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71. Internationale Filmfestspiele Berlin

Panorama

Ted K

Censor



Das Panorama bot in diesem Jahr wieder einen sehr breitgefächerten Rundblick über das Filmgeschehen in aller Welt, wobei neben dem traditionellen queeren Kino die restliche Mischung wieder so – pardon: heterogen – war, dass kaum ein anderer Schwerpunkt zu benennen ist. Allerdings lässt sich beobachten, dass unter der neuen Festivalleitung in erster Linie nicht mehr der Wettbewerb, sondern die BERLINALE-Specials dem Panorama Konkurrenz machen. Denn als Special scheint nun alles abgefeiert zu werden, was im vom Autorenfilm dominierten Wettbewerb zu massentauglich gilt. Da wird es das Panorama in Zukunft nicht ganz leicht haben, quasi in zweiter Reihe ebenfalls dokumentarische wie fiktionale Filme aufs Schild zu heben, die trotz aller persönlicher Handschriften ein gewisses Potential für eine normale Kinoauswertung besitzen.

Diese beiden Filme, die von Wahnsinn, Besessenheit, Fanatismus und Gewalt erzählen, haben dies Potential ohne Zweifel: Ted K (USA) und Censor (GB)

*

Ted K, ein ungewöhnlicher Thriller des New Yorker Filmemachers Tony Stone, erzählt skizzenhaft das unheilvolle Leben des Terroristen Ted Kaczinskys nach, der als erklärter Feind technologischen Fortschritts in einem Zeitraum von beinahe 20 Jahren insgesamt 16 Briefbomben innerhalb der USA verschickte, die 23 Menschen zum Teil schwer verletzten und drei töteten. Die Untersuchungen, um den Täter aufzuspüren, gelten mit rund 50 Millionen US-Dollar als bis heute die aufwändigsten und teuersten in der Geschichte des FBI. In strengem Kontrast dazu steht das Leben als Einsiedler, man kann schon sagen: Waldschrat, das Kaczinsky in einer Blockhütte in den Wäldern Montanas führte, wo er sich weitegehend autark versorgte und nur wenig Kontakt zur Außenwelt hatte.

Regisseur Tony Stone rückt dieses skurrile Einsiedlerleben in den Mittelpunkt seines Films, spart also die Vorgeschichte von Kaczinskys Leben aus, die im essayistischen Dokumentarfilm des deutschen Regisseurs Lutz Dambeck (Das Netz, 2004) eine große Rolle gespielt hat. Dort wurden ausführliche Zusammenhänge zwischen dem von der CIA initiierten Versuchen mit LSD an Freiwilligen – zu denen auch Kaczinsky gehörte – zur Erforschung von Methoden der Gehirnwäsche und Kaczinskys späterem Leben als Terrorist thematisiert. Insofern ist Dambecks Film mit großem Abstnad der informativere Film, was die gesellschaftlichen Hintergründe seines Schicksals betrifft. Er selbst bestritt, dass die Experimente, an denen er als Student teilnahm, auf sein Wirken als erklärter Anarchist und Technikfeind Einfluss hatten. Insofern ist Stones Entscheidung, diesen Hintergrund auszulassen, durchaus legitim. Immerhin zitiert der großartige Schauspieler des Ted K., Sharlto Copley, aus Kaczinskys Briefen, Tagebucheinträgen und Manifesten, die er während und nach seinem Leben in der Wildnis schrieb.

So bietet Stones Film eher die Beschreibung der kuriosen, selbstgewählten Lebensumstände eines eigentlich hochbegabten Mannes, der nach und nach dem Extremismus seiner Ansichten verfällt anstelle einer umfassenden, gesellschaftskritischen Filmbiografie. Zwar gibt es immer wieder Vorfälle von grober Umweltzerstörung und -verschmutzung, die Kaczinskys Wut auf die Gesellschaft verständlich machen. Und auch Kaczinskys eigenen Worte, in denen der Zwiespalt aufscheint, mit etwas Brutalem, Menschenverachtendem etwas übergeordnetes Gutes bewirken zu wollen, sind hörenswert.

Aber letztlich bleibt der Film mit der Fokussierung auf die Bombenbastelei im Wald unter seinen inhaltlichen und dramaturgischen Möglichkeiten. Große Pluspunkte sind die betörend durchkomponierten Bilder, die vorzügliche Beleuchtung und die akzentuierte Musik.



Ted K | © Ted K (ah ja)


Bewertung:    



Auch im britischen Thriller Censor sind die filmischen Mittel sehr bewusst und hervorragend eingesetzt, was auch wichtig ist, denn Prano Bailey-Bonds Film reflektiert über die brutalen Bilder der Horrorfilmwelle, die Ende der siebziger Jahre mit dem Aufkommen der Videokassette ihren Anfang nahm.

Die walisische Regisseurin und Drehbuchautorin wurde für ihre Kurzfilme bereits mehrfach international ausgezeichnet und erzählt in ihrem Langfilmdebüt (das so gesehen auch die Voraussetzungen für die Reihe „Encounters“ erfüllt hätte, wenn dort nicht streng intellektualisierte Filmkunst dominierte) von einer jungen Frau, die in der britischen Behörde für Jugendschutz arbeitet. Irgendwo in den achtziger Jahren verortet, muss die arme, psychisch durch das Verschwinden ihrer jüngeren Schwester bereits traumatisierte Enid (vorzüglich ambivalent: Niamh Algar) sich die Slasher- und Splatter-Filme der Videowelle reinziehen. Ihre Kolleginnen und Kollegen und der Vorgesetzte schätzen zwar ihr Urteil, sind aber über die Strenge und Akribie, mit der Enid Kürzungs- und Zensurvorschläge vornimmt, bisweilen befremdet.

Enid gerät durch das Konsumieren des billig inszenierten Sadismus nach und nach in einen Strudel, der ihr eigenes Leben aus der Bahn wirft: Zuerst meint sie, in einer der Schauspielerinnen, die in einem Underground-Gewaltporno niedergemetzelt wird, ihre vermisste Schwester zu erkennen. Dann begibt sie sich selbst auf die Suche und nimmt Kontakt mit dem Produzenten und den Filmteam der Splatter-Filme auf, was dazu führt, das sie ihren ganz eigenen Horrorfilm erlebt, in den die Grenze zwischen inszenierter und realer Gewalt nicht mehr auszumachen ist.

Prano Bailey-Bond spielt auf ebenso amüsante wie erschreckende Weise mit den Stilmitteln des Trashfilms und kann sich auf ein hervorragendes Cast verlassen. Die verschiedenen Bedeutungsebenen der Story – persönliche Schuldkomplexe und Beziehungsunfähigkeit auf der einen und soziale und individuelle Folgen medial vermittelter Gewaltdarstellungen auf der anderen Seite – wirken allerdings nicht so flüssig und glaubhaft miteinander verwobenen, wie sie hätten sein müssen. Durch die fragile Über-Konstruktion der Handlung bleibt die Irritation um Wahn und Wirklichkeit in Ansätzen stecken. Die Verhuschtheit der Protagonistin wird von Anfang an zu stark betont, als dass wir wirklich Angst um sie bekommen.

Als intelligente Reflexion über Horrorfilme als eskapistisches Suchtmittel und Droge dennoch sehenswert.



Censor | © Silver Salt Films


Bewertung:    

Max-Peter Heyne - 6. März 2021 (2)
ID 12788
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/


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