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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Zu abstrakt,

und doch

(zu) schön



Martin ten Kortenaar in Christian Spucks Winterreise - beim Staatsballett Berlin | Foto (C) Carlos Quezada

Bewertung:    



Die 24 Winterreise-Gedichte von Wilhelm Müller (1794-1827) - ein dichterischer Gipfelpunkt deutscher Romantik - nahm sich Franz Schubert (1797-1828) zur Vorlage, um anhand ihrer Texte seinen gleichnamigen Liederzyklus - einem musikalischen Gipfelpunkt deutscher Romantik - zu komponieren; das geschah ein Jahr vor seinem Tod.

Sie waren, sind und bleiben immer wieder Inspiration und Anlass für spartenübergreifende Projekte - das vielleicht bedeutendste dürfte bis heute Elfriede Jelineks (an den Münchner Kammerspielen 2011 uraufgeführter) Versuch gewesen sein, ihre eigentlichen Inhalte mit einer für ihr auktoriales Selbstverständnis zwar irgendwie verwandten aber dennoch gänzlich anderen Geschichte ebenbürdig zu ergänzen.

Und es lag und liegt gewiss nicht nur allein an der Magie des zu zig Assoziationen verführenden Titels, weswegen sich noch weitaus mehr Autorinnen und Autoren oder einfach nur Macherinnen oder Macher mit den Todessüchten Müllers-Schuberts künstlerisch auseinandersetz(t)en...


"In 24 Momentaufnahmen fächert Schubert kaleidoskopartig die Stimmungslage eines verlorenen, verletzten und vereinsamten Charakters auf. Nur wenige Kunstwerke haben das Existentielle, das Zerrissene des Menschseins so erschütternd zum Ausdruck gebracht.

Der deutsche Komponist Hans Zender
[1936-2019] bearbeitete den Zyklus unter dem Titel Schuberts 'Winterreise'. Eine komponierte Interpretation. Zenders Fassung für Tenor und kleines Orchester, die 1993 in Frankfurt uraufgeführt wurde, ist weit mehr als eine einfache Orchestrierung. Ebenso einfühlsam wie radikal legt sie das Verstörungspotential des Zyklus frei und nähert sich den Gedichten Wilhelm Müllers noch einmal auf eigene Weise. Zender stößt in die dunkelsten Regionen des Menschseins vor. Mit seiner Interpretation fördert er Emotionen zu Tage, die bei Schubert unter der Oberfläche pulsieren und deckt die unheimlichen Schichten in der Tiefe der Musik auf."

(Quelle: staatsballett-berlin.de)


*

Christian Spuck steuerte aktuell sein vor zirka sieben Jahren mit dem Ballett Zürich (wo er früher Intendant gewesen war) uraufgeführtes choreografisches Angebot zur Winterreise bei - gestern Abend fand unter größtmöglichem Jubel und allgemein bejahender Begeisterung die Wiederaufnahme beim STAATSBALLETT BERLIN statt.

Spucks gestalterische Affinität zu visuell Abstraktem erwies sich dabei abermals - ähnlich seinem vertanzten Verdi-Requiem noch vor Antritt seiner Intendanz hier in Berlin - als ästhetisierend Vordergründiges, um menschlich Hintergründiges aufs Vage (und Abstrakte, wie gesagt) zur Darstellung zu bringen. Dabei hätte er es auch, falls er die Winterreise halt als durchgängige und v.a. nachvollziehbare Geschichte eines suizidal gestimmten ungeliebten Einsamen für sich begriffen also wahrgenommen hätte, auch als Handlungsballett, was er ja eigentlich viel besser kann als nebulös herumzuabstrahieren (s. seine grandiose Bovary), inszenieren können.

Das Atmosphärische gefiel sich in den Farben schwarz und grau, auch schneite es fast unaufhörlich. Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus benötigte gerade mal einen granittönigen Einheitsraum mit neun herunter- und hinauffahrbaren Neonröhren, die mehr oder weniger Weißlicht ausstrahlten. Emma Ryotts Kostümdesign hatte in manchen Szenenbildern einen ziemlich abenteuerlichen Zuschnitt, beispielsweise die auf Stelzen gehenden Reisigträger kurz nach dem Beginn der Winterreise. Mein persönliches Lieblingsbild erfolgte beim 21. Lied ("Auf einen Totenacker..."); das ist die Szene, wo dem Wanderer der Eintritt in das kühle Wirtshaus verwehrt wird und er nicht in der Lage ist, die Phalanx von Wirtsfrauen in langen grauen Kleidern, die sich mit dem Rücken zu ihm aufstellten, zu durchbrechen... Ansonsten präsentierten sich die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin immer dann, wenn sie nicht (schwarz oder grau) kostümiert waren, oberkörperfrei und/ oder in hautfarbenen Stoffen. Allein das Schlussbild (!): eine körperästhetische Verheißung ersten Grades [s. Foto unten]; das hatte etwas von einem Michelangelo-Fresko. Betörend schön.

Der Tenor Matthew Newlin sang und gestaltete auf das Bewundernswerteste seinen weit über anderthalbstündigen Part. Wer in den vorderen Parkettreihen saß, konnte ihn, der etwas erhöht gegenüber dem Dirigenten (Dominic Limburg) stand, dabei beobachten, was und v.a. wie er Zenders Winterreise-Version zu interpretieren verstand - an und für sich ist es ja schon beim Schubert'schen Original eine kräftezehrende Herausforderung, so derart lange stimmlich durchzuhalten; beim Zender kommt dann allerdings erschwerend noch dazu, dass der Tenor zusätzlich gegen ein Orchester (Staatskapelle Berlin) ansingen musste.

Ich gebe unumwunden zu, dass ich kein Fan der Zender-Winterreise bin, zu verfremdet, zu aufgeblasen, zu wichtigtuerisch kommt sie mir vor; somit empfinde ich sie eigentlich als völlig überflüssig und hätte mir gewünscht, dass Spuck doch besser und auch "richtiger" auf Schubert pur zurückgegriffen hätte. Vielleicht wäre ihm dann "automatisch" aufgegangen, dass die Winterreise in der Tat zu einem echten Handlungsballett getaugt haben könnte; doch egal.

Alles und alle sah und sahen schön aus!!



Winterreise mit dem Staatsballett Berlin | Foto (C) Carlos Quezada

Andre Sokolowski – 12. Mai 2025
ID 15261
Winterreise (Staatsoper Unter den Linden, 11.05.2025)
Choreographie und Inszenierung von Christian Spuck
Musik von Hans Zender
Schuberts “Winterreise”. Eine komponierte Interpretation für Tenor und kleines Orchester

Bühnenbild:  Rufus Didwiszus
Kostüme:  Emma Ryott
Licht:  Martin Gebhardt
Dramaturgie: Christian Spuck, Michael Küster und Katja Wiegand
Einstudierung: Daniel Mulligan, Eva Dewaele und Fabio Palombo
Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin
Matthew Newlin, Tenor
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Dominic Limburg
Premiere beim Ballett Zürich: 13. Oktober 2018
Wiederaufnahme beim Staatsballett Berlin: 11. Mai 2025
Weitere Termine: 14., 17., 23., 29.05./ 07., 09., 14.06.2025// 22., 29., 31.01./ 27.02./ 01., 04.03.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsballett-berlin.de


https://www.andre-sokolowski.de

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