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SCHLOSSFESTSPIELE LUDWIGSBURG FESTIVAL 2022

Dritter Anlauf

für Jochen

Sandig



Bewertung:    



Der neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, die sich zusammen mit einer ebenso bewegten wie unübersichtlichen Homepage nunmehr weltgewandt und umständlich SCHLOSSFESTSPIELE LUDWIGSBURG FESTIVAL nennen, ist vom Pech verfolgt. Die ersten zwei Jahrgänge fielen Corona mehr oder weniger zum Opfer. Nunmehr scheint es möglich, das Versäumte nachzuholen, da wirft der Krieg gegen die Ukraine Jochen Sandig Knüppel zwischen die Beine. Na ja, der Krieg persönlich war’s nicht, sondern ein nicht näher benannter „ukrainischer Druck“ auf die Festspiele über die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv. Begleitet von rhetorischen Windungen kommt Sandig dessen politisch absurder Forderung nach Ersetzung Tschaikowskis durch Mahler beim Eröffnungskonzert nach. Man mag Mahler vorziehen, aber mit dem Krieg hat der Komponist, den er verdrängt, so viel zu tun wie Beethoven, der bekanntlich das Kennmotiv für die BBC bereitgestellt hat, mit dem Zweiten Weltkrieg. Wenn Israel und jüdische Musiker längst den ausgewiesenen Antisemiten Richard Wagner ertragen können, wenn auch britische Musiker am 4. September 1939, einen Tag nach der Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich, Richard Wagner und in den darauf folgenden Wochen auffällig oft Wagner sowie Bach, Händel, Beethoven, von Weber, Schumann, Wagner, Brahms, Humperdinck, Richard Strauss (!) oder Hindemith spielten, sollte man Ludwigsburg und ukrainischen Musikern Tschaikowski zumuten dürfen. Noch vor kurzem hatte Sandig sich und Tschaikowski im üblichen PR-Jargon angepriesen: „Neu ist aber, dass der Auftakt unter dem Motto ‚No More War‛ steht, als explizites Friedenskonzert, mit dem Festspielorchester. Wir haben die 6. Sinfonie von Tschaikowsky im Programm, das letzte Werk des Komponisten, mit dem legendären langsamen letzten Satz, der einen Requiem-Charakter besitzt. Eine besondere Symbolik in diesen Zeiten.“

Was mich Republikaner von Geburt mehr stört als ein Tschaikowski im Programm, ist die Ansprache von Mitgliedern des Schlossfestspiel-Kuratoriums, dem sogar Tote angehören („Gemeinsam sind sie Förderer, zentrale Impulsgeber und herausgehobene Multiplikatoren für die Ziele eines Festes der  Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit“, denen es obliegt, „die Türen [zu] öffnen und neue Kontakte zu ideellen und finanziellen Förderern [zu] ermöglichen“) mit „Seine Königliche Hoheit“ oder „Seine Durchlaucht“. Der ehemalige, fast vergessene baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Er pflegte Herrn von Württemberg mit „Königliche Hoheit“ anzusprechen, als lebten wir noch in der Monarchie. Als Ausweis demokratischen und nachhaltigen Rückgrats kann diese Ansprache kaum dienen. Aber dagegen aufzubegehren, dürfte unangenehmere Folgen haben als die Säuberung eines „expliziten Friedenskonzerts“ von Tschaikowski.
So ist das nun mal. Wer Kunst in Anspruch nehmen will, muss das Umfeld – sei es in Salzburg, Bayreuth oder Ludwigsburg – ertragen. Demokratisierung bleibt in diesem Kontext ein Lippenbekenntnis.

*

Wie also bewährte sich das tschaikowskifreie Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele? Wir müssen, den Standing Ovations am Ende zum Trotz, die wohl eher als Sympathiebekundung für die ukrainische Dirigentin denn als Anerkennung der musikalischen Leistung zu verstehen sind, registrieren: es war schon überzeugender. Die Konturen blieben in Mozarts Klavierkonzert Nr. 23, das Mahlers 5. Symphonie voraus ging, unscharf, das Klavier schien ihm immer wieder davon zu laufen. Dass Iddo Bar-Shaï eine höchst inspirierte Interpretation lieferte, ließ die Schwächen eher hervortreten, als sie zu verdecken. Insbesondere im zweiten Satz bestach der israelische Pianist durch seinen lyrischen Anschlag, durch die zurückgenommene Dynamik und das wohldosierte Rubato.

In Mahlers zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandener Fünfter setzte Oksana Lyniv dann auf Dramatik. Sie füllte das siebzigminütige Werk mit wagnerschem Pathos auf, schien im dritten Satz Richard Strauss mit dem damals noch unbekannten Strawinski vermählen zu wollen und gewährte nur im „sehr langsamen“ Adagietto der Dritten Abteilung Erholung vom Dauerdruck des überwiegenden auftrumpfenden Gestus. Der unsignierte Programmtext erkennt eine „komplexe Klangwelt, deren Auflösung am Ende […] einer Erlösung gleichkommt und das Eröffnungskonzert in Hoffnung enden lässt“. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass die Dominanz des Blechs großen Teilen der Symphonie etwas durchaus Martialisches verleihe. Wie aber passte das zum Motto „No More War“? Als die russischen Panzer noch nicht in die Ukraine und die englische Sprache noch nicht in die allgemeine Kommunikation eingedrungen waren, hieß das „Nie wieder Krieg“. Genützt hat es nichts, auch nicht mit Mozart und Mahler.



Fest Spiel Ouvertüre mit Oksana Lyniv | Foto (C) Reiner Pfisterer

Thomas Rothschild - 6. Mai 2022
ID 13613
"No More War" (Forum am Schlosspark, 05.05.2022)
Wolfgang Amadeus Mozat: Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur, KV 488
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll
Iddo Bar-Shaï, Klavier
Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele
Dirigentin: Oksana Lyniv
Eröffnungskonzert der SCHLOSSFESTSPIELE LUDWIGSBURG FESTIVAL 2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.schlossfestspiele.de/


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