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Unter dem Krieg

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Hekabe am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Bewertung:    



„Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr, / Daß er um sie soll weinen?“, fragt sich der Dänenprinz in Shakespeares Tragödie Hamlet. Ausgesprochen beim Anblick eines um das Schicksal der trojanischen Königin Hekabe in Tränen ausbrechenden Schauspielers. Ist dies Bewunderung der Wandlungsfähigkeit eines Mimen oder Ausdruck des Gleichgültig gegenüber fremden Elends im Angesicht des eigenen? Einfühlung und Katharsis oder distanzierte Betrachtung, das sind die Möglichkeiten des Schauspiels, je nach dem, was man damit bezweckt. Regisseur Stefan Kimmig war bisher für relativ nüchternes Schauspielertheater bekannt, aber auch für durchaus psychologische Figurenzeichnungen. Sein letzter Ausflug in die Antike mit Racines Phädra (in der Hauptrolle Corinna Harfouch) war schon sehr nüchtern gehalten. Nun hat Kimmig gemeinsam mit dem DT-Dramaturgen John von Düffel mehrere antike Werke miteinander verschränkt. Jene selten gespielte Tragödie der Hekabe von Euripides, dessen Troerinnen, die letztens des Öfteren auf der Bühne zu sehen waren, sowie Homers Ilias und die Odyssee. Auch diese wurden schon öfter fürs Theater adaptiert. Es ist dies aber nicht eine der sogenannten Digest-Fassungen im theatralen Großformat, für die Dramaturg und Autor von Düffel bestens bekannt ist, sondern ein „Konzert“ genanntes Kammerspiel für mehrere Stimmen und elektronisches Schlagwerk.

*

Szenische Lesung mit rhythmischer Begleitung würde allerdings eher auf das nun im Deutschen Theater vorgetragene Textkonvolut passen. „Woher kommt der Hass? Wie sucht er sich seine Opfer, was für Helden produziert er? Und wie tief ist er verwurzelt?“ Das fragt Stephan Kimmig in seiner Inszenierung Hekabe - Im Herz der Finsternis. Er legt dabei den Fokus auf die Frauenfiguren und Verliererinnen des trojanischen Kriegs und mit ihnen auf Hekabe, die Verkörperung von Kriegsleid und -elend. Die Frauen Trojas sind nach der Niederlage gegen die Griechen zu Sklavinnen den Siegern zugelost, machtlose Opfer, an denen sich „die Gewalt und Grausamkeit des Krieges fortsetzt“, wie es im Ankündigungstext weiter heißt. Hekabe ist Mutter von 50 Söhnen und Töchter. Alle sterben sie im Kampf um Troja und danach im Siegestaumel der Griechen. Selbst ihr bei den Trakern gegen Gold in Sicherheit gebrachter letzter Sohn Polydoros wird von deren König Polymestor, der sich mit den Griechen verbündet hat, ermordet. Da ihr durch Agamemnon keine Gerechtigkeit wiederfährt, rächt sie sich schließlich selbst, indem sie Polymestor blendet und dessen Kinder töten lässt.

Ein Kreislauf der Rache und Gewalt, der hier von den drei Schauspielrinnen Katharina Matz, Linn Reusse, Almut Zilcher und dem Schauspieler Paul Grill ohne feste Rollenzuschreibungen an Notenpulten stehend vorgetragen wird. Drei Generationen von Schauspielrinnen teilen sich die meisten der Frauenrollen wie Hekabe, Kassandra oder Andromache und Paul Grill übernimmt die griechischen Helden Agamemnon, Odysseus sowie weitere Männer am Rande des Leidenswegs der Troerinnen. In 10 Abschnitte mit Titeln wie „Götter“, „Männer“, „Frauen“ oder „Mütter“ geteilt folgt der Text dabei den Berichten Homers vom Disput der Götter Athene und Poseidon über ihre Einflussnahme am Krieg und den wütenden Klagen Poseidons über die Zerstörung der Stadt mit der Schändung der Frauen und geht dabei bis zu den Irrfahrten des Odysseus, den Klagen der Toten im Hades und der trojanischen Frauen über ihr Schicksal und die Ermordung ihrer Kinder. Der Abend kulminiert dann schließlich im Rachefeldzug der Hekabe gegen den Verräter Polymestor.

Begleitet wird die szenisch sparsame Inszenierung durch eine ausgefeilte Lichtregie, die die mit Bretterwänden ausgekleidete Bühne in immer neue Farben taucht, und den rhythmischen Klängen, die Michael Verhovec mit einem elektronischen Xylophon erzeugt. Der Ton der Darstellerinnen macht aber die Musik. Mal getragen deklamierend kann er sich auch kreischend in die Höhe schrauben. Ein Tänzchen zu viert ist dann schon das exaltierteste an Bewegungschoreografie. Almut Zilcher hat noch als mythische Rachehündin Hekabe einen kleinen Auftritt. Auch wenn einen das schon angesichts der Mörder, die zu endlosen nach dem Alphabet aufgereihten Namenketten von gefallenen Helden, die die vielen namenlosen Opfer-Frauen übertönen, nicht kaltlassen kann, so bleiben die kurzen 80 Minuten wie schon bei David Martons Howl-Inszenierung einen Tag zuvor in der Volksbühne ein doch etwas zu sparsam und kunstvoll serviertes Appetithäppchen, das auf Dauer sicher nicht satt machen kann.



Hekabe am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 25. November 2019
ID 11843
HEKABE - IM HERZ DER FINSTERNIS (Deutsches Theater Berlin, 22.11.2019)
Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Katja Haß
Kostüme: Anja Rabes
Musik: Michael Verhovec
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: John von Düffel
Mit: Paul Grill, Katharina Matz, Linn Reusse, Almut Zilcher und dem Live-Musiker Michael Verhovec
Premiere war 22. November 2019.
Weitere Termine: 28.11. / 04., 07., 29.12.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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