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Selten genug ist im BERLINALE-Wettbewerb eine überzeugende Komödie zu sehen, die nicht mehr als ein Feigenblatt innerhalb der düsteren und schweren Dramenangebotes ist. Maria Schrader ist es gelungen, mit ihrem neuen Film als Regisseurin, ein sehr aktuelles Thema – künstliche Intelligenz (KI) – mit Hintersinn, aber auch Ironie, Humor und sogar Leichtigkeit zu behandeln. Die Story um eine Historikerin, die eher widerwillig drei Wochen lang mit einem künstlichen Mann zusammenleben darf, um zu prüfen, ob Roboter einen Anspruch auf Menschenrechte bekommen sollen, buchstabiert alle Aspekte des komplexen Verhältnisses von Mensch zu menschenähnlichen Maschinen durch, wirkt aber in keiner einzigen Szene überladen oder anstrengend. Stattdessen fügen sich temporeiche Dramaturgie, philosophische Facetten und bissige Betrachtungen nach-moderner Lebensweisen zu einem überraschend harmonischen, höchst unterhaltsamen Gesamterlebnis zusammen. Und ein wunderschöner Berlin-Film, der die Stadt als Kulisse vortrefflich nutzt, ist es obendrein.

Viel Anteil gebührt dabei Ko-Autor Jan Schomburg, der zusammen mit Maria Schrader das Drehbuch nach Motiven der Erzählung Ich bin dein Mensch der in Berlin lebenden Autorin Emma Braslavsky adaptierte, dem Kameramann Benedict Neuenfels und nicht zuletzt dem Schauspielensemble mit Maren Eggert an der Spitze, die für ihre Interpretation der Wissenschaftlerin Alma im Frühjahr nach der Online-BERLINALE den Silbernen Bären als beste Schauspielerin erhielt.

Aber auch der Brite Dan Stevens muss unbedingt lobend erwähnt werden. Er spielt den Robotermann Tom mit so viel unwiderstehlichem Charme und elegant-präziser Motorik, dass er mühelos John Malkovich als Mr. Right (in Making Mr. Right – Ein Mann à la Carte) das Wasser reichen kann. Malkovich spielte einen Androiden aber auch schon 1987, als das Thema Künstliche Intelligenz angesichts der damals noch recht klobigen Personal Computer von IBM oder Apple kaum Beachtung fand. Tom ist hingegen ein deutlich optimierter Android, dem man/frau – ähnlich wie den Robotermenschen im Film und der Serie Westworld – seine Künstlichkeit nicht ansieht und der nicht nur über erstaunliche physiologische, sondern auch Fähigkeiten der Selbstreflexion verfügt. Er ist eben von Kopf bis Fuß – und auch dazwischen – zumindest für Alma als glückseligmachender Partner gebaut und programmiert.

Diese jedoch weiß die von Tom routinemäßig rausgehauenen Komplimente und Rilke-Gedichte nicht zu schätzen. Alma ist nicht nur skeptisch, sondern auch widerspenstig und rebellisch, was den Umgang mit ihrem faszinierenden, aber auch beängstigend perfekten Lebensgefährten betrifft – und das ist die großartige, spezifisch feminine Perspektive, aus der diese Geschichte erzählt wird: Alma ist eine typische Vertreterin der Generation Annalena Baerbock oder Luisa Neubauer (Fridays For Future): Sie sind sehr selbstbewusst, wirken stark und aktiv, haben eigentlich den gesellschaftlichen, rechtlichen Gleichstand mit der jahrhundertelang dominierenden Männerwelt erreicht, stehen aber dennoch unter permanentem Erfolgs- und Rechtfertigungsdruck. Denn sind sie nicht doch noch die verhuschteren, emotional labileren und weniger zielstrebigen Menschen, die bei Krisen und Katastrophen zur Zickigkeit und Hysterie neigen?

Diese verqueren Unterstellungen sind untergründig auch in den weitgehend emanzipationswilligen, nachmodernen Dienstleistungsgesellschaften noch rumorend wirksam, wie medial unterstützte Angriffe auf selbstbewusste und erfolgreiche Frauen zeigen. Der allmähliche Einbruch von hochentwickelten Trägern von KI in unseren Alltag führt den Geschlechterzwist nun auf eine höhere, quasi post-humane, übergeordnete Ebene: Nicht nur stehen Frauen unter Optimierungsdruck, mehrere Rollen gleichzeitig in der Gesellschaft zu wuppen. Auch die Männerwelt, ob sie Frauen nun tendenziell eher unterstützt oder aus Neid behindert, wird sich mit Androiden bzw. Robotermännern vergleichen müssen, die ihre Funktionen leichter erfüllen. Die überwiegend von Geschlechtsgenossen entwickelten Roboter bedrohen die Durchschnittsware Männer möglicherweise noch stärker, solange die so genannte emotionale Intelligenz, Empathie und vorsichtsvolles Handeln bei ihnen nicht ebenso zum Standardprogramm gehört wie bei Frauen – und den Robotern der näheren Zukunft.

Wer Maria Schraders Film sieht, muss an die unheimliche Prognose des im März 2018 verstorbenen Astrophysiker Stephen Hawkins in seinem letzten Buch Kurze Antworten auf große Fragen denken, wo er schrieb, dass unvermeidlich schon bald die letzten Tabus in der KI- und Genforschung fallen und Menschen zielgerichtet zu hochoptimierten Übermenschen designt werden. Damit würden die jetzigen Generationen, die mit allerlei genetischen und/oder psychologischen Lasten auf dieser Erde umhergehen – qua Leistungssteigerung ins Abseits gedrängt.

Ich bin dein Mensch schildert dieses schon sehr nahegerückte Dilemma aus dezidiert weiblicher Sicht, aber nicht als düstere Dystopie, sondern als spannungsreiche und amüsante Burleske. Mit großer Selbstironie spiegelt Schrader die Eigenheiten zeitgenössischer Erfolgsfrauen, die durch den Druck, genauso selbstbewusst, ernst und energisch zu sein wie ihre Kollegen, bisweilen nur noch schlecht gelaunt, gestresst und besserwisserisch sind. Dass ein Mann mit seiner künstlichen Traumfrau auch sein Glück finden kann, ohne schlechtes Gewissen zu haben, inszeniert Schrader nur in einer kurzen, aber in Sachen Männerfantasien sehr erhellenden Szene.

Maria Schrader hat sich mit ihrem neuesten Film endgültig für Hollywood empfohlen, wo sie nun das bittere Kapitel um einen der dort einst mächtigsten Produzenten, Harvey Weinstein, inszeniert. Hoffentlich wird es für alle eine gute Erfahrung. Im Moment heißt es noch ganz klar: Ich bin dein Film!



Ich bin dein Mensch | (C) Majestic Filmverleih

Max-Peter Heyne - 1. Juli 2021
ID 13010
Weitere Infos siehe auch: http://www.ichbindeinmensch.de/


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