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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Max und Moritz

am Berliner Ensemble


Foto (C) JR Berliner Ensemble

Bewertung:    



„Ach, was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.“


Wer kennt sie nicht aus seinen Kindertagen, die boshaft frechen Lausbubengeschichten, „abgemalt und aufgeschrieben“ von Wilhelm Busch? „Menschen necken, Tiere quälen,/ Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen“. Es gibt nichts an Schabernack, den diese beiden Bilderbuch-Übeltäter nicht getrieben hätten. In sieben Streichen setzen sie der Witwe Bolte, dem Schneidermeister Böck, dem Lehrer Lämpel, Onkel Fritze, dem Meister Bäcker und dem Bauer Mecke heftig zu, bis der Meister Müller ihrem Treiben ein jähes Ende setzt. Mit seinem „Ritzeratze!“, „kritze, kratze“ oder „Rickeracke! Rickeracke!“ nimmt Busch auch schon die Kurztext-Blasen der späteren Comic-Erzählungen vorweg. Antú Romero Nunes hat den Bildergeschichten-Klassiker nun für die koproduzierenden Ruhrfestspiele Recklinghausen und das Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht.

*

Max und Moritz sind hier zwei böse Clowns, dargestellt vom Schauspielerinnen-Duo Annika Meier und Stefanie Reinsperger, denen Fritsch-Kostümbildnerin Victoria Behr ein ziemlich originales Outfit verpasst hat. Ganz im Stile Buschs sind hier die beiden androgynen Bösewichte und ihre Opfer kostümiert. Zunächst stehen aber nur die beiden Titelfiguren im Spotlicht und blödeln mimisch und gestisch in einer Art Nonsensprache wie die Teletubbies zu live erzeugten Knistergeräuschen von Musikerin Carolina Bigge im Kostüm des Bäckermeisters.

„Max und Moritz legen lustvoll und anarchisch Lunte an die bürgerliche Ordnung. Bis sie schließlich gemahlen und gefressen werden.“ steht im Ankündigungstext der Ruhrfestspiele. „Das Böse und die fehlende moralische Implikation interessieren ihn an dieser Erzählung genauso wie das, was man nicht auf den Bildern sieht und bislang nur ahnte“, legt das BE nach. Wo genau Regisseur Nunes in seiner Bühnenadaption das Moraldefizit verortet, und ob es auch um einen Anschluss der Streiche und alten, erzieherisch heute sicher nicht mehr ganz so wertvollen Lehren an die Gegenwart geht, dazu schweigt sich die Dramaturgie aus. Eine große Spaß-Sause ist es aber allemal.

Und ein Streich-Konzert, das sogleich mit einem Kalauer beginnt, wenn sich Sascha Nathan als Witwe Bolte kurz den Kontrabass greift. Streich eins ist dann auch der, der am breitesten ausgebaut wird, mit einem zum zweidimensionalen Originalmedium passenden echten Bilderrahmen hinter dem das 5-köpfige Ensemble in Hühnerkostümen immer wieder zu kurzen Fototableaus einfriert. Nathan drückt auf die Tube und treibt seine Mitspieler (neben Annika Meier und Stefanie Reinsperger agieren noch Constanze Becker und Tilo Nest) an, bis die drei Hühner nebst übergriffigem Hahn am Rahmen hängen. Es fliegen die Federn, wird ein Ofen gebaut, auf dem ein Brathuhn im aufblasbaren Nacktkörper liegt, das, von Max und Moritz geangelt, später doch noch Je t’aime, moi non plus singt.

In dem Stil setzt sich der Abend fort, auch wenn sich die Geschichten immer mehr von den Versen Wilhelm Buschs entfernen, aber weiter reichlich Nonsens betrieben wird. Besonders ernst soll es also nicht werden, will einem das sagen. Dem Meister Böck (Tilo Nest) kippen die beiden Racker je eine Eimer Wasser ins Gesicht. Von der zersägten Brücke erfährt man dann, wenn die Frau des Schneiders (wieder Sascha Nathan) beim Bügeln ihres nassen Mannes mit der Witwe Bolte telefoniert. Und wenn Lehrer Lämpel (Constanze Becker) den beiden Rackern die Flötentöne beibringen will, dann rappen Max und Moritz zu fetten Hip-Hop-Beats. Die Handys mit Leuchtfunktion hoch. Und wenn das Publikum mitgeht, lässt Nunes kleine Licht-Glühwürmchen fliegen, die unter die Decke von Onkel Fritz (Tilo Nest) krabbeln, der vorm Schlafengehen noch einen launigen Vortrag über die Kunst hält.

Als am Ende die genervten Spießbürger zurückschlagen und Max und Moritz voll Schadenfreude geduscht und bemehlt in die Backkiste stecken, kommt der bis dato lustige Abend etwas Schlagseite. Regisseur Nunes entwickelt schließlich doch eine gewisse sentimentale Sympathie für seine beiden Anarcho-Strolche, die er als letzte Partisanen überbordender Fantasie und schräger Bühnenkunst als aufblasbare Riesenengel vom Bühnenhimmel schweben lässt. Das ist sicher ein großes Schauspiel-Fest für das gut aufgelegte Ensemble. Nur als echte schwarzhumorige Gesellschaftssatire bleibt der Abend etwas zu nett. Und die Moral von der Geschicht? Necke deinen Nachbarn nicht.



Max und Moritz am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Stefan Bock - 23. Mai 2019
ID 11430
MAX UND MORITZ (Berliner Ensemble, 22.05.2019)
Eine Bösebubengeschichte für Erwachsene
nach Wilhelm Busch

Regie: Antú Romero Nunes
Bühne: Matthias Koch
Kostüme: Victoria Behr
Dramaturgie: Sabrina Zwach
Licht: Ulrich Eh
Musik: Johannes Hofmann
Live-Musik: Carolina Bigge
Mit: Constanze Becker, Annika Meier, Sascha Nathan, Tilo Nest und Stefanie Reinsperger
Premiere bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen war am 10. Mai 2019.
BE-Premiere: 22. Mai 2019
Weitere Termine: 26.05., / 01., 02., 15., 16.06.2019
Eine Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen

Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


Post an Stefan Bock

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