Von Erniedrigten
und Beleidigten
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Jonathan Müller als Der haarige Affe am Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Die schmutzig schwarze Bühne könnte auch eine Kohlegrube darstellen, führte nicht ein goldener Schacht nach oben ans Promenadedeck der Reichen und Schönen, wo der Himmel blau ist und der Rauch des Schornsteins dekorativ. Doch diese Bühne ist vor allem der Ort in einem Ozeandampfer, wo die Heizer „unter Tage“ schuften: haarige Affen. Damit griff Nobelpreisträger Eugene O´Neill einen beliebten literarischen Topos der Jahrhundertwende auf: das Schiff als Modell einer höchst ungerechten Klassengesellschaft – oben hui, unten pfui. Siehe auch die berühmte Erzählung des Nobelpreisträgerkollegen Iwan Bunin von 1915: Der Herr aus San Francisco. Als der reiche Amerikaner auf der Überfahrt nach Europa stirbt, muss er im scheußlichen Schiffsbauch zurückgebracht werden.
Wie in Bunins Parabel über den Kapitalismus unten also drei Vertreter des Proletariats, die für schlechtes Essen und wenig Geld staubige Schwerstarbeit leisten. Paddy trauert den guten alten Zeiten nach, als der Job des Seemanns noch eine „saubere“ Sache war und unter freiem Himmel die Natur herausforderte - zusammen mit den Schiff. Long fordert Klassenbewusstsein ein und ruft zum gewaltlosen Widerstand gegen die Herrschenden auf. Yank lehnt beides als romantischen „Kitsch“ ab. Er ist bei aller Plackerei stolz darauf, ein wichtiger Teil des Fortschritts zu sein: „25 Meilen die Stunde, das ist was Neues und ich bin der Beweger der Maschine!“
Doch da öffnet sich die Szene nach oben, wo die millionenschwere Tochter des Stahltrust-Präsidenten, dem auch dieses Schiff gehört, sich eine Art Slum-Tourismus in den Kopf gesetzt hat. Weil sie die “andere Hälfte der Menschheit“ sehen möchte, klettert sie ganz in Weiß zu den Heizern in den Schiffsbauch und fotographiert Yank aus nächster Nähe ins Gesicht. Fast hätte er sich verliebt. Doch da blendet ihn die Erkenntnis: für die da oben ist er nur ein „haariger Affe“. Seine Wut über die Demütigung entlädt sich in Gewalt - auf dem Schiff und an Land auf der Fifth Avenue, wo er gut gekleidete Passanten provoziert, bis er im Knast landet. Auch die Gewerkschaft kann seine ungebremste, unreflektierte Aggressivität nicht gebrauchen. „Denken ist schwer“, erklärt Yank schließlich einem riesigen Gorilla im Zoo, „aber ich kann so tun, als könnte ich denken oder sprechen“. Als er dem Tier allerdings allzu nah auf den Pelz rückt, so wie es das reiche Töchterchen mit ihm gemacht hat, bringt der echte haarige Affe ihn um.
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Ein schwieriges Stück, das doch sehr seiner Zeit verhaftet ist. Welcher Kohlekumpel könnte sich heute noch als Motor des Fortschritts empfinden? Und die Zeit der Klassenkämpfe? Sie scheint zumindest in unseren Breiten vorbei zu sein. Aktuelle Parallelen sucht die Inszenierung nicht. Es geht ihr wohl um die grotesk übersteigerte, gewiss zeitlose Opposition von oben und unten, um Fragen von Macht und Ausbeutung. Da gelingen mit den Karikaturen von Mildred, der Millionärstochter (Nina Steils) und ihrer Gouvernante Katherine (Luisa Deborah Daberkow), die auf der schiefen Ebene des Schiffes so schön lächerlich nach unten rutschen, einige überzeugende Bilder. Auch Jonathan Müller als Yank und Silas Breiding als Long spielen rußgeschwärzt und mit schlechten Zähnen, was das Zeug hält. Sie könnten begeistern. Zumal sie das abstrakte und gleichzeitig wandlungsfähige Bühnenbild (Vincent Mesnaritsch) voller dunkler Abschüssigkeiten, schwarzem Stahl und rötlicher Glut effektvoll unterstützt. Dazu die wunderbare Lichtregie (Björn Gerum). Sie trennt die einzelnen Szenen im wahrsten Wortsinne „blendend“ - wie bei einem scan-Vorgang. Dennoch lässt einen dieser Abend bei aller Wucht, bei all den stark dargestellten Emotionen seltsam kalt.
Regisseur Abdullah Kenan Karaca hat das 100 Jahre alte Stück empfindlich gekürzt, vielleicht zu beherzt. So wirken die handelnden Figuren kaum als Personen, sondern als holzschnittartige Stereotype, Abziehbilder ihrer Klasse. Lediglich der vergleichsweise lange Eingangsmonolog des Paddy (Jakob Immervoll) lässt einen Menschen erkennen. Doch just dieser Paddy spielt im Verlauf des Stückes ganz schnell keine Rolle mehr. Dafür geht die 90minütige Inszenierung ab der Gewerkschaftsszene rasch einem nicht ganz geglückten Schluss entgegen: King Kong im Schattenreich mordet unter Gebrüll und zu Musik.
Als alle Zuschauer gemerkt hatten, dass das wirklich schon das Ende war: höflicher Beifall.
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Der haarige Affe am Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair
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Petra Herrmann - 6. Dezember 2019 ID 11867
DER HAARIGE AFFE (Münchner Volkstheater 05.12.2019)
Regie: Abdullah Kenan Karaca
Bühne: Vincent Mesnaritsch
Kostüm: Elke Gattinger
Besetzung:
Robert Smith, Yank ... Jonathan Müller
Katherine Clifton ... Luise Deborah Daberkow
Mildred Douglas ... Nina Steils
Paddy ... Jakob Immervoll
Tony Lazar ... Mauricio Hölzemann
Long ... Silas Breiding
Premiere war am 28. November 2019.
Weitere Termine: 11., 19.12.2019 // 02.01.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-volkstheater.de/
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petra-herrmann-kunst.de
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