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74. BERLINALE

FORUM

Mit einem Tiger schlafen


Bewertung:    



Die Malerin, Grafikerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig, 1919 in Kappel (Kärnten) geboren und 2014 in Wien gestorben, hat ihr Leben lang um Anerkennung in der österreichischen und internationalen Kunstszene kämpfen müssen. Mittlerweile dürfte sie die wohl bekannteste bildende Künstlerin Österreichs sein. Sie ist mit Ehrungen überhäuft. Ihre Bilder befinden sich in renommierten Museen und Sammlungen, erzielen hohe Preise auf Kunstauktionen. Das war nicht immer so.

Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz porträtiert in ihrem Film Mit einem Tiger schlafen, der im Forum der BERLINALE seine Weltpremiere hatte, die Ausnahmekünstlerin Maria Lassnig und stellt ihr Leben in einer ganz besonderen Art und Weise vor. Anja Salomonowitz ist bekannt für ihre Form des hybriden Erzählens, bei dem sie Elemente des Spiel- und Dokumentarfilms miteinander verbindet. Sie zeigt dabei Szenen aus dem Leben der Künstlerin beginnend mit ihrer Kindheit bis ins hohe Alter von über neunzig Jahren. Für die Rolle der Maria Lassnig hat die Regisseurin die Wiener Theater- und Filmschauspielerin Birgit Minichmayr gewinnen können, die sie bei einer Lesung aus den Tagebüchern der Maria Lassnig kennengelernt hat. Diese Tagebücher, Briefe und eine Biografie der Künstlerin von Natalie Lettner bilden den Grundstock für das Drehbuch.



Mit einem Tiger schlafen | (C) coop99 Filmproduktion


Gedreht wurde ausschließlich in Innenräumen in Wien, auch die Atelierszenen in New York und Paris. Einige Außenszenen sind in der Wiener Umgebung entstanden. Maria Lassnig verbrachte als uneheliche Tochter ihrer Mutter Mathilde Gregorc die ersten Lebensjahre bei der Großmutter, bis die Mutter den Bäcker Jacob Lassnig heiratete und mit ihrer 6-jährigen Tochter nach Klagenfurt übersiedelte. Die Mutter war für die junge Maria Lassnig immer eine wichtige Bezugsperson. Sie ließ die begabte Tochter Zeichenunterricht nehmen und führte später auch die Buchhaltung der jungen Künstlerin. Szenen mit Birgit Minichmayr und Johanna Orsini als Mutter zeigen aber auch, dass die Mutter ihre Tochter zwar darin bestärkte, Portraits von Nachbarn für Geld zu zeichnen, ihr aber immer auch die Heirat zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nahe legte. Der Film wird immer wieder in diese Zeit zurückspringen, als Beleg für das auch schwierige Verhältnis zwischen Mutter und Tochter.

Eine weitere Besonderheit des Films ist, dass Birgt Minichmayr Maria Lassnig in allen Lebensaltern außer der Kindheit spielt, ohne dass sie dafür besonders alt oder jung geschminkt wurde. Die Regisseurin begründet das mit der Aussage, dass ein Mensch in seiner Erinnerung an vergangene Zeiten sich auch nicht immer im entsprechenden Alter sieht. Dass die Szenen teilweise auch Rückerinnerungen der alten Maria Lassnig an ihr früheres Leben sein könnten, lässt der Film so erahnen. Er geht auch nicht chronologisch erzählend vor, sondern springt in den Zeiten und Orten. Das macht es denen, die das Leben der Maria Lassnig im Detail nicht kennen, etwas schwerer zu folgen. Momente, in denen DarstellerInnen erklärend aus der Rolle austeigen, sind dann auch etwas rar gesät.

Im Grunde aber bleibt der Film dicht an der Entwicklung der Künstlerin und ihrer Art zu Malen, die sie später „Body Awareness“ (Körperbewusstsein) nennen wird. Einige Stationen, wie das Studium an der Akademie der Künste Wien 1940-45 beim völkisch-realistischen Maler Wilhelm Dachauer, seit 1938 NSDAP-Mitglied, werden nur gestreift. Dachauer bezeichnete die Kunst seiner Schülerin Lassnig, die sich später dem Expressionismus zuwandte, bald als entartet. Wichtiger und bekannter dürfte die Beziehung zum zehn Jahre jüngeren Künstler Arnulf Rainer (geboren 1929 in Baden bei Wien) sein. Der Film zeigt die beiden bei ihrer ersten Begegnung bei einer Ausstellung in Klagenfurt, bei der ein männliches Aktportrait der Künstlerin wegen Anstößigkeit verhängt wurde. Der 19-jährige Pop-Sänger Oskar Haag gibt hier sehr eloquent den jugendlichen Provokateur der im Rahmen einer Ausstellung im Beisein seiner Künstlerkollegen der „Hundsgruppe“ Ernst Fuchs und Arik Brauer das Publikum beleidigt, während von den abstrakten Meditationen Lassnigs kaum jemand Notiz nimmt.

Die Beziehung zum später sehr erfolgreichen Maler und Aktionskünstler Rainer hängt Maria Lassnig lange an. Der Film zeigt in einigen Szenen, wie Galeristen in ihrer gemeinsamen Zeit in Paris die Bilder Rainers immer wieder denen von Lassnig vorziehen. Lassnig hat Rainer in seiner Anfangszeit trotzdem immer unterstützt. Beide bildeten nach dem Krieg sozusagen die Spitze des österreichischen Informel. Während Rainer später bei der Kunst seiner Übermalungen blieb und damit viel Erfolg hatte, geht Lassnig 1961 für 7 Jahre wieder nach Paris und beginnt dort mit der Arbeit an ihren Körperbewusstseinsbildern. Sie ist in der Zeit weiterhin relativ mittellos und wenig erfolgreich.

Auch das schneidet der Film in kleinen Szenen nur an. Eingehender widmet er sich dem Aufenthalt von Maria Lassnig in New York, wo sie in Zeiten von Objektkunst und Pop Art mit ihren Bewusstseinsportraits auch keinen Anklang findet. Der Film zeigt kurz, wie sie sich dann kleinen selbstgedrehten Zeichentrickfilmen (hier Selfportrait) widmet. Einige dieser feministischen Kurzfilme zeigt die Berlinale im Forum Spezial. 1980 folgte sie schließlich einem Ruf an die Hochschule für angewandte Kunst in Wien, aber nur unter Prämisse, ebenso viel wie Joseph Beuys zu verdienen. Damit ist sie die erste Professorin für Malerei an einer Akademie im deutschsprachigen Raum.

Der Film zeigt Minichmayr immer wieder im Atelier in Anspannung oder auf einem Stuhl in völliger Kontemplation vor großformatig an die Wand gepinntem Papier oder auf dem Boden liegend malend. Die Künstlerin malte so ihre unmittelbaren Gefühle. Groß im Still eingeblendet sind einige der Bilder zu sehen. Vor allem viele Selbstportraits wie das den Titel gebende mit besagtem Tiger, der dann am Ende auch mal in echt auftaucht. Solch surrealen Momente durchziehen diesen Film ebenso wie der recht sarkastisch grantelnde Humor der Künstlerin, den die Minichmayr sehr gut rüberbringt. So herrscht sie Kurator und Helfer einer Ausstellung in New York an. Eine weitere Ausstellungsszene zeigt sie wieder etwas an die Seite gedrängt bei der Biennale in Venedig, bei der sie die nächste Generation, die Aktionskünstlerin Valie Export, wegen der Lautstärke ihrer Videos zurechtweist.

Lange verweilt der Film auch bei Lassnig im hohen Alter, wenn die Kraft und der Geist langsam nachlassen. Ständig befürchtet sie einen Ausverkauf ihrer Bilder an gierige Sammler. Auch hier ist Birgit Minichmayr extrem präzis in ihrem Spiel. Trotz der etwas zu einseitigen Ausrichtung auf den die Künstlerin zunehmend deprimierenden Kampf um Anerkennung, der den späten Erfolg überschattet, ist der Regisseurin ein insgesamt sehr außergewöhnliches Film-Portrait gelungen.



Mit einem Tiger schlafen | (C) coop99 Filmproduktion

p. k. - 20. Februar 2024
ID 14616
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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