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Südkoreanisches Kino

Bekenntnis

zum Leben



Bewertung:    



Auf den ersten Blick sehen sie gar nicht wie Menschenhändler aus, wenn sie mit dem klapprigen Van einer Wäscherei durch die Gegend fahren, um ein Baby zu verhökern. - Bei Nacht und Nebel hatte die junge Mutter So-young ihr Kind vor der Babyklappe einer Kirche abgelegt, es sich dann aber anders überlegt. Doch der Säugling war verschwunden, weil die beiden Mitarbeiter Sang-hyun und Dong-Soo das Kind in Sang-hyuns Wäscherei versteckten, um es meistbietend adoptieren zu lassen. Die Mutter machte aber die beiden Entführer ausfindig und will einen Teil der Gewinns abbekommen. Die überraschend naiven Ganoven haben der entschlossenen jungen Frau wenig entgegenzusetzen und machen sich gemeinsam auf den Weg zu den ersten Interessenten. Unterwegs gesellt sich noch der achtjährige Waisenjunge Hae-jin dazu, der sich als blinder Passagier bei ihnen eingeschmuggelt und zu viel mitbekommen hat. So beginnt eine Odyssee durch Südkorea, wobei sie nicht ahnen, dass sie von der Polizei verfolgt werden, die sie auf frischer Tat ertappen will, und dass auch zwei weitere Kriminelle hinter ihnen und dem Neugeborenen her sind.



V. l. n. r.: Der Waisenjunge (Seung-so Im), der junge Babyhändler (Gang Dong-won), die junge Mutter (Ji-eun Lee), ihr Baby (Ji-yong Park) und der Chef-Babyhändler (Song Kang-ho) auf dem Weg, das Baby zu verkaufen | © Plaion Pictures


Der japanische Meisterregisseur und Drehbuchautor Hirokazu Kore-eda hatte schon zehn Jahre zuvor die Idee zu einem Film über Waisenkinder. Seinen Hauptdarsteller hatte er auch schon in Blick, den südkoreanischen Schauspielstar Song Kang-ho. Der willigte ein, und das Drehbuch wurde ihm auf den Leib geschrieben. Kore-eda erinnert sich: „Bei Song Kang-ho wusste ich von Anfang an, dass er die Rolle des Sang-hyun spielen sollte, noch bevor ich das Drehbuch schrieb. Diese Figur, mit ihrem Mix aus kaltem Materialismus und tiefer Menschlichkeit, passt perfekt zu ihm, da er diese Ambivalenz sehr authentisch verkörpert.“

In der Zwischenzeit erlangte Song Kang-ho Weltruhm als Hauptdarsteller in Parasite, der mit Preisen überschüttet wurde und 2020 allein vier Oscars in Hauptkategorien absahnte. In Broker spielt er einen glücklosen Wäschereibesitzer, dessen Existenz von Salons mit Waschvollautomaten bedroht ist. Zudem wird er von Schuldeneintreibern unter Druck gesetzt. - Im Lauf der Geschichte wachsen die Außenseiter aber zusammen, so dass ihre zutiefst menschlichen Seiten zum Vorschein kommen. Allein den großen, kräftigen Mann dabei zu beobachten, wie er mit zarter Hand das Baby badet, einen Knopf annäht oder den Waisenjungen tröstet, ist einfach herrlich. Dafür gewann Song-Kang-ho 2022 in Cannes verdient den Preis als bester männlicher Hauptdarsteller.

Da die meisten der Charaktere vielschichtig sind, stand auch schon früh Gang-Dong won als Komplize Dong-Soo fest. „Seine Augen haben in diesem Film dieses Durchdringende und zutiefst Einsame... Als trüge er die Traurigkeit der ganzen Welt auf seinen Schultern.“ Dong-Soo wuchs im Waisenhaus auf, und neben dem Gewinnstreben will er ungwollten Kindern zur Adoption verhelfen, damit ihnen das Waisenhaus erspart bleibt. Die beiden Babyhändler reden sich selbst höhere Beweggründe ein, und als sie auf dem Weg zu potentiellen Käufern in dem Waisenhaus Zwischenstopp einlegen, in dem der junge Mann aufwuchs, wirkt das schon glaubhafter. Nur 3 Prozent ehemaliger Heimkinder schaffen es später, sich eine solide bürgerliche Existenz aufzubauen.

Die erfolgreiche Schauspielerin und Sängerin Ji-eun Lee kam später dazu, die die komplexe Rolle einer Mutter spielt, die ihr Kind weggibt und sich an dem Gewinn beteiligen lassen will, aber dramatische Beweggründe hat, die erst im Laufe des Roadtrips offenbart werden. Sie wehrt sich dagegen, als Rabenmutter zu gelten, denn schließlich hat sie das Kind ausgetragen und beklagt die Doppelmoral, dass eine Abtreibung in Ordnung gewesen wäre, aber ein Verlassen des Kindes nicht. Irgendwann erzählt sie dem jüngeren der Entführer, Dong-Soo, ihre Geschichte, der daraufhin eine Art Erweckungserlebnis hat. Er kann sich nun sehr gut vorstellen, dass seine eigene Mutter auch triftige Gründe hatte, ihn wegzugeben, um ihm vielleicht Schlimmeres zu ersparen als das Waisenhaus. Er hat sich immer wieder über die Frage nach dem Wert und Sinn des Lebens Gedanken gemacht. In Südkorea kostet ein männlicher Säugling auf dem Schwarzmarkt rund 7.500 Euro, Mädchen etwas weniger.

Und das ist die Kernfrage des Films: Ist es besser gar nicht erst geboren zu werden, wenn die Begleitumstände ungünstig sind? Bei einem Regisseur und Autor wie Kore-eda ist klar, dass es zu einem Bekenntnis zum Leben kommt, aber wie hochemotional und feinfühlig er den Höhepunkt inszeniert, ist ein ganz großer und vermutlich unsterblicher Kinomoment.

Sogar die übermüdeten Polizistinnen sind gerührt, die es mittlerweile geschafft haben, die Gruppe abzuhören. Sie hatten aktiv versucht, einen Verkauf des Babys zu inszenieren, um die Menschenhändler verhaften zu können. Aber wer sind dann eigentlich die Broker? Die drei Erwachsenen, die zusammen mit dem Säugling und dem Waisenjungen zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen und mehrere Gelegenheiten zum Verkauf ungenutzt lassen oder die hartnäckigen Gesetzeshüterinnen? Broker ist ein Begriff aus der Finanzwelt und bedeutet Makler oder Zwischenhändler. So bringt uns Kore-eda die Verbrecher sehr nahe, die er in einem menschlichen und verständnisvollen Licht erstrahlen lässt. Eines seiner Vorbilder ist der britische Filmemacher Ken Loach, mit dem der Japaner ein großes Herz für kleine Leute teilt, vor allem für diejenigen, die im Überlebenskampf mitunter mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Während der japanische Ausnahmekünstler uns an dem temporären Glück der kleinen „Familie“ teilhaben lässt, die auf Wunsch des Waisenjungen Ausflüge unternimmt und ihre Gemeinschaft genießt, rückt die anstehende Katastrophe immer näher, denn es steht zusätzlich noch ein ungesühntes Kapitalverbrechen im Raum und die Verfolgung durch skrupellose Gangster.

Wie schon in Shoplifters – Familienbande geht Kore-eda nicht so weit, seine kriminellen Protagonisten ungeschoren davonkommen zu lassen: Shoplifters ist ein cineastisches Meisterwerk, für das er 2018 mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet wurde. Spätestens danach war er in der Elite der internationalen Filmemacher angekommen. Es folgte 2019 ein Versuch mit französischem Kino mit La Verité mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche, und nach drei Jahren Wartezeit folgt mit Broker nun ein weiteres Kinohighlight. Kore-eda behandelt generell Themen, die uns alle angehen und als Menschen ausmachen, insbesondere die Identität, die mit unserer Herkunft, unserer Familie bzw. unserem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld zusammenhängt. Aber schlussendlich gestalten wir unser Leben selber und beeinflussen es durch unsere Entscheidungen und Fehlentscheidungen. Und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit haben wohl alle Menschen gemeinsam.
Helga Fitzner - 15. März 2023
ID 14101
Broker | Personen und ihre Darsteller:
Chef der Babyhändler (Sang-hyun) ... Song Kang-ho
Jüngerer Babyhändler (Dong-Soo) ... Gang Dong-won
Mutter (So-young) ... Ji-eun Lee
Erste Polizistin (Detective Lee) ... Lee Joo-young
Zweite Polizistin (Su-jin) ... Bae Doona
Waisenjunge (Hae-jin) ... Seung-soo Im
Baby (Woo-sung) ... Ji-yong Park


Weitere Infos siehe auch: https://broker-film.de


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