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Performance

Schorsch Kamerun

beerdigte das

Bauhaus als

museale

Institution



Das Bauhaus. Ein rettendes Requiem in der Volksbühne Berlin | Foto (C) David Baltzer

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Wenn man heute Bauhaus googelt, bekommt man zuerst den Link zu einer recht bekannten Baumarktkette. Ist das jetzt das endgültige Ende der vor 100 Jahren vom Architekten Walter Gropius in Weimar gegründeten, nicht minder bekannten Bauhausschule? Der Totenschein des originalen Bauhaus' wäre demgemäß mit der Abweisung der Klage des Bauhausarchivs e.V. wegen Verletzung des Namensrechts am 25. Mai 1972 vom Landgericht Mannheim ausgestellt worden. Zu lesen ist das im Programmheft eines Das Bauhaus. Ein Rettendes Requiem genannten Projekts, das Goldene-Zitronen-Mastermind Schorsch Kamerun gerade zum 100. Bauhaus-Jubiläum an der Berliner Volksbühne performen ließ. Als Institution würde es dennoch vor allem museal weiterleben. Oder wie es Schauspieler Paul Herweg, der als weißhaariger Motivationstrainer dem Publikum beständig säuselnd in den Ohren lag und auf großen Videoscreens zu sehen war, ganz treffend formulierte: "Denkmal, Jubiläum, Museum, Mausoleum."

*

Auch der letzte Volksbühnenintendant Chris Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock beriefen sich bei ihrem Antritt u.a. auf Gropius' Ideen und das Bauhaus. Sie sind nicht nur daran gescheitert. Übrig geblieben war dieses damals schon geplante Projekt, das nun unter dem momentanen Intendanten Klaus Dörr im Bauhaus-Jubeljahr zur Aufführung kam. Bespielt wurden an drei Tagen neben dem großen Saal auch der Grüne Salon und das Sternfoyer im 1. Stock. Das Publikum streifte mit an den Seiten blau leuchtenden Kopfhörern durch das Haus, geführt von Schorsch Kamerun als fiktivem Abenddienstleiter, der in seinen einleitenden Worten den Gebrauch sämtlicher mobiler Elektronik explizit erlaubte. Im Zeitalter der Digital Nativs wähnt sich eh jeder als gestaltender Künstler. Das Bauhaus war aber immer auch ein Mittler zwischen Kunst, Stil und Gebrauch. Wobei der Gebrauch nicht erst heute vor allem eine Frage des ökonomischen Nutzens ist. Kunst kann sich nicht jeder leisten, Stil und guter Geschmack sind in der durchökonomisierten Welt Zeichen von gesellschaftlichem Status. Das Bauhaus verkommt zum reinen Markenartikel.

Dagegen will dieses sogenannte "rettende Requiem" anspielen, die Welt neu und um die Ecke denken. Ein Experiment, das raus aus der Komfortzone führen sollte. Und zu einer "konzertanten Beerdigung" brauchte es u.a. eine weihevolle Musik, die es mit den von der Mezzosopranistin Corinna Scheurle gesungenen Arien und Liedern in wechselnder Kostümierung auch reichlich gab. Sie sang Gustav Mahlers Vertonung des Rückertliedes Ich bin der Welt abhandengekommen, "Remember me" aus Dido's Lament von Henry Purcell oder Brechts Gedichtzeilen "Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen, fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll reihe ich mich ein unter die Verkäufer". Wohl auch ein zynischer Verweis auf die Marktorientierung der Kunst.

Dass man, um die Welt neu denken zu können, dieser erstmal abhandenkommen müsste, war wohl die schöne Quintessenz von Schorsch Kameruns Abend. Selbst beigesteuert hatte er dazu nette Elektropopklänge und Texte wie: "Was passt am besten um Menschen herum? Alles ganz grade, oder extra möglichst krumm?" Das war hier nicht nur eine Formfrage, sondern fast schon ein wenig philosophisch gedacht. Aber worin besteht nun der Unterschied, ob heutige Künstler oder die Politik einer in die Jahre gekommenen Institution gedenken, die sich, zu Beginn der Weimarer Republik in eben jenem Weimar gegründet, aufmachte Kunst und Form zu revolutionieren? Kamerun wollte nun nicht mal die damalige Idee dahinter retten, nach der ein Ding seine Funktion praktisch erfüllen sowie haltbar, billig und schön sein muss. Es soll nach Gropius seinem Zweck vollendet dienen. Einen Einblick in diese Philosophie der Form- und Stoffwahl gab die Schauspielerin Paula Kober anhand einer einfachen Kaffeetasse. Die "Arroganz der Form", die "Dummheit der Stoffwahl" sei alles nur "pures Blendwerk", wie es bei ihr hieß. Während man das hörte, sah man Schauspielstudierende und P14-Mitglieder in Fantasiekostümen mit Plastikzitronenbäumchen durchs Foyer prozessieren.

Weiter ging es dann im geöffneten Saal, wo das Publikum von frischem Plätzchenduft betört durch eine kleine Zeltstadt auf der Bühne wandeln, launigen Interview-Bröckchen zum Gedenken an das Bauhaus lauschen und dabei kleine Aussichtspodeste erklimmen konnte. Dazu sang der Meister wieder so schöne Popperlen wie eine ironische Hymne auf alle "Start-up-Boten", "Kick-off-Lotsen" und "nachhaltigen Ökonomen". Ein Plädoyer für eine Zukunft in modischem Grün. Und während Anne Tismer im Grünen Salon von der weiblichen Seite des Bauhauses berichtete und Tanzen nach Zahlen performte, reimte Kamerun einfach "Ich werd Verpetzen durch Orange ersetzen".

Das war so grundsympathisch wie wirkungslos. Auch wenn am Ende auf der großen Bühne noch mal die Politiker mit ihren hohlen Phrasen bloßgestellt wurden, wenn Kamerun aus einer Debatte zur Vorbereitung des Jubiläums und der Beteiligung der Bundespolitik daran zitierte. Zuvor hatte er schon „den neuesten Gedanken droht Vorabendserie" geunkt. Statt um Innovation und Kreativität ging es um "Aktien und Effekte". Und Nanotechnologie sei Dank bekäme die Industrie durch implantierte Chips bald den direkten Zugriff auf unsere Konten, wusste der Innovationsmotivator Paul Herweg. Die Welt neu denken, im positiven Sinne, ist dann wohl doch nicht ganz so einfach.




Das Bauhaus. Ein rettendes Requiem in der Volksbühne Berlin | Foto (C) David Baltzer
Stefan Bock - 23. Juni 2019
ID 11525
DAS BAUHAUS. EIN RETTENDES REQUIEM (Volksbühne Berlin, 20.06.2019)
Regie: Schorsch Kamerun
Bühne: Katja Eichbaum
Kostüme: Gloria Brillowska
Komposition: PC Nackt und Schorsch Kamerun
Dramaturgie: Elodie Evers
Mit: Paul Herwig, Paula Kober, Anne Tismer, Corinna Scheurle, Mia von Matt, Frank Willens u.v.a.
Premiere war am 20. Juni 2019
Eine Kooperation zwischen projekt bauhaus und der Volksbühne Berlin


Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin/de/


Post an Stefan Bock

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