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RUHRTRIENNALE 2018

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Kirina auf der RUHRTRIENNALE 2018 in der Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck | Foto © Paul Leclaire

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Ein Volk erkämpft sich den Weg in die eigene Zukunft. Dabei wird die ständige Bewegung der Gesellschaft, Gemeinschaft und - im Großen - auch der Menschheit reflektiert. In seinem packenden Tanztheaterstück Kirina thematisiert Serge Aimé Coulibaly aus dem westafrikanischen Burkina Faso Themen und Probleme seines Heimat-Kontinents. Sein Ensemble aus neun Tänzern, zwei Sängerinnen, vier Instrumentalisten, einer Statistenschar und einem Schauspieler vermittelt in poetischen Bildern eine Kreativität und Dynamik möglicher Gemeinschaften des sogenannten Schwarzen Kontinents. Es wird ein Wunsch nach afrikanischer Selbstdefinition, einer Selbstermächtigung und eigenen Stimme oft mit improvisiert wirkenden Bildern verschiedener Zusammenhänge ausgedrückt.

Der Stücktitel Kirina leitet sich von einer Schlacht im 13. Jahrhundert in Kirina ab. Kirina liegt in der Region Koulikoro und im heutigen Mali. In der Schlacht von Kirina besiegte der Held Suniata einen tyrannischen Herrscher. Er errichtete eine bessere Herrschaft. Eine afrikanische Charta wurde begründet, die für viele als erste Version der Erklärung der Menschenrechte gedeutet wird, mehr als 500 Jahre vor der europäischen Version nach der französischen Revolution. Doch auch biblische und afrikanische Mythen dienten als Motive für das Tanztheaterstück.

Vorführungsort der RUHRTRIENNALE ist die Maschinenhalle Zweckel, eine frühere Zeche in Gladbeck. Auf der weitläufigen Bühne liegt abgelegte Kleidung aus rotem Stoff zu im Raum verteilten Türmen angehäuft. Sie dient als eines der wenigen Requisiten der Vorführung. Später wird ein Turm eingerissen, einzelne Kleidungsstücke werden von den Figuren kurz angelegt oder dienen als Wurfgeschosse. Im Hintergrund der Halle werden kreisförmig Filmprojektionen von Reise- und Fluchtbildern gezeigt. Die Halle, die zuletzt mit einem sternerfüllten Nachthimmel ausgeleuchtet wird, dient während des Schauspiels als Schauplatz für Schlachten, Allianzen, Gebräuche, Riten, Opferrituale und Feste.

Coulibaly legt die anderthalbstündige Performance episodenhaft an und erzählt seine Geschichte in einzelnen Sequenzen. Menschen in Bewegung und der Akt des aufrechten und stolzen Gehens sind Ausgangspunkt der Handlung. Die kraftvollen Bewegungen der Figuren dienen als Reibungsfläche für mögliche Entwicklungen. In freien und improvisationshaften Elementen geht es jedoch auch um das Zusammenwirken des Einzelnen mit der Gemeinschaft. Hier werden auch die Steinigung einer Frau (sehr eindrucksvoll: Marion Alzieu) und ein rituelles Menschenopfer thematisiert. Die Gemeinschaft reagiert auf das Tun eines Einzelnen. Wütende Drehsprünge und Tritte wechseln sich mit dramatischen Grimassen samt ausgestreckter Zunge und hoffnungsvollen Gesten ab. Die Körpersprache der Tänzerinnen und Tänzer ist stets roh, sinnlich und verletzlich. Statisten betrachten das Geschehen von einer Empore, um später den dramatischen Zweikampf selbst im Getümmel anzufeuern und mitzuwirken. Insbesondere die starken akrobatischen Leistungen mit raumgreifenden Sprüngen, Saltos und Szenen, in denen alle Körperregionen der Tänzer in Bewegung sind, reißen mit.

Die malische Sängerin und Weltmusikerin Rokia Traoré komponierte für Kirina harmonische und entspannte Arrangements afrikanischer Gesänge und Rhythmik. Die vierköpfige Band untermalt mit E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug und einem Balafon, einem in Westafrika verbreiteten Xylophon, die tänzerische Darbietung mit einem rockig-bluesigem Sound. Die Sängerinnen Naba Aminata Traoré und Marie Virginie Dembele treten während der Performance meist in Interaktion mit dem Ensemble und wandern mit den Tänzern mit.

Ein weiterer prominenter Künstler, der das Stück des Tänzers und Choreografen Coulibaly maßgeblich beeinflusste, war der senegalesische Gelehrte, Schriftsteller und Intellektuelle Felwine Sarr. Sarr ist einer der bekanntesten Denker Afrikas, der mit seinen theoretischen Einsichten für einen Zukunftsdiskurs Afrikas wie etwa durch seinen Essay Afrotopia (2016) international bekannt wurde. Er ermutigt Afrikaner, eigene Vorstellungen hinsichtlich einer potentiell neuen Positionierung in der globalisierten Welt zu entwickeln, bei der der Mensch seiner Umwelt respektvoll begegnet. Doch auch der Schauspieler Ali 'Doueslik' Ouédraogo steuerte zur Performance eigene Texte bei, die er mit lebendigen Gesten vortrug.

Insbesondere die starke und eigensinnige Präsenz der Tänzer beindruckt, wenn das Ensemble barfuß wie in Trance verzückt Grimassen zieht und erstaunlich synchron komplexe Tanzfiguren vorführt. Es wird eine Energie und Stärke aufgezeigt, die möglicherweise auch der jahrhundertelangen Unterdrückung durch fremde Mächte und eigener Diktaturen zu trotzen vermochte. Zu guter Letzt, wenn Gefühle der Verzweiflung, Rebellion und Regression ausgedrückt werden, lässt einem das Schlussbild bewusst im Dunkeln. Coulibaly deutet hier an, dass Menschen oft nicht aus der Vergangenheit lernen und zurück zu dem kehren, was sie bereits kennen. Vielleicht eine Warnung, endlich andere Wege zu beschreiten.  



Kirina auf der RUHRTRIENNALE 2018 in der Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck | Foto © Paul Leclaire

Ansgar Skoda - 22. August 2018
ID 10862
KIRINA (Maschinenhalle Zweckel, 19.08.2018)
Konzept und Choreografie: Serge Aimé Coulibaly
Komposition und musikalische Leitung: Rokia Traoré
Libretto: Felwine Sarr
Dramaturgie: Sara Vanderieck
Bühne: Catherine Cosme
Kostüme: Salah Barka
Lichtdesign: Nathalie Perrier
Video: Eve Martin
Von und mit: Marion Alzieu, Ida Faho, Jean Robert Koudogbo, Antonia Naouele, Adonis Nebié, Giula Cenni, Issa Sanou, Sayouba Sigué und Ahmed Soura
Schauspieler: Ali ‚Doueslik‘ Ouédraogo
Sängerinnen: Naba Aminata Traoré und Marie Virginie Dembele
Musiker: Aly Keita/ Youssouf Keita (Balafon), Saidou Ilboudo (Schlagzeug), Yohann Le Ferrand (Akustik-Gitarre) und Mohamed Kante (Bass)
Weiterer Termin: 22.08.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.ruhrtriennale.de


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