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Premierenkritik

Herakles -

ein Held

der Arbeit



Herakles am Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair

Bewertung:    



Von Anfang an ist die ganze Bühne voll von Wasser. Ur-Stoff, aus dem das Leben kommt. Seine dunkle glatte Fläche spiegelt die strahlenden Windungen eines menschlichen Gehirns. Es sieht schön aus. Aber es kann nicht benutzt werden. Als die Szene heller und Herakles sichtbar wird, trägt er das graue Gewicht der Welt - und oben drauf eben dieses Gehirn. Doch es fehlt die Verbindung. Das ist das ganze Drama.

Mit dieser Eingangsszene ist das Thema wirkmächtig ins Bild gesetzt. Herakles, der Halbgott der antiken Sagenwelt, verfügt über übermenschliche Kräfte, mit denen er nicht umzugehen weiß. Aus Angst vor dieser Naturgewalt schicken ihn seine Eltern weg zu den Tieren auf die Weide, lassen ihn nichts lernen, halten ihn dumm. Und sie erlauben, dass der schwache Neffe Eurytheus ihn um sein Erbe bringt. Herakles will jedoch seinen Platz im Haus und ihm Leben. Dafür tut er alles, vor allem das, was Eurytheus ihm anschafft. Er schlägt sich monatelang durch gefährliche Wildnis, findet und tötet den nemeischen Löwen, die lernäische Schlange, den erymantischen Eber, die vielköpfige Hydra, die Amazonen - ja, er bezwingt sogar den Cerberus, den Wachhund des Totenreiches. Seine Heldentaten werden bejubelt: „Mein Sohn!“ jubelt stolz der Vater. Doch sie sind eigentlich ein Werk der Zerstörung. Vernichtet werden die Frauen, die Fremden, die Tierwelt.

Herakles siegt - und lässt sich Mal für Mal um seinen Lohn betrügen. Warum lernt er nichts daraus? Er könnte den Vetter mit einem Faustschlag niederstrecken, statt dessen gehorcht er und bricht immer wieder auf zu neuen Heldentaten. Seine Frau Megara bittet ihn, doch endlich zu bleiben. Er antwortet stereotyp: "Ein jeder trägt die Last der Gesellschaft und jeder verrichtet die Arbeit, für die er geschaffen ist." Und „arbeitet“ weiter mit dem gutbürgerlichen Satz „Ich tu das doch nur für euch.“ Doch irgendwann gehen Herakles die Feinde aus. Er wird nicht mehr gebraucht. Die ewig allein gelassene Megara („aber den Augias-Stall habe ich ausgemistet“) wendet sich von ihm ab. Herakles verfällt in Schwermut und tötet Frau und Kinder im Wahn, er werde angegriffen. Zu spät fühlt er - Verzweiflung. Aber er begreift nicht. Dabei verweigert das Orakel in Delphi ihm die erbetene Strafe und weist ihm den Weg: "Deinen Geist lass über deine Glieder herrschen. Schmerz und Verletzungen sind es, die den Menschen menschlicher machen." Doch genau das, nämlich denken, das kann Herakles nicht. Lieber bringt er sich um.

*

Regisseur und Bühnengestalter Simon Solberg beschäftigt sich schon länger mit antiken Sagen. Herakles´ Dilemma übertägt er stimmig auf die moderne, leistungsorientierte Gesellschaft. Immer mehr, immer schneller, immer höher. Der Held ist ein Befehlsempfänger, getrieben, missbraucht und entfremdet. Der rasende Herakles beschmiert am Ende sein Gesicht mit einer lehmartigen Masse: Er wird unkenntlich, verliert seine Individualität. So ist er kein Einzeltäter mehr. Er steht für den Menschen, seine Geschichte und seine Erfahrung. Weit und breit kein fester Boden unter den Füßen, nur Wasser. Wenn die Menschheit Glück hat, ist es seicht und sie rutscht bloß aus. Ansonsten versinkt sie - im Sumpf, in der Sintflut, im Tsunami. Ganz gleich, wie stark der einzelne ist.

Im ersten, grotesk slapstickhaften Teil der Inszenierung wirkt das alles saukomisch. Da plantschen die depperten und durchgeknallten Protagonisten im Nassen herum, dass man um ihre Knochen, ja und ihre Gesundheit fürchten muss (zum Glück tragen sie Neopren unter den Kostümen). Das großartige Ensemble (Luise Deborah Daberkow, Thomas Eisen, Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Mauricio Hölzemann, Max Wagner) hat sichtlich Spaß. Auch daran, wie sie mit den wenigen, aber höchst wandelbaren Requisiten umgehen dürfen. Das sind lediglich flexible Röhren und Kabelschläuche in allen Formen und Größen, Spieltunnels in grau und weiß, wie man sie von Kindergeburtstagen kennt. Die großen werden mal zu dorischen Palastsäulen, mal zu den schrecklich vielen Hälsen der Hydra, zum erhabenen Tempel in Delphi, sogar zu Prachtroben und Möbeln. Die kleinen verwandeln sich in ein Handtuch, ein Baby, eine Keule, ein Horn, eine Krone oder auch einen Phallus. Im Rhythmus von viel Gedröhne wird damit gespielt, was das Zeug hält.

Doch dann im zweiten Teil wird es ernst und ergreifend. Warum hat man Herakles das Denken nie beigebracht? Warum bestärkt ihn die Gesellschaft in seiner Dummheit? Macht die Herausforderung süchtig? Männliches „Heldentum“ – der Weg in die Katastrophe?

Großer Beifall für ein erstklassiges Schauspieler-Ensemble, eine überzeugende Idee und eine tolle Bühne. Anschauen und mitdenken!



Herakles am Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair

Petra Herrmann - 9. Februar 2019
ID 11201
HERAKLES (Münchner Volkstheater, 07.02.2019)
Inszenierung und Bühne: Simon Solberg
Kostüme und Mitarbeit Bühne: Katja Strohschneider
Dramaturgie: Kilian Engels
Mit: Luise Deborah Daberkow, Thomas Eisen, Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Mauricio Hölzemann und Max Wagner
Premiere war am 7. Februar 2019.
Weitere Termine: 11., 13., 17., 23., 27.02. / 05., 09., 15.03.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-volkstheater.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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