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Festival d’Aix-en-Provence 2025

Eine kluge

Reduktion

voller Spannung,

Klarheit und

musikalischer

Wucht

THE STORY OF BILLY BUDD, SAILOR


Bewertung:    



Die diesjährige Produktion von The Story of Billy Budd, Sailor bei den Opernfestspielen in Aix-en-Provence ist mehr als eine kammermusikalische Bearbeitung – sie ist eine präzise destillierte Verdichtung des dramatischen Kerns von Brittens großer Männeroper. In der Bearbeitung von Oliver Leith, inszeniert von Ted Huffman, verschiebt sich der Fokus vom groß besetzten Marinepanorama hin zur psychologischen Intimität einer geschlossenen Männerwelt – mit sechs Sängerrollen, drei Keyboards und Schlagwerk.

Die Bühne bleibt radikal reduziert: Ein weißes minimalistisches Podest, wenige Requisiten, Licht und gezielte Farbakzente (wie ein orangefarbener Hut) tragen die Erzählung. Diese Kargheit ist kein Mangel, sondern ein Konzept: Sie rückt die Konflikte, Blicke, Berührungen und Spannungen zwischen den Figuren in unmittelbare Nähe zum Publikum.

Was sich musikalisch als Reduktion auf kammermusikalische Mittel ankündigt, entpuppt sich als kompositorisch durchdachte Neuformulierung des Originals – die berühmte 34-Akkord-Folge wurde zwar gekürzt, aber das emotionale Spannungsfeld bleibt erhalten. Im Gegenteil: Durch die Nähe und Transparenz des Klangbilds werden psychologische Nuancen noch greifbarer.

Die homoerotischen Untertöne des Originals bleiben nicht Theorie, sondern sind in dieser Fassung deutlich sichtbar – subtil, aber unübersehbar. In zarten, fast tastenden Berührungen zwischen Billy und dem Novizen, in Blicken, Gesten, zwei kurzen Küssen – nie plakativ, aber konsequent in der Figurenzeichnung. Huffman betont keine Sexualität, sondern Sehnsucht, Nähe, Macht und Verletzlichkeit – allesamt Grundströmungen in Melvilles Text wie in Brittens Musik.

Besonders eindrucksvoll ist die darstellerisch-musikalische Leistung des Ensembles: Ian Rucker gibt Billy als jugendlich-lebendige, idealistische Figur – körperlich präsent, stimmlich klar und ausdrucksstark. Joshua Bloom beeindruckt gleich doppelt als Claggart und Dansker: ein stimmlich souveräner Bass mit tiefer darstellerischer Energie. Christopher Sokolowski als Captain Vere brilliert mit innerer Spannung – seine ambivalente Rolle zwischen moralischem Zweifel und disziplinärer Strenge gestaltet er klug und nuanciert. Seine reflektierenden Momente (die „Rahmenhandlung“ des Stücks) werden so zu stillen Höhepunkten, fast wie meditative Selbstverhöre.

Die musikalische Sprache dieser Bearbeitung bleibt Brittens Komposition in Geist und Dramaturgie eng verbunden: Billys Musik bleibt hell, offen und diatonisch; Claggart behält seine düstere Chromatik; Vere bleibt zwischen den Welten, zerrissen, harmonisch flüchtig. Auch in der kleinen Fassung schafft es die Musik, Raum zu öffnen: für innere Kämpfe, für Menschlichkeit und Tragik.

Am Ende hängt Billy – fast schwerelos – am Tampen. Kein dramatischer Knalleffekt, sondern eine stille, erschütternde Ikone. Der Chor ist kein monumentales Kollektiv mehr, sondern präzise gesetzte Stimmen im Hintergrund – wie das Echo einer Ordnung, die mehr zerstört als bewahrt.

Das Théâtre du Jeu de Paume (ein intimes, historisch aufgeladenes Haus aus dem 18. Jahrhundert mit barocker Anmutung) bietet dafür den idealen Rahmen: Statt technischer Brillanz beeindruckt hier die Nähe – klanglich, szenisch, menschlich. Der enge Raum zwingt zur Konzentration, verdichtet jede Geste und jeden Blick.

Diese Art der Reduktion – eine große Oper für Orchester in kleinerem Rahmen aufzuführen – zeigt eindrucksvoll, wie mit begrenzten Mitteln großes Musiktheater möglich wird. Es ist eine Form der Kunstvermittlung, die Publikum und Werk näher zusammenbringt, barrierefrei im besten Sinne, intensiv und direkt.

Diese Fassung von Billy Budd gehört zu den eindrücklichsten Musiktheatererfahrungen des Sommers. Was bleibt, ist kein heldischer Tod, sondern eine Erinnerung – an die Zerbrechlichkeit des Guten, an die Kälte der Ordnung, an die Kraft stiller Geste. Und an eine Musik, die in ihrer Reduktion größer wirkt denn je.



The Story of Billy Budd, Sailor beim Festival d’Aix-en-Provence 2025 | (C) Jean-Louis Fernandez; Bildquelle: festival-aix.com

Steffen Kühn - 12. Juli 2025
ID 15360
THE STORY OF BILLY BUDD, SAILOR (Théâtre du Jeu de Paume, 10.07.2025)
nach der Oper Billy Budd von Benjamin Britten

Adaption: Oliver Leith
Musikalische Leitung: Finnegan Downie Dear
Regie, Bühne und Kostüme: Ted Huffman
Lichtdesign: Bertrand Couderc
Mitarbeit Regie, Bühne und Kostüme: Sonoko Kamimura
Kostüme und Assesoires: Sara Bartesaghi Gallo
Choreografie: Pim Veulings
Besetzung:
Billy Budd ... Ian Rucker
John Claggart, Dansker ... Joshua Bloom
Edward Fairfax Vere, Squeak ... Christopher Sokolowski
Novice, Maintop ... Hugo Brady
Mr. Redburn, First Mate ... Noam Heinz
Mr. Flint, Second Mate ... Thomas Chenhall
Finnegan Downie Dear, Richard Gowers und Siwan Rhys (Klaviere)
George Barton (Schlagzeug)
Premiere beim FESTIVAL D’AIX-EN-PROVENCE: 5. Juli 2025
Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Provence


Weitere Infos siehe auch: https://festival-aix.com


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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