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Männer im Abstiegskampf (II)

Ein Headhunter verliert den Kopf und geht vor die Hunde: Ein brillanter Ulrich Tukur in Houston





Houston antwortet nicht mehr

Schauspieler Ulrich Tukur, der neben seinen vielen Theater- und Filmrollen scheinbar so unausgelastet ist, dass er auch als Bandleader und Sänger durch die Lande zieht (Ulrich Tukur und die Rhythmusboys), ist immer ein überzeugender Mime. Aber Rollen, in denen Tukur scheinbar überkorrekte Karrieremenschen spielen darf, hinter deren steifem Äußeren jede Menge Leidenschaften und Schwächen verborgen sind, die in Extremsituationen zum Vorschein kommen, steigt er zur Höchstform auf. Unvergessen etwa Tukur als fieser, opportunistischer Stasileutnant in Das Leben der Anderen (Deutscher Filmpreis Bester Nebendarsteller 2004) und als ehrgeiziger Konzernangestellter im Frankfurter TATORT Das Böse (Folge 522 von 2003), der zum mehrfachen Mörder wird, um sein Versagen zu kaschieren.




Ulrich Tukur in Houston - Foto (C) Farbfilm Verleih


Auch im neuen Spielfilm von Regisseur Bastian Günther ist Tukur ein gehobener Konzernangestellter, der mit dem permanenten Erfolgsdruck in seiner Firma nicht mehr so cool umgehen kann, wie er und seine Chefs das gerne hätten. Tukurs Figur ist allerdings nicht so skrupellos wie in den genannten Kriminalfilmen, sondern wirkt mit den Leistungsanforderungen der postmodernen Arbeitswelt wie so viele Menschen heutzutage auf sympathische Weise überfordert. Mit seinem abgenutzten Ehrgeiz ist Tukur eine gebrochene Identifikationsfigur, der man als Zuschauer selbst dann noch zu folgen geneigt ist, wenn sie ganz bewusst die Grenzen der Legalität überschreitet und sich damit angreifbar macht (und damit jener verkrachten Künstlerexistenz in der US-Produktion Inside Lllewyn Davis ähnelt, der zufällig zeitgleich in deutsche Kinos kommt).

Schon die erste Szene in Houston gibt darüber erste Hinweise: Die unliebsame Einladung zu einer rasenden Fahrt auf einer Versuchsstrecke des Autokonzerns, bei dem Clemens Trunschka (Tukur) arbeitet, übersteht er nur mit Mühe. Hier kann er sich noch einmal zusammenreißen und die Angst überspielen, aber von diesem Punkt an führt Trunschkas weiterer Weg nahezu beständig nach unten. Regisseur Günther deutet den Alkoholismus seiner Hauptfigur nur an und lässt auch offen, ob diese Sucht zu beruflichen Problemen geführt hat oder umgekehrt der Druck in der Firma ursächlich für Trunschkas Trinkerei ist. Vielleicht ist auch beides eng miteinander verflochten, jedenfalls bekommt Trunschka aufgrund der Fürsprache seines Vorgesetzten noch eine große Chance: Er soll als Headhunter diskret und inoffiziell einen amerikanischen Manager ansprechen und überreden, zum deutschen Konzern zu wechseln, ohne dass dies die Konkurrenz mitbekommt.




Ulrich Tukur und Garret Dillahunt in Houston - Foto (C) Farbfilm Verleih


Die Sache geht schief, weil Trunschka eben nicht mit dem nötigen Geschick und Nachdruck Situationen sucht, in denen die Kontaktaufnahme möglich wäre, und so wird Trunschka nach Houston geschickt, um vor Ort mehr Erfolg zu haben. An dieser Stelle des Films wirkt die Geschichte bei Lichte gesehen – und davon gibt es viel, denn aus der gleißenden texanischen Sonne macht Kameramann Michael Kotschi wunderschöne flirrende Bilder – recht unrealistisch. Denn welcher Headhunter scharwenzelt schon ohne jedes offizielle Papier oder ohne jede Vorankündigung wie ein dummer Schulbub vor einem Konzernhochhaus oder der Privatadresse des Superoberpräsidentenchefs herum, um den für einen Small-Talk abzufangen? Egal, die mangelnde Glaubwürdigkeit spielt gar keine Rolle, denn die Story ist konsequent und mit einer unterhaltsamen Mischung aus Spannung, Witz und Melancholie erzählt. Vor allem ist Tukur in jeder Szene glaubhaft, in der Hilflosigkeit und Verzweiflung immer stärker von seiner Figur Besitz ergreifen.

Zur Qualität des Films trägt auch Tukurs US-Kollege Garret Dillahunt bei, der ein wunderbares Porträt eines typisch kumpelhaften, aufdringlich-lauten und optimistischen Amerikaners bietet, der dem nüchternen, stoisch an seiner Aufgabe sich abarbeitenden Trunschka abwechselnd erfreut oder nervt. Die beiden Schauspieler verkörpern treffsicher die unterschiedlichen Mentalitäten deutscher und amerikanischer Angestellter, dabei ist Dillahunts Figur ein nicht minder armes Schwein wie die Tukurs. Schon in Autopiloten von 2007 hatte Bastian Günther gezeigt, wie Männer und die von ihnen geschaffenen Arbeitswelten Menschen (überwiegend wiederum Männer) dazu nötigen, sich zu beugen und zu verbiegen, bis die Nerven nicht mehr mitmachen. In Houston schreibt Günther diese kritische Haltung etwas weniger bissig und dramatisch, dafür konzentrierter fort.




Garret Dillahunt und Ulrich Tukur in Houston - Foto (C) Farbfilm Verleih


Bewertung:    



Max-Peter Heyne - 4. Dezember 2013 (2)
ID 7427
Weitere Infos siehe auch: http://www.houston-film.de/


Männer im Abstiegskampf (I) | Inside Llewyn Davis

Post an Max-Peter Heyne



 

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