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Indonesisches Kino

Fremd im

eigenen Leben



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Die junge Mutter Nana (Happy Salma) weiß gar nicht, vor wem sie fliehen: Sind es die Niederländer, die Japaner oder jemand anderes, der hinter ihnen her ist? Ihre Schwester Ningsih (Rieke Diah Pitaloka) führt Nana und ihren Säugling kundig durch den indonesischen Regenwald. Flüsternd erklärt sie ihr, dass sie gegen ihren Willen mit einem Kämpfer in Uniform verheiratet worden wäre, egal ob Nana schon einen Ehemann und Sohn hat. Nana ahnt, dass ihr Vater die Flucht seiner Töchter mit dem Leben bezahlen wird, aber sie weiß nicht, wo ihr geliebter Ehemann sich aufhält und ob er noch lebt. Dieses Ereignis verfolgt sie noch jahrelang in ihren Albträumen.

Die indonesische Regisseurin Kamila Andini hat zusammen mit Ahda Imran das Drehbuch verfasst und begleitet ihre Protagonistin durch turbulente Zeiten von Mitte der 1950er Jahre bis circa Mitte der 1970er Jahre. Mit opulenten Bildern, teils surrealistischen Elementen, einer fantastischen Ausstattung und einer sehr ruhigen, mitunter fast meditativ wirkenden Kameraführung gelingt ihr mit Before, Now & Then eine beeindruckende Kinoperle. Der Titel beschreibt Teile von Nanas Lebensgeschichte, Ereignisse in der Vergangenheit, der Gegenwart, die Mitte 1960er Jahre spielt, und gibt einen kleinen Ausblick in die Zukunft am Ende. Die Politik bleibt etwas nebulös im Hintergrund, wird dem indonesischen Publikum aber bekannt sein. Im Vordergrund steht die Geschichte von Nana und anderen Frauen sowie die Auswirkungen der politischen Umstürze auf ihr Leben. Die Geflüchtete lebte zunächst in Armut, wurde aber dann von einem älteren Großgrundbesitzer geheiratet. Sie lebt mit ihm und ihren vier Kindern in Wohlstand und Sicherheit, führt erfolgreich den Haushalt und den Ablauf der Ernten.

Die weiteren politischen Ereignisse dringen in dieser Umgebung nur indirekt in ihr Leben ein. Sukarno war von 1945 bis 1967 der erste Präsident Indonesiens, einer Gruppe von über 17.000 Inseln, deren Bevölkerung die viertgrößte der Welt ist und zu denen Sumatra, Java, Borneo und Bali gehören. Der nationalistisch orientierte Politiker Sukarno versuchte, einen Einheitsstaat zu gründen, der zentralistisch organisiert sein sollte. Es rührte sich aber von den Einheimischen selbst Widerstand, und die Inseln haben außerdem schon immer Begehrlichkeiten ausländischer „Interessenten“ geweckt. Der Hauptteil der Handlung spielt während der Kommunisten-Verfolgung und trifft einen höchstwahrscheinlich Unschuldigen aus der Gruppe ihrer Arbeiter. Davon wird aber nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. (Die historischen Zahlen schwanken zwischen 500.000 bis zu über 3 Millionen Ermordeten). Eines Tages haben sich viele um das heimische Radio versammelt. Suharto, der für die Massaker verantwortlich war, wurde zum Präsidenten (1967-1998) ausgerufen und regiert den Vielvölkerstaat mit eiserner Hand und westlicher Unterstützung. Den Namen des alten Präsidenten Sukarno wagen die Bediensteten des Hauses nicht mehr auszusprechen.

Für die Frauen des überwiegend muslimisch geprägten Landes ändert sich nicht viel, in der Familie werden allerdings heimische sundanesische Traditionen gepflegt . Auch wenn Nana eigentlich Glück mit ihrem Ehemann „Mr. Darga“ (Arswendy Bening Swara) hat, ist sie nicht glücklich. Sie steht in dem wunderbaren großen Haus wie eine Figur herum, die nicht dazugehört. Zumindest fühlt sie sich so. Die Verwandten ihres Mannes und die „bessere Gesellschaft“ haben sie nie richtig akzeptiert und lassen sie das auch spüren. Aber ihr Mann ist rücksichtsvoll und wertschätzend ihr gegenüber, und es gibt durchaus zärtliche Momente, wenn sie ihm z.B. das ergraute Haar färbt. Es könnte eine vollkommene Ehe sein, wenn er nicht eine Geliebte hätte, die noch jünger ist als Nana. Aber „Mr. Darga“ ist ein lebenslustiger Mann, der gerne tanzt und die Gesellschaft der jungen Frau Ino (Laura Basuki, 2022 Silberner Bär als beste Nebendarstellerin) genießt.

Ino ist als Frau selbständig und setzt sich im Fleischereibetrieb als solche durch. Während alle anderen Frauen ihre langen Haare traditionell zu einem Knoten binden, trägt sie ihre offen. Nana könnte eifersüchtig sein, aber in dieser Zeit und dieser Gesellschaft hat sie nur die Möglichkeit, die Umstände zu ertragen, zum anderen findet sie Ino faszinierend, die für sie mehr und mehr zu einem Vorbild der Befreiung wird. Die beiden freunden sich sogar an, während Ino im Haus von „Mr. Darga“ mittlerweile ein und aus geht. Der Wunsch nach einem eigenen Leben wächst in Nana, bis sie eines Tages von Ereignissen in der Vergangenheit eingeholt wird.

Kamila Andini hat Nana einen Ehemann an die Seite gestellt, der empathisch auf ihre Albträume reagiert, seine Anerkennung ihr gegenüber zum Ausdruck bringt und ein guter Vater ist. Er ist alles andere als ein rücksichtsloser, gewalttätiger oder versoffener Rüpel, der seine Macht ausnutzt. (Einzig seine Schwäche für junge Frauen mag ihm angekreidet werden). Trotzdem leben die Frauen dieser Zeit in einem Gefängnis, denn sie können kein selbstbestimmtes Leben führen, sondern das, was ihnen der Ehemann und die Gesellschaft vorgibt. Ino ist die einzige Ausnahme in dem Ort, die sich von der Fremdbestimmung etwas gelöst hat. Und es sind hier nicht die Männer, die Konformität abverlangen, das regeln die Frauen untereinander, von denen die meisten Druck auf diejenigen ausüben, die sich abweichend verhalten. In ihrer Selbstgerechtigkeit und Bequemlichkeit halten sie am Status quo fest, denn ein eigenverantwortliches Leben wäre mit Erkenntniswillen, Aufbruch, Mühen und weniger Wohlstand verbunden. Doch Nana kann ihre Sehnsucht nach Freiheit kaum stillen. Da muss doch noch mehr sein, als sich einzig nach den Maßgaben einer strikten Politik und patriarchalischen Gesellschaft auszurichten und das eigentliche Leben ungelebt und unerfüllt an sich vorbeiziehen zu lassen. - Andini schafft es, die innere Dringlichkeit mitten im Wohlstand, trotz günstiger Lebensumstände und schöner Momente mit ihren Kindern zu illustrieren, ohne Schuldzuweisungen, Anklagen oder Auseinandersetzungen, aber sehr intensiv und berührend.



Nana (Happy Salma) fühlt sich, als ob sie nicht dazu gehört | © Cinejoy Movies

Helga Fitzner - 28. Juni 2023
ID 14269


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