Besuch aus Prag
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Foto (C) Pawel Swoboda
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Bewertung:
Von selbst versteht sich das nicht: Es gibt kaum ein bekannteres Werk von Franz Kafka, das nicht vertont worden wäre, von Gottfried von Einems Prozess, über Roman Haubenstock-Ramatis < i>Amerika, Albert Reimanns Schloss (eine von mehreren Opern nach diesem Roman), Salvatore Sciarrinos Vor dem Gesetz, bis zu einer weiteren Prozess-Variante von Philip Glass. Die Erzählung In der Strafkolonie diente dem Prager Studio Hrdinů (dem „Studio der Helden“) als Vorlage, die unter dem Titel Apparat jetzt im JOiN der Staatsoper Stuttgart gastierte.
Das Stück ist, etwas problematisch, als „Musiktheater“ angekündigt. Das aufwendige Bühnenbild von Pavel Svoboda zeigt inmitten von Barrieren einen erhöhten Glaskäfig mit dem „Apparat“, einer aufrechten Liege, über der die „Egge“ schwebt, deren Nägel sich als Folterinstrument in den Rücken des Angeklagten graben. Stichwörter wie „Schuld“ oder „gerecht“ weisen auf den uns vertrauten Kafka voraus.
Der Erzähltext mitsamt den Dialogen wird über Lautsprecher, beim Gastspiel in deutscher Sprache, von der deutschen, zurzeit aber vorwiegend in Prag arbeitenden Regisseurin Katharina Schmitt gesprochen und von asynchronen Aktionen der vier Darsteller begleitet. Hier manifestiert sich die etablierte Tradition der tschechischen Pantomime, für die Ladislav Fialka so maßgeblich war wie Marcel Marceau für die französische. Musikalisch wird vorerst sparsam elektronische Geräuschmusik des deutschen Komponisten Christoph Wirth beigesteuert.
Erst nach 30 Minuten ertönt Gesang, den man in einer „Jungen Oper“ erwartet. Wirths Komposition ist eklektisch, mit sehr unterschiedlichen, elektronisch verfremdeten Elementen von Vokalclustern, Anklängen an Kirchengesänge und an Arvo Pärt, mit Perkussion und Annäherungen an tonale Popmusik.
Die Freude wäre ungetrübt, wenn die Theaterleute endlich begriffen, dass an die (noch dazu schwarze) Wand projizierte Übertitel für die Katz sind, wenn Scheinwerfer die Zuschauer blenden.
Am Schluss triumphiert auch in Prag das Mitmachtheater. Dem Publikum, das begierig danach greift, als hätte es eine Irrfahrt durch die Wüste hinter sich, wird Tee angeboten, und es wird auf die Bühne eingeladen. Plötzliches Ende, freundlicher Applaus für die tschechischen Künstler, deren deutsches Leitungsteam sich nicht verneigt. Ein Gastspiel ist halt keine Premiere. Oder war es Taktgefühl gegenüber ausländischen Gästen? Das hätte etwas für sich.
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Foto (C) Pawel Swoboda
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Thomas Rothschild - 17. Oktober 2025 ID 15517
APPARAT (Nord-JOiN, 16.10.2025)
Musiktheater nach Franz Kafka
Regie: Katharina Schmitt
Bühne: Pavel Svoboda
Kostüme: Patricia Talacko
Musik: Christoph Wirth
Dramaturgie: Ján Šimko
Mit: Ivana Uhlířová, Jakub Gottwald, Pasi Mäkelä und Vojtěch Šembera
Gastspiel an der Staatsoper Stuttgart
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de
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