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Hollywood

Wie aus

einem Guss



Bewertung:    



Vor einigen Monaten durfte ich den deutschen Film Ein Geschenk der Götter loben, der auf die eigenwillige Theaterszene blickt und damit auf ebenso elegante wie pfiffige Weise Kritik an sozialen Verwerfungen äußert. Auch der aus Mexiko stammende Regisseur und Drehbuchautor Alejandro González Iňárritu unternimmt mit seinem neuen großartig ausgedachten Spielfilm Birdman etwas ähnliches, wobei die Fixierung auf eine Theatergruppe sogar noch stärker ausfällt, aber nicht nur die stilistische Raffinesse der US-Produktion ungleich höher anzusiedeln ist. Denn Birdman gehört zu den wenigen Dutzend Filmen der Filmgeschichte, die fast nur aus einer Bildeinstellung, also ohne (erkennbaren) Schnitt bestehen. Zwar sind im digitalen Zeitalter derlei Stilexperimente etwas einfacher geworden und damit häufiger zu sehen gewesen als in Zeiten klobiger oder unflexiblerer Kameras, die nur ein bestimmtes Fassungsvermögen an Filmmaterial besaßen (den Anfangspunkt dieser Entwicklung setzte die deutsch-russische Produktion Russian Ark [1999], der vermutlich einzige wirklich nur aus einer Einstellung bestehende 90plus-Minüter der Filmgeschichte).

Die Kamera klebt in den meisten Szenen dicht am Protagonisten Riggan (ein grandios differenzierend spielender Michael Keaton), der sich nach einer langen beruflichen Durststrecke im Filmbusiness nun als Theaterregisseur neu erfinden will. Im Schlepptau der sehr beweglichen (aber gottlob nicht hektischen) Kamera folgen wir dem hyperaktiven Riggan durch die verwinkelten Flure und Räume des Theaters am New Yorker Broadway, wo dieser mit Unterstützung einer labilen Kollegin (Naomi Watts) und seinem schnodderigen Manager (Zach Galifianakis ) eine ambitionierte Inszenierung eines Raymond Carver-Stücks vorbereitet. Riggan setzt dabei sein ganzes verbliebenes Renommee und Geld ein, weswegen die verschiedenen Widrigkeiten ihn immer nervöser machen: Sein brillanter Kollege Mike (Edward Norton), der den zweiten männlichen Part übernehmen soll, entpuppt sich als besserwisserische, provokative Rampensau, der am liebsten die Inszenierung an sich reißen möchte. Riggans Geliebte (Andrea Riseborough) und seine Tochter (Emma Stone) konfrontieren ihn mit seiner déformation professionelle, der permanenten Selbstbezogenheit. Die Medienvertreter sehen in ihm nur den ehemaligen Hollywoodstar und sind entweder desinteressiert oder – wie die Grande Dame der New Yorker Theaterkritik – zynisch.

Neben diesen elegant und treffsicher eingestreuten Nebensträngen muss Riggan aber vor allem einen Kampf mit seinen eigenen Dämonen ausfechten, die ihn in Gestalt seines Alter Egos, Birdman, zwischendurch immer wieder heimsuchen. Birdman ist der böse, absurd kostümierte Doppelgänger, der mit seiner Überheblichkeit für die ökonomischen Erfolge aus Riggans Vergangenheit und der breitenwirksame Macht einer mystischen Superheldenfigur steht. Birdman klebt wie Pech an Riggan, der mit den Selbstzweifeln eines gealterten, nicht mehr gefragten, abgebrannten und privat weitgehend gescheiterten Mannes eigentlich eine weit authentischere Identitätsfigur für ein Kinopublikum ist als es ein Birdman je sein könnte. Und doch hat der fliegende Superheld noch immer Einfluss auf seinen Erschaffer – ein Kampf zwischen Hoch- und Massenkultur, den Regisseur Iňárritu in grandiose Dialoge und Bilder gekleidet hat.

Michael Keaton spielt mit der Figur des Riggan quasi sich selbst. Denn der einstige Batman aus den Tim-Burton-Filmen spielt einen abgehalfterten Ex-Superhelden ("Birdman" = Riggan), der vom Ostküsten-Charakterschauspieler zum Hollywood-Superhelden wurde und nun denselben Weg wieder zurück zu gehen scheint: Keaton IST Birdman, denn wie kaum ein anderer kann er sein eigenes Image und seine eigenen Rollenerfahrungen nutzen. Dass der Film zum Schluss gleichsam drei verschiedene Enden seiner Story hintereinander abfeiert, ist einerseits ein verblüffendes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, die ein ums andere Mal unterlaufen werden. Andererseits gerät der Film mit über 120 Minuten Laufzeit dadurch in die Gefahr, die parodistischen Qualitäten zum Selbstzweck zu degenerieren (zumal der Theaterkosmos dabei verlassen und das Prinzip der unsichtbaren Montage durchbrochen wird). Doch dank der großartigen Schauspieler, der geschliffenen Dialoge und der raffinierten Kamera- und Regietricks bleibt der Film durchweg auf höchstem Unterhaltungsniveau. Ein moderner Klassiker ist er schon jetzt – der eine oder andere Oscar (gewiss für Keaton und das Drehbuch) in einigen Wochen wird das nur noch unterstreichen. 5 Sterne deluxe!



Birdman | (C) 2014 Twentieth Century Fox


Max-Peter Heyne - 28. Januar 2015
ID 8396
Weitere Infos siehe auch: http://www.fox.de/birdman


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