleuten aufspielte, die vor der faschistischen Militärdiktatur ins Ausland geflüchtet waren, der kann bezeugen, welch identitätsstiftende und ein Gemeinschaftsgefühl beschwörende Kraft seiner Musik innewohnt. Sie machte Mut, half, den Schmerz des Exils zu überwinden. Das war Volksmusik im emphatischen Sinn des Wortes.
Theodorakis wurde damals zum Symbol des antifaschistischen Widerstands. Politisches Handeln und künstlerische Produktion waren für ihn ein und dasselbe. Als er sich später, nach dem Ende der Junta, von seinem politischen Standort und von seinen einstigen Weggefährten entfernte, versank er allmählich auch künstlerisch in der Bedeutungslosigkeit.
Zur musikalischen Avantgarde kann man Mikis Theodorakis nicht rechnen. Mit seinem Rückgriff auf die griechische Folklore muss man ihn eher als Traditionalisten bezeichnen. Aber die glaubwürdige Symbiose von Kunst und Politik hat er über Jahre hinweg wie nur wenige realisiert.
Zu den bedeutendsten Kompositionen, die im Exil entstanden, zählt der Canto General zu Texten des chilenischen Dichters und Nobelpreisträgers Pablo Neruda. Die Gaechinger Cantorey hat ihn jetzt anlässlich des 100. Geburtstags von Theodorakis zur Aufführung gebracht. Der Ankündigung durfte man mit Skepsis begegnen. Immerhin verdankt die Gaechinger Cantorey ihren guten Ruf der historisch orientierten Pflege der Barockmusik im Allgemeinen und Bachs im Besonderen. Da führt kein gerader Weg zu Theodorakis.
Die Vorsicht erwies sich als überflüssig. Das Orchester ohne Streicher, dafür mit Bouzoukis und viel raffinierter Perkussion, machte seine Sache, ebenso wie der Chor, vorzüglich. Pathos – denn davon ist Theodorakis nicht frei – entsteht durch Crescendi und Ritardandi, Synkopen drängen die Musik voran.
Soll man nun sagen, dass die Kollektive von den beiden Solisten übertroffen wurden? Das wäre unfair. Daniel Ochoa ist ein Bariton von beträchtlicher Stimmstärke. Und Julia Böhme verfügt über eine wunderbare Altstimme, die wie für Theodorakis geschaffen scheint. Dabei klingt sie eher wie die Mexikanerin Mercedes Sosa als wie die große Theodorakis-Interpretin Maria Farantouri.
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Thomas Rothschild – 23. Juni 2025 ID 15323
GAECHINGER CANTOREY (Liederhalle Stuttgart, 22.06.2025)
Mikis Theodorakis: Canto Genera, Oratorium nach Gedichten von Pablo Neruda
Julia Böhme, Alt
Daniel Ochoa, Bass
Chor der Gaechinger Cantorey
Instrumentalensemble
Dirigent: Hans-Christoph Rademann
Weitere Infos siehe auch: https://www.bachakademie.de
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