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Buchkritik

Die gestohlene

Zukunft





Bewertung:    



Als 2017 der Roman Die Geschichte der Bienen der Norwegerin Maja Lunde herauskam, galt er als Überraschungserfolg. Rund ein Jahr später erscheint nun die Übersetzung ihres neuen Werkes Blau, dem der Verlag vollmundig den Titel Die Geschichte des Wassers verliehen hat und der sich jetzt gemeinsam mit den Bienen auf den Bestsellerlisten tummelt. Leider erweckt der Titel Erwartungen, denen der neue Roman im Vergleich zum alten nicht standhalten kann, obwohl auch er sich eines signifikanten Themas annimmt und ein paar intensive Momente hat. Dieses Mal sind es statt drei nur zwei Protagonisten und ihr Umfeld: die betagte Norwegerin Signe lebt in der Gegenwart und hat ihr Leben dem Umweltaktivismus verschrieben, David lebt im Jahr 2041 in Frankreich, wo er nach apokalyptischen Dürrekatastrophen versucht, sich und seine kleine Tochter Lou durchzubringen.

Die Geschichte des Wassers beginnt mit einem Aufreger, denn in Norwegen wird in dem Gletscher Blåfonna Eis abgebaut und in Wüstenstaaten verschickt, dass reiche Multis ihre Drinks damit kühlen können. Das ruft die Aktivistin Signe auf den Plan, die mit 67 immer noch umtriebig ist und diesem fatalen Treiben Einhalt gebieten will, denn durch die Klimaerwärmung schmelzen die Gletscher schon von allein. Leider läuft das nicht mehr so wie zu ihrer Jugendzeit, wo z. B. Hunderte von Menschen auf dem Berg gezeltet haben, um damals zu verhindern, dass die Flusslandschaft des Breio zerstört und für ein Wasserkraftwerk genutzt werden sollte. „Das ganze Leben ist Wasser“, wusste sie schon als Kind, „ich nannte meine Welt Erde, aber ich dachte, eigentlich müsste sie Wasser heißen“. Schon Signes Vater war Naturschützer und hatte ihr als Kind erklärt, dass der erhöhte Strombedarf an den Aluminiumwerken läge, die sonst bankrott gehen würden. Signe solle nicht glauben, dass es um Energie für Schulen, Krankenhäuser und dergleichen ginge. Das Aluminium würde für den Bau von Waffen benötigt.

Für Signe ist fortan klar, dass sie die Umwelt für künftige Generationen erhalten will, aber sie findet keine Mitstreiter mehr. Die heutige Jugend, die es am schlimmsten betrifft, habe nur Wachstum erlebt, kenne aber keinen Widerstand mehr, hat Signe beobachtet. Und ihr ehemaliger Jugendfreund Magnus gehört damals wie heute zu denen, die den nachfolgenden Generationen ihre Zukunft stehlen. Also macht Signe auf eigene Faust eine Aktion, gerät bei ihrer Flucht fast in Seenot und will nach vielen Jahren Trennung Magnus aufsuchen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Magnus hat wie viele seiner Altersgenossen mittlerweile Enkelkinder; er und seine Generation opfern deren Überleben ihrer eigenen Bequemlichkeit und einem Wohlstand, von dem die Enkelkinder womöglich gar nichts mehr haben werden. Denn die Menschen nehmen Eingriffe in die Natur vor, unter deren Zerstörung alle Generationen nach uns leiden werden.

In der Parallelhandlung einer postapokalyptischen Zeit hat sich der 26jährige David mit seiner 6jährigen Tochter Lou in ein Aufnahmelager begeben. Bei einem Feuer ist er von seiner Frau und seinem kleinen Sohn getrennt worden. Nun wartet er darauf, dass auch die beiden es schaffen, im verabredeten Lager anzukommen. Doch die Wochen vergehen, das Camp wird von den Betreibern nach und nach verlassen, da der eh schon knappe Nachschub an Wasser und an Lebensmitteln ausbleibt. Die Welt ist aufgeteilt in die Gebiete mit Wasser und die ohne, wobei die Wasserländer mit Unwettern und Überflutungen zu kämpfen haben. Die nehmen jedoch keine Flüchtlinge aus den Dürregebieten mehr auf, und da David im französischen Binnenland festsitzt, wo es längst keine Transportmöglichkeiten mehr gibt, erkennt er die Lage als aussichtslos. Auf einmal hat nichts mehr eine Bedeutung, findet er - doch er tut alles, um der kleinen Lou noch so viel Kindheit wie möglich zu erhalten. „Ich kann um unser Leben kämpfen. Ich kann für sie kämpfen. Doch das alles hilft nichts, wenn es keinen Ort mehr zum Leben gibt“, weiß er.

*

Maja Lunde ist eine großartige Schriftstellerin, und ihr zweiter Roman ist durchschnittlich gute Literatur. Um aber eine Geschichte der Wassers zu sein, fehlt zu Vieles. Signe schippert mit ihrem Segelboot an einer Ölplattform vorbei. Die Rolle Norwegens als einer der führenden Betreiber der Ölförderung in der Nordsee wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn deren ökologischen Folgen. Auch die Müllstrudel im Meer werden nicht thematisiert, von denen es fünf gibt und von denen jeder so groß sein soll wie Europa. Da reicht es nicht, dass Signe mit Plastikmüll vorsichtig ist. Das Bemühen vieler realer Umweltaktivisten, Wasser als Menschenrecht im Gesetz verankern zu lassen, fehlt. Multinationale Konzerne, wie Nestlé, Coca Cola u.a., die Wasser privatisieren wollen und zu einem Handelsgut gemacht haben, fehlen. Die Verseuchung des Grundwassers durch Pestizide, namentlich durch Glyphosat, fehlt. Wettermodifikation, fehlt. Die erstaunlichen Forschungen des japanischen Physikers Masaru Emoto, fehlen. Die vielen Initiativen, die Flüsse und Meere von Müll zu befreien, fehlen. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Das seltsame Ende der Signe-Geschichte ist wenig überzeugend und wirkt aufgesetzt. Es widerspricht allem, wofür sie in ihrem Leben gestanden hat und kann so verstanden werden, dass es in Ordnung ist, sein persönliches Wohlergehen dem Überleben des Planeten und unserer Nachgeborenen vorzuziehen.

* *

Die Geschichte des Wassers soll Teil 2 eines Klima-Quartetts sein, was heißt, dass noch zwei ähnliche Bücher erscheinen sollen. Dann eine große Bitte an die Verlage und ein Appell an die Fan-Gemeinden: Lasst Maja Lunde genug Zeit dafür. Sie hat mit Die Geschichte der Bienen bewiesen, dass sie es kann. Die Geschichte des Wassers bleibt bedauerlicherweise hinter ihrem Potenzial zurück, und das ist sehr, sehr schade.


Helga Fitzner - 22. April 2018
ID 10658
Link zum Buch: https://www.randomhouse.de/Buch/Die-Geschichte-des-Wassers/


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