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70. BERLINALE

Wettbewerb 2020

LE SEL DES LARMES

SIBERIA



Nach der Hälfte eines ohnehin mäßig interessanten Hauptprogramms hat der BERLINALE-Wettbewerb dann noch eine dramatische Schlagseite in Richtung Schiffbruch genommen, von der er sich bis zum Ende des Festivals nur schwer wird erholen können. Grund sind zwei ältere Herren, Abel Ferara und Philippe Garrel, die als Regisseure ihre beste Zeit in den späten Siebzigern und Achtzigern hatten und inzwischen eitel und egozentrisch ihre Fantasien in quälend langatmige Bilderfolgen übersetzen. Soll man ihnen Respekt dafür zollen, dass sie hemmungslos die Grenzen der Peinlichkeit überschreiten und einen Scheiß darauf geben, wer daran Anstoß nimmt? Für Le sel des larmes (F/CH) und Siberia (I/D/M) wäre die Kategorie „interessant, aber mühsam“ zu beschönigend gewählt, eher schon trifft es „abwegig“. Schlimmer noch: auf einem Festival, auf dem bei jeder Podiumsdiskussion Geschlechtergerechtigkeit und Frauenquoten gefordert werden, ist das Berlinale-Publikum mit chauvinistischen Stories konfrontiert, die den Eindruck des Vorgestrigen auf der Netzhaut hinterlassen.

* *

Le sel des larmes

Der französische Regisseur Philippe Garrel, geboren 1948, drehte wie Éric Rohmer oder Jacques Rivette aus der Generation der so genannten Nouvelle Vague auch immer wieder dialoglastige Geschichten über Freude und Frust an der Liebe. Doch Philippe Garrel blieb dabei stets im Schatten der prominenteren, inzwischen verstorbenen Kollegen, und es ist abzusehen, dass sich daran auch nichts ändern wird. Sein ungebremster Output findet immer weniger Zuschauer, die meisten seiner seit 1993 gedrehten ein Dutzend Filme wurden in Deutschland nur im Sender Arte gezeigt.

Garrels neuester, mit bescheidenen Mitteln in nostalgischem Schwarz-Weiß gedrehter Film hat folgende Story: Junger Mann (Logann Antuofermo) macht Mädchen an, die verliebt sich in ihn, aber er lässt sie sitzen; er macht ein anderes Mädchen an, die verliebt sich in ihn und wird schwanger, aber er lässt sie sitzen; er macht ein anderes Mädchen an, aber die will von ihrem bisherigen Freund nicht lassen. Dies könnte ja durchaus Pepp und Witz haben, aber Garrel inszeniert den Reigen so betont ruhig und undramatisch, geradezu blutleer, dass einem die Gefühle der Figuren ziemlich wurscht sind. Unangenehm ist das unnötige Schielen des Protagonisten (also auch unseres) auf die nackter Leiber seiner Eroberungen beim Duschen und Umkleiden, zumal Garrel sexuelle Handlungen diskret weglässt.

Der strunzbanale, langatmige Film, der sich selbst als eitles Kunst-Sein-Wollen genügt, verführte nicht zum Nachdenken über die Widersprüche der Liebe, sondern über die Widersprüchlichkeit, im Jahre 2020 auf der Berlinale Überflüssigkeiten vorgesetzt zu bekommen, die wie von zentimeterdickem Staub bedeckt wirken. Immerhin gab es Gelegenheit zum erholsamen Nickerchen im Berlinale-Trubel, doch es sollte noch schlimmer kommen!


Bewertung:    



Le Sel des Armes | (C) RECTANGLE PRODUCTIONS - CLOSE UP FILMS


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Siberia

Abel Ferara, geboren 1951, der vor allem mit dem exzentrischem Genre-Film Bad Lieutenant von 1992 bekannt wurde, dreht mal mehr, mal weniger gelungene Filme, die auf Festivals, manchmal aber auch im Kino landen. Just startet der vorletzte Ferara-Film Tommaso in Deutschland – wie auch Siberia mit dem famosen Willem Dafoe. Ihre neueste Kolloboration ist ein die Grenzen des Experimentalfilms überschreitende Phantasmagorie, eine Kette assoziativer Szenen ohne Handlung – und leider auch ohne Suggestionskraft bzw. die nötige visuelle Konsistenz.

Nach rund einer Viertelstunde dämmert einem, dass der Film nach einem vielversprechendem Auftakt zunehmend zerfasert und sich in obskuren Szenarien verliert. Die aufdringlichen Metaphern, mit denen der in einer verschneiten Blockhütte, in einer rauen Felswand oder einer Häuserruine umherirrende Dafoe (und damit der Zuschauer) konfrontiert ist, sind bisweilen so unfreiwillig komisch, ja, lächerlich und peinlich, dass man nicht weiß, ob man darüber lachen oder schreien soll (ein Teil der Presseschar entschied sich für Ersteres).

Die hochschwagere Russin mit ihrer Babuschka, die der von Dafoe eher verkörperte denn gespielte Trapper begehrt, wirkte noch überzeugend. Dann aber suchen den Verwirrten ein fauchender Bär, ein Inuit, nackte, kleinwüchsige Frauen, eine Bande rechter Schläger, eine mordende Soldateska und schließlich sein eigener Vater auf. Der hat Rasierschaum im Gesicht und will mit dem Zögling fischen gehen, bis der ihn daran erinnert, dass er doch bereits schon lange tot sei. Zu einem Rocka-billy-Titel springt Dafoe dann mit spielenden Kinder im Gras, aber bald schon holt ihn der sibirische Winter ein, in dem lediglich – Achtung Spoiler, weil Höhepunkt des Films – ein sprechender Fisch Trost spendet.

Die Kolleginnen und Kollegen, die dieses krude, zehn Etagen tiefer gelegte Inland Empire-Imitat beklatscht und bewundert haben, rate ich dringend zu einem Besuch beim Psychiater. Wie runtergerockt und ausgetrocknet muss es in einem aussehen, der diesen Quatsch ohne Soße als Quelle der Inspiration empfindet? Das Ganze ist eine Zumutung, für die unter realen Bedingungen – also im Kinoalltag – Geld als Belohnung gezahlt statt verlangt werden müsste.

Nun wird es für den neuen künstlerischen Leiter der BERLINALE, Carlo Chatrian, sehr schwierig, die Stimmung bis zum Ende noch zu heben. Der Frust bei vielen Angereisten ist groß, die nicht das Privileg haben, die Enttäuschung über den schwachen Wettbewerb bei Partys ums Eck oder zu Hause mit Alkohol herunterzuspülen.


Bewertung:    



Siberia | (C) Federico Vagliati, 2020 Vivo film, maze pictures, Piano

Max-Peter Heyne - 25. Februar 2020 (2)
ID 12030
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/


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Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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