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Dostojewskis großer Schuld- und Sühne-Roman als düsterer Horroralbtraum



Verbrechen und Strafe am HOT Potsdam | Foto (C) HL Böhme

Bewertung:    



Ist es gerechtfertigt im Namen einer großen Idee zu morden? Diese moralisch gesehen eigentlich recht abwegige Frage bejaht nicht nur der hochintelligente aber verarmte Jurastudent Rodion Romanowitsch Raskolnikow aus dem großen Romanwerk Verbrechen und Strafe des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski, auch Anhänger verschiedenster Ideologien erachteten in der Geschichte der Menschheit in ihren Augen unwertes Leben für nicht erhaltenswert. Und nicht erst durch die drohenden Gewalttaten von Terroristen gewinnt diese Frage heute wieder an Bedeutung.


War es für Thomas Mann „der größte Kriminalroman aller Zeiten“, obwohl der Täter ja von Anfang an feststand, interessierte sich Dostojewski mehr für die Psyche seines Romanhelden Raskolnikow. Außerdem spielten für den Autor auch eher religiöse und moralische Fragen eine Rolle, weshalb der Roman in früheren Übersetzungen wohl auch mit Schuld und Sühne betitelt wurde. Dostojewski beschreibt darin eine Wandlung, die er (wegen sozialrevolutionärer Umtriebe zunächst zum Tode verurteilt) selbst beim Abbüßen seiner Strafe in einem sibirischen Lager durch das Lesen des Neuen Testaments vollzogen hatte. Wie er kommt auch der Mörder Raskolnikow am Ende in ein Straflager. Ob sich dabei tatsächlich eine spirituelle oder humanistische Wandlung vollzieht, lässt die Inszenierung von Alexander Nerlich am Hans Otto Theater Potsdam ähnlich wie Dostojewski offen. Dennoch beschreibt sie von Anbeginn recht eindrücklich die innere Spannung und Zerrissenheit Raskolnikows bis zur Entscheidung sich dem Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch zu stellen.


Den schuldigen Studenten verfolgen hier seine inneren Dämonen schon in einem minutenlangen Prolog, bei dem Eddi Irle als rastloser Raskolnikow beim Laufen über die Bühne zu treibenden Beats vom restlichen Ensemble in weißen Totenkopfmasken verfolgt und immer wieder angerempelt wird. Der in einer ärmlichen Kammer Hausende hat für die Miete seine letzte Habe bei der Pfandleiherin Aljona Iwanowna (Andrea Thelemann) versetzt und sinnt nun nach einem Gespräch in der Kneipe darauf, wie er einen Mord an dieser niederen, von ihm als Laus bezeichneten Person rechtfertigen könnte. Raskolnikow hatte zu diesem Gedankenspiel bereits den passenden Artikel in einer Zeitschrift veröffentlichen wollen. Nun schreitet der sich zu höherem Berufene mit der Axt zur Tat.


Auf der Drehbühne des Hans Otto Theaters sind die verschiedenen Handlungsorte durch schräge Wände, die einen sich vorn öffnenden Trichter bilden, an dessen Rückseiten die Stube Raskolnikows, die angeranzte Behausung der Familie Marmeladow, die der Pfandleiherin oder ein schmuddeliges Hotelzimmerzimmer angeordnet sind. Immer wieder sieht man Ikonenbilder, und bei der Wucherin steht so eine Madonna sogar leibhaftig in der Wohnung. Raskolnikow geht mit der Axt zu Werke, bis das Genick knackt, und erwürgt auch die aus der Waschmaschine gekrochene, im Geiste etwas schlichte Schwester (Nina Gummich). In einem fast slapstickartigen Tänzchen hindern ihn die beiden Untoten daran, das Schmuckversteck der Wucherin in der Schrankwand auszuräumen.


Regisseur Nerlich setzt wie schon in seinen Inszenierungen von Peer Gynt und Das goldene Vlies auf manch düstere Horroreffekte, das Spiel mit Puppen und lässt am Rande vom Ensemble Geräusche machen. Besonders gelungen ist ihm aber neben der dunklen Bühne von Zana Bosnjak auch die Figur des pädophilen Arkadij Iwanowitsch Swidrigajlow, den Moritz von Treuenfels als eine Art schwarzgewandeten Vampir gibt, der Raskolnikow immer wieder auflauert oder in einer Telefonzelle anruft. Dass von Treuenfels auch noch den Untersuchungsrichter spielt, funktioniert als schöner Verwirrungstrick, ist doch auch Porfirij Petrowitsch hinter dem Mörder her, nur eben kreist er sein Opfer geschickt auf Fehler wartend ein, triggert es unmerklich, bis er plötzlich unvermittelt neue Verhörmethoden aufzieht. Dazu findet Nerlich immer wieder sehr plastische Bilder. So zieht sich der Idealist Raskolnikow, der durch den Mord und die Begegnung mit den Marmeladows in der harten Realität aufgeschlagen ist, immer wieder wie eine Fledermaus in eine Kraterhöhle zurück.


Neben Eddi Irle verkörpern weitere sechs SchauspielerInnen in wechselnden Rollen Dostojewskis Romanpersonal. Michael Schrodt gibt u.a. den verzweifelten Trinker Marmeladow, Denia Nironen
dessen geplagte und dauerkeuchende Frau. Fast ein Gegenpaar bilden die beiden als schmieriger Geschäftsmann Luschin und Dunja, die zeitweilig mit ihm verlobte Schwester des Raskolnikow. Florian Schmidtke überzeugt als Raskolnikows rühriger Kumpel Rasumichin, der ein Auge auf Dunja geworfen hat und auch für ein paar komische Momente sorgt. Die vielleicht stärkste Bezugsperson beim Wandel des Raskolnikow ist aber Sonja, die Tochter der Marmeladows (wieder Nina Gummich). Sie prostituiert sich für die Ernährung der Familie und will den an nichts mehr Glaubenden zur Reue und Liebe zu Gott zurückführen. Dass Raskolnikow auch wegen der ständigen um ihn schwirrenden Stimmen schließlich das schlechte Gewissen kommt und er einsehen muss, dass er eben doch nicht der große Übermensch ist, den er in sich gesehen hat, lässt den Dauerschwitzenden in sich zusammenklappen. Aber selbst als die Hatz ein Ende hat und Irle im Lager in einem Doppelstockbett liegt, lassen ihn die Toten nicht ruhen.



Verbrechen und Strafe am HOT Potsdam | Foto (C) HL Böhme

Stefan Bock - 12. Februar 2018
ID 10512
VERBRECHEN UND STRAFE (HOT Potsdam, 10.02.2018)
Regie: Alexander Nerlich
Bühne/ Kostüme: Zana Bosnjak
Musik: Malte Preuß
Choreografie: Jasmin Hauck und Cecilia Wretemark
Dramaturgie: Julia Fahle
Theaterpädagogik: Manuela Gerlach
Mit: Eddie Irle, Florian Schmidtke, Nina Gummich, Michael Schrodt, Moritz von Treuenfels, Andrea Thelemann und Denia Nironen
Premiere am Hans Otto Theater Potsdam: 2. Februar 2018
Weiterer Termin: 28.02.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.hansottotheater.de


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