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nachDRUCK # 4

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Ausstellung

Turmbau zu

Babel


ELBPHILHARMONIE REVISITED


Bewertung:    



Alles dauerte länger als man dachte, auch war mit dem Baustopp zwischen 2010 und 2013 gar nicht so klar, ob es weiter geht. Hier in den Deichtorhallen kann man mit einem interaktiven Spiel sich selbst auf die Probe stellen. Wie hätte man als Bauherr schwierige Entscheidungen getroffen? An dem Holzkunstwerk Kanalphilharmonie von der Gruppe Baltic Raw Org lässt sich das Exempel statuieren. So werden der Skulptur entweder Holzplatten entfernt oder wie mit meinen Antworten eine weitere Platte hinzugefügt. Einmal musste ich sozusagen blind die Antwort auf dem Touchscreen eingeben. Das gab mir doch sehr zu denken.

Dank der Architekten Herzog & de Meuron wurden selbst verrückte künstlerische Ideen verwirklicht. Und mit dieser Ausstellung, kuratiert vom Deichtorhallen-Intendanten Dirk Luckow, bekommt die eigentlich funktionale Seite der Architektur eine experimentelle, sensibilisierte Weise von Betrachtung. Zwölf namhafte Künstler haben sich auf unterschiedlichste Weise dieser speziellen Architektur angenähert, sei es mit Klanginstallationen oder der Übersetzung des Bauwerkes in ein Spinnennetz. Durch Vibration der aufgewirbelten Staubteilchen und mittels eingesetzter Mikrofone werden Klänge erzeugt, und die Spinnen übertragen dieses Muster in ihr Netz, dem Dach der Elbphilharmonie verblüffend ähnlich. Alles ist verwoben und alles hängt mit allem zusammen.



Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow und Der programmierte Konzertflügel von Liam Gillick (*1964) | Foto (C) Liane Kampeter


Nun gibt es Architektur pur, wieder zu finden in großen fast weißen Fotoabzügen von Modellen (Candida Höfer), aber auch chaotische fast dreckige Kunst aus Stahlträgern und Holzbrettern. Neu und Alt finden zueinander. Tradition trifft auf Moderne, wie das Programm der Elbphilharmonie von Klassik bis zu zeitgenössischer Musik - zu hören beispielsweise beim Ensemble Resonanz [s. Link unten]. Bekannte Melodien erheben uns und geben Vertrauen, polymorphe Töne öffnen die Sinne auf eine andere Art und bewegen etwas in uns, was sich jeglicher Logik entzieht.

Diese Kunst macht es möglich, das Projekt mit seinen vielen Dimensionen ganz neu wahrzunehmen. Musik erklingt und beflügelt die Sinne, auch fremde Töne mischen sich ein, ein Surren; oder ist es die Bohrmaschine für den letzten Aufbau? Sogar ein zufällig ausgelöster Alarmton fiel verstörend mit ein, danach das Rauschen der Lüftung - ich war an das Konzert der Einstürzenden Neubauten [s. Link unten] erinnert...



Babel-Variationen 2017 von Peter Buggenhout (*1963) | Foto (C) Liane Kampeter


Und dann darf es natürlich an Größe nicht fehlen, und die biblische Geschichte aus dem Alten Testament wird zitiert. Gottgleich und gegen alle Schwerkraft erarbeitete der Künstler Peter Buggenhout den Turmbau zu Babel. Aus recycelten Materialien hat er in die Höhe gestapelt und trifft auf die ästhetische Stahlglas-Architektur der Deichtorhalle, die ja bereits 1911 gebaut wurde und eine bedeutende Reformperiode der Architektur darstellt.

Die gesamte Ausstellung ein Raumerlebnis, gewissermaßen ein Gesamtkunstwerk, Sinfonien von Farbbildern begegnen dem rauen Charme eines Abenteuerspielplatzes, Ästhetik trifft auf Dekonstruktion, Logisches und Irrationales werden hier zur Diskussion gestellt.

Der ursprüngliche Kaiserspeicher wurde jetzt also doch zu einer Kulturstätte für Jedermann, wie auch 1988 Kurt A. Körber die damalige Markthalle in ein Kunsthaus verwandelte. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater mir zunächst die Blumenhalle (heute Haus der Fotografie) und dann die Fischhalle zeigte und ich in die kalten nackten Augen eines Fisches starrte. Das war bereits eine künstlerische Erfahrung. Damals war ich klein und hatte diese Ehrfurcht dem Tod gegenüber. Da ist etwas größer als man selbst, und doch kennt man es. Heute bauen wir Parkhäuser, die wie das Guggenheim Museum aussehen. Die Rasterpunkte der Elbphilharmonie-Fenster erinnern an Sigmar Polke's Bilder. Kunst ist ein endloses Spiel, grenzenlos in ihrem Ansatz; wie ein frei schwebender Konzertsaal ist fast alles möglich in dieser Welt. Es heißt, die Musiker hätten sich bei den ersten Proben high wie unter Einfluss von Kokain gefühlt.

Also, ist es ein Symbol großbürgerlichen Wahnsinns, ein Millionengrab? Vielleicht brauchte es diese Zeit und all die Unwägbarkeiten, um zu erkennen, das Haus kann nicht nur für Reiche sein. Denken wir neu. Vielleicht bestimmen die Räume uns und nicht umgekehrt. Alexander Kluge sagt in dem Filmessay von Sarah Morris: "Man kann nicht aggressiv sein und gleichzeitig denken." Seien wir also offen, was weiterhin passiert.

Brauchen wir denn begrenzende Horizonte, um leben zu können? Muss ich mich fesseln, um mich zu befreien? Die Deichtorhallen bewegen mit ihrer Ausstellung, werfen grundsätzliche Fragen auf.



Kanalphilharmonie von Baltic Raw Org | Foto (C) Liane Kampeter


So ein Jahrhundertbauwerk muss gebührend gefeiert werden.

Liane Kampeter - 11. Februar 2017
ID 9831
Weitere Infos siehe auch: http://www.deichtorhallen.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de

Ensemble Resonanz (16.01.2017 | Elbphilharmonie Hamburg)

Einstürzende Neubauten (21.01.2017 | Elbphilharmonie Hamburg)



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