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DVD-Kritik

Hommage an einen

Leinwandmagier



Bewertung:    



Luis Buñuel (1900-1983) zählt zu den 100 besten Regisseuren aller Zeiten und gilt als Vater des surrealistischen Films, in dem Träume und Alpträume inszeniert werden und Dinge, die in der Realität nicht so vorkommen. In Spanien geboren, lebte er zwischenzeitlich in Paris und war mit der führenden Avantgarde bekannt und befreundet, darunter Salvador Dalí, der Dichter und Theoretiker des Surrealismus' André Breton, Meret Oppenheim und sein amerikanischer Kollege Man Ray. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges waren die Schrecken nicht überstanden, Kommunisten und Faschisten kämpften in Europa um die Vorherrschaft, was zu immer mehr Armut führte. Daher wollte Buñuel einen Dokumentarfilm über die ärmste Region Spaniens drehen, die Extremadura, um die Zuschauer aufzurütteln und den Elenden zu helfen. Las Hurdes kam 1933 in die Kinos und bewegte die Menschen. Buñuel hatte aber gegen die Neutralitätsregel bei Dokumentationen verstoßen, bei denen man nur beobachten, nicht aber eingreifen darf, deswegen handelt es sich streng genommen um eine Doku-Fiktion, ein Begriff, der aber erst später aufkam.

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Die Entstehungsgeschichte dieses Films ist der Gegenstand der 2018 erschienenen Graphic Novel des spanischen Comiczeichners Fermín Solís, der aus der Gegend von Extremadura stammt und daher den nachhaltigen Eindruck kennt, den die Dreharbeiten auf das Dorf hinterlassen haben. Die Dächer dort sahen aus wie die Panzer von Schildkröten, und so heißen der Comic wie auch der Animationsfilm Buñuel im Labyrinth der Schildkröten, und unter dem Panzer spielen sich menschliche Tragödien ab, die von dem spanischen Regisseur Salvador Simó feinfühlig inszeniert werden. Er schildert den jungen Buñuel am Anfang seiner Karriere, wo er schon ziemlich stur und kompromisslos seinen Ideen folgt. Simó bringt auch etwas hinein, was in Las Hurdes fehlt, den Surrealismus, der das Schaffen Buñuels ausmacht.

Der Film beginnt in Paris, wo sich viele Kunstschaffende und Intellektuelle treffen und die politische Lage diskutieren. Wenn Buñuel nur die Mittel hätte, würde er sofort in der Extremadura drehen, über die er gerade ein Buch gelesen hatte. Sein Freund Ramon Acín kauft sich ein Lotterielos, wenn er gewänne, dann würde er den Film finanzieren. „Das wäre in der Tat surrealistisch“, scherzt Buñuel, doch genau das geschieht. Und so machen sich Buñuel, Acín, der französische Kameramann Eli Lotar und der französische Schriftsteller Pierre Unik auf den Weg, um in der abgelegenen Region zu filmen.

Buñuel leidet unter Albträumen, da ist die Angst vor dem strengen und abweisenden Vater, um dessen Liebe er buhlt, sie aber nie erreicht, er litt als Kind auch an der Strenge des Katholizismus, den er als Erwachsener abgestreift hat, der ihn aber in seinen Träumen immer wieder einholt. Dann fliegen aber auch gelbe Schmetterlinge herum. und Elefanten auf riesig langen Giraffenbeinen laufen durch Paris, als Verbeugung vor Salvador Dalí. Die Dreharbeiten sind strapaziös, und Buñuel greift immer wieder in das Geschehen ein. Weil abgestürzte Bergziegen eine seltene aber willkommene Nahrungsquelle sind, will er das filmen. Die sind nun aber sehr geschickt, und es kommt selten zum Absturz. Buñuel hilft mit seiner Pistole nach. Das ist im Dokumentarfilm nicht zu sehen, aber im Animationsfilm. Es werden der Filmkunst zuliebe auch Hühner und ein Esel getötet, um Dramatik zu erzeugen, weswegen es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Buñuel und Acín kommt.

Für Buñuel ist die dramatische Repräsentation der Wirklichkeit ein legitimes Mittel. Simó schneidet zum Vergleich immer wieder Originalszenen aus dem Film Las Hurdes ein. Während im Original Kleinwüchsige und Behinderte als gefährlich dargestellt werden, wollen sie sich im Animationsfilm nur filmen lassen, wenn sie eine Runde im Auto mitfahren dürfen. Das wäre der Absicht Buñuels aber zuwider gelaufen, denn er wollte die Missstände durch Hunger, mangelnde Hygiene und ärztliche Versorgung sowie die Schäden durch Inzest hervorheben und bei den Zuschauern nicht nur Mitleid sondern Entsetzen auslösen.

Buñuel erregte mit seinen Filmen viel Aufmerksamkeit und auch Unwillen, einmal wegen ihrer ungewöhnlichen Inhalte, zum anderen wegen ihrer Kritik am Christentum und der Dekadenz der Bourgeoisie. Von 1936 bis 1976 war Spanien unter Franco eine faschistische Diktatur, als die Nationalsozialisten in Paris einmarschierten, arbeitete Buñuel in den USA. 1946 zog er ins Exil nach Mexiko, wo er seine ergiebigste Zeit als Filmschaffender hatte. Er schrieb Filmgeschichte, zu seinen bekanntesten Werken gehören Tagebuch einer Kammerzofe (1964), Belle de Jour (1967), Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972), Das Gespenst der Freiheit ( 1974), und sein letzter Film war Dieses obskure Objekt der Begierde (1977). Er verletzte mit seiner Gesellschaftskritik oft Tabus und schockierte mit seinen Bildern, aber es ging ihm nicht um Effekthascherei oder Brutalität, denn dazu hatte er einen viel zu feinsinnigen Humor. Diese Art von Filmemachern, die die Gesellschaft kritisch analysieren und ihr einen Spiegel vor die Nase halten, gibt es heute kaum noch. Buñuel hat dabei die Kunstgattung des surrealistischen Films entscheidend mitgeprägt und uns ein nachhaltiges Werk hinterlassen, in dem er die Wahrheit und auch die Rätselhaftigkeit der Welt zu ergründen suchte. Buñuel starb 83jährig in Mexiko-Stadt, Ramon Acín, dessen Lotteriegewinn Las Hurdes möglich gemacht hatte, wurde 1936 von spanischen Faschisten ermordet.



Buñuel (re.) und Ramon Acín (li.) bei den Dreharbeiten zu Las Hurdes | © Arsenal Film

Helga Fitzner - 1. Juli 2020
ID 12330
Weitere Infos siehe auch: https://arsenalfilm.de/bunuel/index.htm


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