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Doppelkritik

Tanz und

Musik

ANNA KARENINA und DER PFIRSICHDIEB (КРАДЕЦЪТ НА ПРАСКОВИ) am Nationalen Opern- und Ballett-Theater Sofia




Das NATIONALE OPERN- UND BALLETT-THEATER SOFIA (auf Bulgarisch: СОФИЙСКА ОПЕРА И БАЛЕТ) ist, allein vom Architektonischen her, ein wuchtiges und ziemlich klotziges Ding; entworfen wurde es 1921 und zuletzt im Jahre 1953 renoviert, viel mehr erfährt man leider nicht zu diesem Bau, nicht mal auf Wikipedia - aber halt! Beim Durchblättern der Website operasofia.bg stoße ich auf den Artikel The Building of Sofia Opera and Ballet, ja und da wird man freilich etwas fündiger. Nun gut.

Bei einem Opern- (und Ballett-) Haus zählt dann sowieso letztendlich das, was drinnen alles so geschieht. Von daher schon mal: Die Akustik in dem großen Saal [s. Foto unten] ist vorzüglich; der Orchesterklang ist warm und angenehm und schüttet, so vermute ich, auch nicht den sängerischen Apparat überm Orchestergraben auf der Bühne zu.

Es werden, ziemlich ausgewogen resp. ausgleichend, beinahe fast genauso viele Opern angeboten wie Ballette. Dementsprechend groß sind die fürs Musikalische wie Tänzerische ausgerichteten Ensembles aufgestellt. In dieser Spielzeit gibt's ein Wagner-Festival, bei dem der RING sowie (als neue Produktion) der Lohengrin auf dem Programm stehen. Und außerdem entdeckte ich auf der HP des Hauses einen alten Bekannten, der in dieser Spielzeit an der Oper Sofia - neben RING und Lohengrin - auch noch Straussens Elektra sowie Ariadne auf Naxos und Puccinis Tosca dirigiert: Evan Christ; der war vor ein paar Jahren GMD am Staatstheater Cottbus, wo ich ihn die Götterdämmerung mal dirigieren sah. Nein, wie die Welt doch klein sein kann.



Saalansicht des Nationalen Opern- und Ballett-Theaters Sofia | Bildquelle: operasofia.bg


*

Ich nutzte allerdings jetzt die Gelegenheit, das Haus v.a. wegen seiner hochvorzüglichen Ballett-Truppe bei Anna Karenina kennengelernt zu haben.

Tolstois Zweitausendseiter bot und bietet immer wieder Anlass, ihn entweder zu verfilmen (16 Produktionen von 1914 bis 2017 listet Wikipedia auf) oder für Handlungsballette zu gebrauchen; 1972 fing das mit einer Choreografie der legendären Maja Plissezkaja, wofür ihr ihr späterer Komponistengatte Rodion Schtschedrin die Musik lieferte, an; weitere Anna Karenina-Choreografien und Inszenierungen stammten beispielsweise von Boris Eifman (St. Petersburg 2005), Tereence Kohler (Karlsruhe 2006), Christian Spuck (Zürich 2015) oder John Neumeier (Hamburg 2017).

Nunmehr reihte sich der serbische Tänzer und Choreograf Leo Mujić in diese Phalanx seiner bisherigen Vorgängerinnen und Vorgänger und unterfütterte seine abendfüllende Version ausschließlich mit Musik Tschaikowskis. Das von Andrey Galanov dirigierte Nationalorchester musizierte also eine Art von Best-of der Tschaikowski-Sinfonien (5., 6., Manfred u.a.), und Violeta Radomirska sang zu Beginn eine traurige Romanze, während der Geiger Stoimen Peev die Violinkonzert-Sätze oder Ausschnitte aus ihnen hie und da zum Besten gab... Das Alles verlieh der insgesamten Dramaturgie des Abends ein gewisses Maß an Schwülstigkeit und überhöhter Melancholie - zu bedenken hätte sein sollen, dass der gute Tschaikowski ja höchstselbst als kompositorischer Urheber dreier abendfüllender Handlungsballette nach Märchenstoffen (Dornröschen, Nussknacker, Schwanensee) zeichnete und nie im Leben darauf gekommen wäre, vertanzte russische Weltliteratur mit seiner Musik zu überkleistern; doch das nur am Rande so notiert.

Die tänzerische Qualität der Company ist außerordentlich!

Katerina Petrova (in der Titelrolle) sowie Emil Yordanov (in der Rolle von Annas gehörntem Gatten Alexej Karenin) und Tsetso Ivanov (in der Rolle von Annas vorübergehendem Geliebten Graf Alexej Wronskij) verleihen dem Ehe- als wie ehebrecherischen Trio hochemotionale Spannung und Glaubwürdigkeit. Um sie herum "schwirren" alle nur möglichen Nebengestalten dieser wahrlich zu Tränen rührenden Dreiecksgeschichte - wer den Roman nicht kennt, hat es da freilich etwas schwer, das insgesamte Personal den vielfältigen Handlungssträngen zuzuordnen; am auffälligsten und sympathischsten sticht in dem Zusammenhang der immer wieder mal vorbei huschende Vincenzo Caruana (als Konstantin Ljewin, der literarische Gegenentwurf zu all dem Auflauf an russischer Aristokratie, die die Tolstoi-Vorlage entlarvend vorzuführen sich zum Ziel gesetzt hatte) hervor.

Bewertung:    



Anna Karenina in der Inszenierung und Choreografie von Leo Mujić - am Nationalen Opern- und Ballett-Theater Sofia | Bildquelle: operasofia.bg


* *

Auch wollte ich mir einen Eindruck von bulgarischer zeitgenössischer Musik verschaffen, weswegen ich mich für die Uraufführung der Kammeroper Der Pfirsichdieb (Крадецът на праскови) von Blagovesta Konstantinova interessierte:


"Eine traurige Geschichte über die Suche einer Liebe nach Glück und Freiheit...

Lisa ist die schöne, einsame Frau des älteren Oberst, Militärkommandanten von Tarnovo.

Unerwartet erscheint der zerlumpte serbische Kriegsgefangene Ivo mit einem Hut voller Pfirsiche im Garten des abgelegenen Hauses, in dem sie ihre Tage verbringt. Die Liebe überkommt beide plötzlich, und sie verspüren eine unbändige Anziehung zueinander. Geheime Begegnungen verändern Liza, das Leben kehrt in ihre Gedanken, in ihren Körper zurück, aber diese Veränderung entgeht den Augen des Colonels nicht. Er befiehlt seinem Ordonnanzbeamten, 'Fleisch' zu schießen, wenn ein ungebetener Gast im Garten erscheint...

Und als die Liebenden bereit sind, ihrem Leiden zu entfliehen, unterbricht ein Schuss in Ivos Körper ihre Träume. Liza ist fest entschlossen, in dieser Hölle nicht allein zu sein und folgt ihrem Geliebten ins Jenseits..."


(Quelle: operasofia.bg)



Im Grunde genommen (lt. dem Plot, s. oben] ist es eine in etwa gleiche Dreiecksgeschichte wie bei Anna Karenina: Ehefrau ist mit deutlich älterem Ehemann seit Jahrzehnten verheiratet, und ihre Ehe verläuft so la-la - bis ein Wanderer des Weges kommt, und die Gattin des Gatten verliebt sich schlagartig in ihn so wie er, umgekehrt, in sie; einziger Unterschied vielleicht, dass "es" sich halt nicht im aristokratischen Mileu, sondern quasi auf dem Lande, sprich auf dem Altensitz des alten Ehegatten, abspielt...

Prima Geschichte also mit erwartbar reichlich Stoff & Futter für zu komponierende Musik - allerdings:

Wenn man "es" nacheinander so hört, vermeint man in das frühe 19. Jahrhundert zurückversetzt zu sein, "es" klingt nach Tatjana, Rusalka, Perlenfischer und noch weiteren ohrgeläufigen Klischees - als ob die Komponistin (nichts gegen sie, um Gotteswillen!) noch nie etwas von Schönberg, Berg oder, um es noch weiter auf die zeitgemäße Spitze zu treiben, Ligeti oder Stockhausen vernommen hätte. Ist das wirklich Unkenntnis oder sogar schon Ignoranz? Ergo: Falls ihr Pfirsichdieb ein Beispiel für bulgarische zeitgenössische Musik gewesen sein sollte: Okay und "Gute Nacht" zugleich.

Silvia Teneva sang Liza, die sich in frische Jugendliebe hineinsteigernde Gattin ihres militärpensionierten Gatten (gesungen von Alexander Georgiev), und Hrisimir Damyanov ergänzte die fatale Dreiecksgeschichte als Pfirsichdieb Ivo; und "es" endete mit der Ermordung Ivos und dem anschließenden Liebestod der Liza, Tristan und Isolde auf dem Lande halt.

Stefan Nedyalkov leitete eine kammermusikalische Formation des Nationalorchesters, und Teodor Georgiev inszenierte unter Einbindung eines 2-Personen-Schattenballets mit Giorgia Marchi & Lucas Koning (Choreografie: Lyudmila Ilieva).

Das alles fand im kleinen Saal (= Chamber Hall) hinter der Sofioter Oper statt.

Herzliche Beifallsbekundungen.

Bewertung:    




Plakatmotiv zu Der Pfirsichdieb (Крадецът на праскови)
von Blagovesta Konstantinova - am
Nationalen Opern- und Ballett-Theater
Sofia | Bildquelle: operasofia.bg


Andre Sokolowski - 28. März 2024
ID 14675
ANNA KARENINA (Nationales Oper- und Ballett-Theater Sofia, 24.03.2024)
Ballett mit Musik von Peter Tschaikowsky

Musikalische Leitung: Andrey Galanov
Inszenierung und Choreografie: Leo Mujić
Bühne: Mislav Kuzmanić
Kostüme: Lars Ayenne
Licht: Milcho Alexandrov
Besetzung:
Anna Karenina ... Katerina Petrova
Graf Alexej Wronskij ... Tsetso Ivanov
Graf Alexej Karenin ... Emil Yordanov
Fürstin Jekatarina Schtscherbazkaja (Kitty) ... Boryana Petrova
Fürst Stepan Oblonskij (Stiwa) ... Frederico Pinto
Gräfin Lydia Iwanowna ... Venera Hristova-Asparuhova
Fürstin Betsy Twerskaja ... Kristina Chochanova
General Serpukowski ... Francesco Congiusti
Gräfin Sorokina ... Polina Ivanova
Fürstin Darja Oblonskaja (Dolly) ... Vyara Ivancheva
Gräfin Wronskaja ... Maria Yordanova
Konstantin Ljewin ... Vincenzo Caruana
Kapitän Jaschwin ... Georgi Banchev
Graf Alexander Wronskij ... Simeon Atanasov
Maria Jewtimowna ... Lyudmila Ilieva
Sergej Karenin "Serjoscha" ... Damyan Ivanov
Violeta Radomirska, Sopran
Stoimen Peev, Solo-Violine
Alexandra Ivanova, Klavier und Harmonium
Orchester des Nationalen Opern- und Ballettheaters Sofia
Premiere war am 27. Januar 2024.

DER PFIRSICHDIEB (Kammersaal des Nationalen Opern- und Ballett-Theaters Sofia, 27.03.2024)
КРАДЕЦЪТ НА ПРАСКОВИ von Blagovesta Konstantinova
Libretto: Tsonka Velikova

Musikalische Leitung: Stefan Nedyalkov
Inszenierung: Teodor Georgiev
Choreografie: Lyudmila Ilieva
Besetzung:
Liza ... Silvia Teneva
Ivo Obretenovich ... Hrisimir Damyanov
Der General ... Alexander Georgiev
Die Schatten ... Giorgia Marchi und Lucas Koning
UA am Nationalen Opern- und Ballett-Theater Sofia: 27. März 2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.operasofia.bg


https://www.andre-sokolowski.de

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