Katharina Thalbach
inszenierte
Tennessee Williams
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Die Glasmenagerie in der Komödie am Kufürstendamm | Foto (C) Barbara Braun
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Bewertung:
Der US-amerikanische Schriftsteller und Dramatiker Tennessee Williams gehört neben William Faulkner, Flannery O'Connor, Harper Lee oder Truman Capote zu den Hauptvertretern des sogenannten Southern Gothic. In seinen Südstaatendramen wie Die Katze auf dem heißen Blechdach, Orpheus steigt herab oder Endstation Sehnsucht beschreibt er den Niedergang der dekadenten, gutbürgerlichen Südstaatengesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei nahm Williams in seinen Dramen meist direkt Bezug zur eigenen Familiengeschichte. So auch in dem 1944 in Chicago uraufgeführten Stück Die Glasmenagerie, mit dem er erstmals bekannt wurde.
Wie das weitaus häufiger gespielten Stück Endstation Sehnsucht ist auch Die Glasmenagerie eine hochpsychologische Familienstudie mit starkem Symbolcharakter, wenn auch den Dialogen noch etwas die spätere Schärfe fehlt. Eine spezielle Besonderheit des Dramas ist aber die Einbindung einer epischen Erzählebene, in der die Hauptperson Tom Wingfield das Geschehen auf der Bühne immer wieder im Rückblick kommentiert und dazu noch in die große Weltgeschichte einordnet. Während im St. Louis der 1930er Jahre eine in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie mit Mutter, Tochter, Sohn zerfällt, gibt es in Europa bereits die ersten Anzeichen für den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg.
Und so steht Leonard Scheicher als Tom Wingfield in Seemannsjacke auf der Bühne der Komödie am Kurfürstendamm und berichtet zu coolen Schlagzeugbeats von Live-Musiker Emanuel Hauptmann von den Bomben des Spanischen Bürgerkriegs. Während Amerikas Jugend sich zu Jazzklängen amüsiert und in Hollywood-Kinofilmen von Abenteuern auf fernen Kontinenten träumt, schießt sich Hitler-Deutschland in Spanien bereits auf Kommendes ein. Auch Tom Wingfield war einst so ein Sehnsuchtsräumer. Mit flinker Hand führt er uns ein paar Zaubertricks vor und erzählt mit dem Wissen von heute eine Geschichte aus seiner Erinnerung. Und in der erscheint alles immer in der Begleitung von Musik. Melancholisch spielt das Grammofon alte Blues- und Jazz-Titel.
Und so ist auch der Ton der Inszenierung von Katharina Thalbach, die sonst eher für deftigen Komödien-Klamauk á la Wie es euch gefällt bekannt ist, in weiten Teilen ein ganz zart-melancholisch weichgezeichneter. Bühnenbildner Ezio Toffolutti hat der Regisseurin dafür ein paar drehbare mit weißen Vorhängen luzid abgetrennte Räume geschaffen und mit ein paar alten Möbeln ausstaffiert. Hier strahlt alles Gemütlichkeit, aber auch etwas langweilige Spießigkeit aus. Mutter Amanda Wingfield (Anna Thalbach [die Tochter von Katharina Thalbach]) nervt nicht nur mit belehrenden Tischweisheiten und Kalendersprüchen, sondern auch mit ihren ewig gestrigen Geschichten aus einer einstmals besseren, mondänen Vergangenheit mit vielen Verehrern. Während sich der tags in einem Lagerhaus malochende Sohn Tom immer beengter fühlt und jede Nacht ins Kino oder den Alkohol flieht, zieht sich die lebensuntüchtige Tochter Laura (Nellie Thalbach [die Enkelin von Katharina Thalbach]) immer mehr in die fragile Traumwelt ihrer titelgebenden Glasfiguren zurück.
In ständiger, sparsam beleuchteter Düsternis werfen ferne, kaum hörbare Rufe und vage Umrisse hinter den Vorhängen Schatten böser Ahnungen voraus. In Tennessee Williams Drama einer zerbrechenden Südstaatenfamilie wechseln Wut und Emotionen mit Melancholie und Depression. Mit dem Mut der Verzweiflung versucht Mutter Wingfield alles zusammenzuhalten. Letztendlich nur ein kurzer Hoffnungsschimmer, ein letzter Griff nach dem rettenden Strohhalm. Anna Thalbach spielt das ganz resolut mal als gluckendes, schnarrendes Muttertier, mal als Dame von Welt mit Ambitionen zu Höheren. In die Zukunft der Kinder investiert sie alles, nur die Ungeduld des unzufriedenen Sohns, das schwindende Selbstvertrauen und der fehlende Lebensmut der Tochter torpedieren immer wieder die Bemühungen der Mutter.
Letzte Chance für Laura ist ein arrangiertes Abendessen zur gezielten Eheanbahnung. Tom, der sich innerlich wie vor Jahren sein Vater schon längst verabschiedet und den Seemannspass in der Tasche hat, lädt seinen Arbeitskollegen Jim O’Conner (Florian Donath) ein, der neben dem Lagerhaus-Job Rhetorik und Radiotechnik an der Abendschule studiert. Bei dessen gut gemeinten Schmeicheleien taut die sonst recht ängstlich piepsige Laura kurzzeitig auf, bevor die letzte Enttäuschung sie endgültig verstummen lässt. Das symbolgeladene gläserne Einhorn verliert beim Tanz der beiden sein Horn und wird zum gewöhnlichen Pferd ohne Besonderheit.
Nelli Thalbach schafft es sehr gut, der stets schüchternen, leicht gehandicapten Laura ein paar einfühlsame Facetten abzugewinnen. Die dankbareren Rollen haben aber sicherlich die beiden Ernst-Busch-Schauspielschüler Leonard Scheicher und Florian Donath, die ihre Figuren spielerisch hervorragend beherrschen und die recht einfache, konventionelle Inszenierung tragen. Das muss kein Nachteil sein. Katharina Thalbach zeigt, wie mit ein paar gezielten Lichtwechseln, Musik und Kerzenschein sowie gutem Schauspiel die düstere Gotik Tennessee Williams zu glänzen beginnt.
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Die Glasmenagerie in der Komödie am Kufürstendamm | Foto (C) Barbara Braun
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Stefan Bock - 11. März 2016 ID 9195
DIE GLASMENAGERIE (Komödie am Kurfürstendamm, 08.03.2016)
Regie: Katharina Thalbach
Ausstattung: Ezio Toffolutti
Musik und Drums: Emanuel Hauptmann
Mit: Anna Thalbach, Nellie Thalbach, Leonard Scheicher und Florian Donath
Premiere war am 6. März 2016
Weitere Termine: bis zum 17. 4. 2016, immer Di - So
Weitere Infos siehe auch: http://www.komoedie-berlin.de/
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