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In memoriam

Wolfgang

Kohlhaase †

Nachruf auf den Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller


Wolfgang Kohlaase (2009) | Foto (C) Petr Novák; Bildquelle: Wikipedia


90 Jahre ist eine gesegnetes Alter, das nicht viele erreichen und schon gar nicht so geistig rege und für den Beruf interessierte wie der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der auf ein reiches Schaffen von gut 70 Jahren zurückblicken konnte. Mit 91 Jahren ist er nun, man muss schon sagen unerwartet, gestorben. Geboren 1931 in Berlin als Sohn eines Maschinenschlossers erlebte er das Naziregime als Heranwachsender, dem sich nach dem Krieg alle Wege öffneten. Da er bereits als Schüler erste Erzählungen geschrieben hatte, begann er 1947 ein Volontariat bei der Jugendzeitschrift „Start“. Später schrieb er für die „Junge Welt“ Reportagen und Filmkritiken. Das brachte ihn schließlich zur DEFA, wo er von 1950-1952 als Dramaturgie-Assistent erste Filmluft schnupperte und das Handwerk von der Pike auf erlernte. Danach arbeitete er als freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller.

Die ersten Drehbücher verfasste er für den Regisseur und Freund Gerhard Klein. Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit entstand eine ganze Reihe von Berlin-Filmen, wie etwa Alarm im Zirkus und Eine Berliner Romanze über die Sektorengrenzen hinaus mit Annekathrin Bürger und Ulrich Thein. Zu einer gewissen Bekanntheit gelangte aber vor allem der 1957 entstandene, am italienischen Neorealismus geschulte Film Berlin - Ecke Schönhauser mit dem jungen Brechtschwiegersohn Ekkehard Schall. Den Film über eine Gruppe orientierungsloser Ostberliner Jugendlicher hatte der Regisseur Klein größtenteils an den Entscheidungsinstanzen vorbei gedreht, was den Erfolg letztendlichen nicht stoppen konnte. Erst das Ende der sogenannten Tauwetterperiode, die 1953 nach dem Tod Stalins einige politische Freiheiten brachte, bereiteten dem Duo Kohlhaase/ Klein größere Probleme, die 1965 zu einem Verbot des gemeinsamen Film-Projekts Berlin um die Ecke führten.

Danach verlegte sich Kohlhaase auf das Schreiben von Erzählungen und Hörspielen. Die zweite kongeniale Zusammenarbeit begann 1968 mit dem Regisseur Konrad Wolf, für dessen eigene Erlebnisse als Sowjetsoldat bei der Befreiung Deutschlands Kohlhaase das Drehbuch verfasste. Der Film Ich war neunzehn mit Jaecki Schwarz in der Hauptrolle beeindruckt auch heute noch durch seinen schonungslosen Realismus, dem sich Wolfgang Kohlhaase immer verpflichtet fühlte. Der nackte Mann auf dem Sportplatz (1974) mit Kurt Böwe als Bildhauer in der Krise und Mama, ich lebe (1976), ein weiteres Weltkriegsdrama, runden dieses Bild ab. Der neben Die Legende von Paul und Paula (1973) von Heiner Carow (Drehbuch: Ulrich Plenzdorf) mit Sicherheit erfolgreichste DEFA-Film glückte Kohlhaase und Wolf aber 1979 mit Solo Sunny über eine unangepasste junge Frau, die für die Verwirklichung ihres Traums, professionelle Sängerin zu werden, keine Kompromisse eingeht. Renate Krößner erhielt für ihre Rolle als Sunny den Silberner Bären der Berlinale.

Ehrlich, menschlich nie zynisch oder übertrieben ironisch zeichnete Wolfgang Kohlhaase die Figuren in seinen Drehbüchern. Auch wenn mal Genre drauf stand wie bei Der Bruch (1988) in der Regie von Frank Beyer mit Götz George, Otto Sander und Rolf Hoppe als Gaunertrio im Nachkriegs-Berlin, waren die Stoffe doch immer aus dem Leben gegriffen. Mit dem Drehbuch zur Hermann Kant-Verfilmung Der Aufenthalt (1982, Regie: Frank Beyer) gelang Kohlhaase ein weiteres spannendes Nachkriegsdrama über einen ehemaligen Wehrmachtssoldat in Kriegsgefangenschaft in Warschau. Drehbücher zu Historienfilmen über die deutsche Vergangenheit zählen ganz selbstverständlich zu Kohlhaases Werk wie auch der Film Die Grünstein-Variante (1985, Regie: Bernhard Wicki), eine deutsch-deutsche Koproduktion. Ein weiterer Erfolg war 2000 der Film Die Stille nach dem Schuss (Regie: Volker Schlöndorff) über eine RAF-Terroristin (Bibiana Beglau), die in die DDR flieht.

Kohlhaase konnte nach der Wende schnell auch gesamtdeutsch Fuß fassen, was sicher auch an dem bisherigen Erfolg der Filme nach seinen Drehbüchern lag. Mit Preisen ist für einen Drehbuchautor ungewöhnlich reich gesegnet. Er hat die Grundlage für viele große Filme gelegt, für die es auch immer entsprechende Regisseure gab. Nicht zuletzt Andreas Dresen, mit dem er drei Filme schuf. Gleich der erste war wieder ein großer Erfolg. Sommer vorm Balkon (2005) ist wieder ein typischer Berlinfilm mit Herz und Schnauze, in dem zwei starke Frauen (Inka Friedrich, Nadja Uhl) trotz etlicher Widrigkeiten und schwierigen Liebesbeziehungen zusammenhalten. In den Film sind kleine Reminiszenzen an Kohlhaases Solo Sunny eingebaut. Nicht so bedeutend aber nicht weniger gut waren die Tragikomödie Whisky mit Wodka (2009) mit Henry Hübchen als abgehalftertem Schauspieler und der Film Als wir träumten (2015) nach dem Roman des Leipziger Autors Clemens Meyer. Ein Clique Halbstarker wie in Berlin - Ecke Schönhauser nun im Leipzig der Nachwendezeit.

Eine weitere große Literaturadaption war 2017 das Drehbuch zu In Zeiten des abnehmenden Lichts nach Egon Ruges gleichnamigen Roman (Regie: Matti Geschonneck). Wieder ein großes Schauspielerfest mit Bruno Ganz, Sylvester Groth, Angela Winkler u.a. Auch ein spätes Pendant zu den Erinnerungen und Filmen von Konrad Wolf. Da schließt sich ein Kreis auch im Schaffen von Wolfgang Kohlhaase, das man allerdings nicht nur auf den Film begrenzen sollte, obwohl seine 1977 geschriebene Erzählung Erfindung einer Sprache mittlerweile mit Persischstunden (2019, Regie: Vladimir Perelman) selbst zum Filmstoff geworden ist. Auch für den Hörfunk und das Theater hat Kohlhaase geschrieben. Als Referenz sei hier das Kriminalstück Fisch zu viert genannt. 1968 zusammen mit Rita Zimmer verfasst, fand die Komödie über den Umweg Hörspiel und Film (1970) wieder zurück auf die Bühne und ist seitdem ein Klassiker des Boulevard-Theaters.
Stefan Bock - 8. Oktober 2022
ID 13844

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