Schrecklich komisch
DIE PHYSIKER von Friedrich Dürrenmatt am Schauspiel Stuttgart
Bewertung:
|
In seinen 21 Punkten zu den Physikern, die im Programmheft abgedruckt sind, gibt sich Friedrich Dürrenmatt apodiktisch und sehr ernst: „Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“ Das ist, mit Verlaub, prätentiöser Schmarren. Regisseurin Cilli Drexel bemüht sich um den Nachweis, dass man Dürrenmatts (immer noch) häufig gespielte Physiker als Boulevardstück auffassen kann, und Intendant Burkhard C. Kosminski demonstriert am Ende seiner ersten Stuttgarter Spielzeit, dass er auch das auf der Pfanne hat. Diese Farbe hatte im Spektrum theatraler Möglichkeiten noch gefehlt. Jedenfalls im Schauspielhaus. Drüben in der Komödie im Marquardt träfe es auf sein Publikum und die angemessenen Erwartungen.
Der Spielraum wurde von Judith Oswald verkleinert durch eine von Neonröhren eingerahmte Box mit noch kleineren Türen in der Rückwand. Klein ist alles: die Spielidee, die Spannung und zuletzt, genau besehen, auch das Stück. Klein ist vor allem der Humor. Marietta Meguid trägt als die zum Ende hin dämonische Frau Doktor Mathilde von Zahnd eine dicke Brille – schrecklich komisch. Marco Massafra als Johann Wilhelm Möbius, Klaus Rodewald als Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein, und Benjamin Pauquet als Herbert Georg Beutler, genannt Newton, spielen an der Rampe zusammen mit Gabriele Hintermaier als Oberschwester Marta Boll die Geige, und zwar, weil auch das schrecklich komisch ist, falsch. Auf diesem Niveau kommt auch die Komik von Doppelrollen zum Tragen. Eigentlich sollte es skeptisch machen, dass Dürrenmatt die Söhne des Scheinirren Möbius Adolf-Friedrich, Wilfried-Kaspar und Jörg-Lukas nennt. Das ist bei Loriot, wenn er selbst spielt, schon komischer.
Brechts Leben des Galilei und Kipphardts In der Sache J. Robert Oppenheimer sind die besseren Stücke zum Thema. Sie sind allerdings auch weniger komisch. Jedenfalls in der Regel.
|
Thomas Rothschild – 26. Juni 2019 ID 11529
DIE PHYSIKER (Schauspielhaus, 25.06.2019)
Inszenierung: Cilli Drexel
Bühne: Judith Oswald
Kostüme: Janine Werthmann
Musik: Bärbel Schwarz
Licht: Jörg Schuchardt
Dramaturgie: Carolin Losch
Mit: Marietta Meguid (Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd), Gabriele Hintermaier (Marta Boll, Oberschwester), Amina Merai (Monika Stettler, Krankenschwester), Marco Massafra (Johann Wilhelm Möbius), Benjamin Pauquet (Herbert Georg Beutler, genannt Newton), Klaus Rodewald (Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein), Michael Stiller (Richard Voß, Kriminalinspektor) u.a.
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 22. Juni 2019
Weitere Termine: 02., 11., 15., 16., 24.07.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
Neue Stücke
Premierenkritiken
Rothschilds Kolumnen
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|