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Spanisches Kino

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Als die professionelle Werbefotografin Janis (Penélope Cruz) den attraktiven Arturo für ein Magazin ablichtet, öffnen sich die beiden Handlungsstränge von Pedro Almodóvars neuem cineastischen Meisterwerk Parallele Mütter. Arturo ist forensischer Anthropologe, und in Janis' Dorf gibt es aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges (1936-39) ein Massengrab, das die nachgeborenen Ur-Enkelinnen ausgegraben haben möchten. Unter den Ermordeten ist auch Janis' Urgroßvater, und die Frauen wollen ihre Ahnen würdig bestatten. Versprechungen kann Arturo (Israel Elejalde) keine machen, weil die Regierung diese Art von Ausgrabungen nicht mehr finanziert. Aber er will sich der Sache annehmen. Gleichzeitig beginnen die beiden eine Affäre miteinander, die mit einer unbeabsichtigten Schwangerschaft vorläufig endet.

Auf der Entbindungsstation lernt Janis die Jugendliche Ana (Milena Smit) kennen, die traumatisiert erscheint und sich gar nicht auf ihr Kind freuen kann. Als Anas Mutter Teresa (Aitaba Sánchez Gijón) auftaucht, entfaltet sich ein Trio verschiedener parallel existierender Typen von Müttern. Janis ist so eine Art natürliche Mutter. Obwohl Arturo ihr eröffnet hat, dass er bei seiner Frau bleibt, weil diese gerade eine Chemotherapie durchstehen muss, freut sich die Vierzigjährige auf ihr Baby und ist guter Dinge. Anas Schwangerschaft kam durch Gewalteinwirkung zustande. Bei ihr wird sich im Laufe der Handlung eine innige Beziehung zum Kind erst entwickeln. Dann ist da der aussichtslose Fall von Teresa, der Mutterschaft einfach abgeht. Da ist weder was von Natur aus da oder etwas, das sich entwickeln könnte.

Almodóvar hält in seinem Drehbuch immer wieder Überraschungen bereit, bei einem aber eher entschleunigten Tempo und ruhiger Kameraführung. Penélope Cruz zieht bei der Darstellung dieser sehr komplexen, widersprüchlichen und faszinierenden Figur alle Register. Die Nachwuchsschauspielerin Milena Smit ist die eigentliche Entdeckung des Films. - Der Meisterregisseur setzt überwiegend auf altbewährte Weggefährten wie José Luis Alcaine hinter Kamera, seinen Bruder Agustin Almodóvar als Produzenten und die Filmmusik von Alberto Iglesias. Er hat auch wieder eine kleine Rolle für die beliebte Schauspielerin Julietta Serrano geschrieben, die seit den 1960er Jahren aktiv ist.

*

Penélope Cruz gehört zu seinen Musen und man merkt ihrem Spiel die Vertrautheit mit Almodóvar an. Zuletzt spielte sie in seinem autobiografisch gefärbten Film Leid und Herrlichkeit seine Mutter. Wie immer hat Almodóvar grandiose Drehorte, die Wohnungen und ihre Einrichtungen sprechen für sich, jede einzelne Szene ist sorgfältig komponiert, der Film gespickt mit kunstgeschichtlichen und literarischen Anspielungen. Almodóvar schildert die Mutterschaft sehr nuanciert. Nach der ersten Begeisterung setzt die Dauermüdigkeit ein, und irgendwann fällt Janis die Decke auf den Kopf. Sie findet eine tolle Tagesmutter und arbeitet wieder. Auch Jobs, für die sie überqualifiziert ist. Eine perfekte Hausfrau ist sie nicht, da sie es gewohnt ist, eine Haushälterin zu haben, aber kochen kann sie einigermaßen, wenngleich sie sich beim Gemüseschneiden herrlich ungeschickt anstellt.

Janis hat auch eine dunkle Seite, denn sie enthält Ana wichtige Informationen vor. Sie hat einen Mutterschaftstest machen lassen, nachdem Arturo Zweifel an seiner Vaterschaft an ihrem Kind geäußert hatte, aber nur er kommt als Vater in Frage... Almodóvar legt hier sorgfältig Schicht um Schicht Ängste, Egoismen, Mutterliebe, Freundschaft, Ehrlichkeit, Leidenschaft, Verrat frei. Eine riesige Palette an Gefühlen, die uns als Menschen ausmachen.

Mitten in den entstehenden Konflikt bringt Arturo gute Nachrichten. Er hat die Genehmigung für die Ausgrabungen bekommen. Dieser Fall ist relativ leicht, weil der genaue Ort bekannt ist und die Identität der zehn Männer schon feststeht. So fährt er mit Janis durch ihr Dorf, befragt die nachgeborenen Angehörigen und nimmt ihnen Proben für DNA-Tests ab. Es sind die Frauen, die das Projekt über viele Jahrzehnte unbeirrt betrieben haben. Auf ihre Art sind auch sie parallele Mütter, im übertragenen Sinne. Denn mit der Klärung der Vergangenheit stellen sie sich dem kollektiven Trauma und schaffen Raum für eine Erinnerungskultur und ein Bekenntnis zu ihren Wurzeln. Dann können die jetzigen und künftigen Generationen befreiter aufwachsen, denn z.B. zieht sich das Phänomen der abwesenden Väter durch alle Gesellschaftsschichten. Die Frauen können nun ihre männlichen Urahnen mit kirchlichen Riten in Würde bestatten, überführen sie vom Krieg so zu sagen zurück in den Frieden. Für Almodóvar scheint die Aufarbeitung historischer Traumatisierungen eben so wichtig zu sein, wie die persönlicher.

Die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit ist auch in Spanien schmerzhaft, die Diffamierung, Verfolgung und schließlich Ermordung Andersdenkender gehört zu den dunklen Kapiteln der Geschichte. Für die Spanier ging der Faschismus erst 1975 mit dem Tod Francos zu Ende, und Almodóvar hat sich von Beginn seiner künstlerischen Tätigkeiten an für den Demokratisierungsprozess eingesetzt.

Der Film schließt mit einem Spruch des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano: „Die Geschichte ist niemals stumm. Egal wie sehr sie in Brand gesetzt oder kaputt gemacht wird, egal wie viele Lügen erzählt werden, die menschliche Geschichte weigert sich den Mund zu halten.“



Mutterschaft verbindet. Janis (Penélope Cruz) mit der jungen Ana (Milena Smit) | (C) El Deseo Studiocanal

Helga Fitzner - 8. März 2022
ID 13505
https://www.studiocanal.de/kino/parallele_muetter


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