Laues Lüftchen am DT
Stefan Pucher inszenierte Shakespeares WAS IHR WOLLT
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Bewertung:
Das Illyrien in Shakespeares Komödie Was ihr wollt ist ein Traumort, der wahr ist und gleichzeitig nicht. Hier scheint zunächst alles möglich. Es wird unabhängig von sozialer Stellung, Geschlecht und sexueller Ausrichtung begehrt und geliebt. Als zusätzlich identitätsverwirrendes Wesen erscheint die an den Gestaden des Eilands gestrandete Viola als androgynes Wesen Cesario in der Kleidung eines Mannes und dem Aussehen eines Knaben, oder irgendetwas dazwischen. Sie wirbt in Diensten des Liebes- und Lebensmelancholikers Herzog Orsino um die Gunst der schönen, aber um ihren toten Bruder trauernden Gräfin Olivia. In den scheinbaren Knaben verliebt sich nun die unnahbare Gräfin, während das Mädchen im Knaben den unerreichbar scheinenden Orsino begehrt. Das alles hat Shakespeare mit viel Wortwitz und einer deftigen Nebenhandlung mit sangesfreudigen Saufgelagen nach Art der Twelfth Night sowie jeder Menge Spaß, Hoffart, Neid und Intrige am Hofe Olivias gewürzt. Eine dark comedy mit frivolen wie politischen Anspielungen, die heute kaum noch verständlich sind und daher einer klugen Übersetzung bedürfen.
Einer, der das anerkannter Weise sehr gut beherrschte, war der Dichter, Dramatiker und Filmregisseur Thomas Brasch, der gerade im Februar seinen 70. Geburtstag gefeiert hätte, wenn er nicht viel zu früh gestorben wäre. Am Deutschen Theater Berlin verwendet Regisseur Stefan Pucher nun eine Neuübersetzung von Jens Roselt, die recht modern klingt und Shakespeares Blankvers immer wieder auflöst, mit ihm spielt und dem deutschen Text zu derben Späßen auch recht explizite Worte gönnt. Auch wird hier nicht nur das Spiel mit den Identitäten betont. Um wie immer auch Kritik an der Spaßgesellschaft („Wer gut drauf ist, hat was zu lachen, wie’s weitergeht, ist einerlei.“), TV-Shows und dem eitlen Theaterbetrieb selbst zu üben, lässt Pucher die Darsteller auch mal aus der Rolle fallen und diese in ihrer momentanen Lage lässig reflektieren. Man gibt sich modern mit dem Bühnenbild von Barbara Ehnes und der Live-Musik von Masha Qrella und Michael Mühlhaus, lächerlich bis mondän in den Kostümen von Annabelle Witt, ergänzt durch fantastische Videofilmchen, die wie immer Chris Kondek über die Bühnenrückwand flimmern lässt.
Puchers Illyrien scheint es noch nicht an Land geschafft zu haben oder sich bereits wieder im Untergang zu befinden. Ein sagenhaftes Unterwasserreich mit U-Booten, zwittrigen Seepferdchen und umherirrenden Spermien. Um die Sehnsucht und Ambivalenz aller Protagonisten zum Ausdruck zu bringen, legt Pucher immer wieder die Betonung auf Sätze wie: „Ich wünschte, Sie wären so, wie ich sie haben will.“ oder „Ich bin nicht, was ich spiele.“ Verstärkt wird diese Zerrissenheit durch die stark aufspielende Katharina Marie Schubert im weinroten Kurzhosenanzug, die als Viola/Cesario zuweilen betont schizophren mit sich selbst im Zwiegespräch steht. Sie gibt auch den verschollen geglaubten Zwillingsbruder Sebastian, der die Verwirrtheit der Figuren ins Aberwitzige steigert, als er auch noch am Hofe Olivias auftaucht. Als seemännische Begleiter der beiden Schiffbrüchigen fungieren mit Susanne Wolff und Andreas Döhler ausgerechnet die Darsteller des nicht zueinander kommenden Illyrier-Paars Olivia und Orsino. Pucher will also schon in den Rollenverteilungen mit unseren Wahrnehmungen spielen.
Das Problem der Inszenierung liegt aber gerade in der Zusammenführung der unterschiedlichen Handlungsebenen. Da sind einerseits die verkopften Intellektuellen Orsino und Olivia, wobei Andreas Döhler schon zu Beginn den melancholisch verhuschten Philosophen im asiatischen Morgenmantel gibt, ansonsten aber seinen gelangweilten Herzog meist zur Seite weg nuschelt. Wogegen Susanne Wolff erst im elisabethanischen Blütendruckgewand die Unnahbare spielt und dann im Glitzerkimono etwas Verruchtheit verströmt. Fürs frivol Grobe sind wie immer der versoffene Sir Toby Rülps und sein trotteliges Anhängsel Ritter Andrew Backenfahl zuständig, die bei Christoph Franken und Bernd Moss gemeinsam den Gipfel der Vergnüglichkeit erklimmen, inklusive Blowjob. Ihnen steht Anita Vulesica als nöliges Blondchen Maria zur Seite. Die feuchtfröhliche Partyblase lässt keine Zote aus. „Humor, wenn es dich gibt, bring mich in Stimmung.“ Aber da hilft auch kein Lachgummi mehr. Zumal Margit Bendokat als Narr Feste, ein einziges Understatement in Sachen Humor, mit lauter Zaunpfählen winken und als Oskar-Matzerat-Double auch noch Blechtrommeln muss. Verschenkt.
Nur mäßig witzig chargiert sich das exquisit besetzte DT-Ensemble haarscharf am Rande von Krawall und Remmidemmi durch die Inszenierung. Das ruft dann natürlich die Sittenpolizei und Spaßbremse Malvolio auf den Plan. Entsprechend hochnäsig und herablassend geriert sich Wolfram Koch als Haushofmeister der Spießigkeit und schlechten Laune. Bis auch er seine Slapstickeinlage mit dem am Fuß angeklebten getürkten Brief der „Kammerschnalle“ Maria bekommt, bevor der dauergrinsende Schwätzer nach seinem Auftritt in gelb-schwarz getapten Strumpfhosen komplett gebondaged zum Schweigen gebracht wird. Nicht ohne eine Wiederkehr, bei der der Gedemütigte seinen Hass-Monolog des Ungeliebten vor dem Vorhang halten darf. Ob nun als moralinsaurer Puritaner oder Puerto-Ricaner ist dabei einerlei.
„This is not a Love-Song.” Shakespeares Happy End ist ja bekanntlich auch ein eher faules. Das hat selbst Stefan Pucher erkannt und holt das Stück wieder da ab, wo es andere zu oft schon liegen gelassen haben. Im Video wird die optische Täuschung des Zwitterwesens Sebastian/Viola noch mittels Verdoppelung und Überblendung verdeutlicht. Zum Schluss treten dann alle in Gender-Switchshirts an die Rampe, damit auch jeder versteht, worum es geht. Nichts ist, wie es ist, oder was ihr wollt, oder so ähnlich. Das ist Puchers Mahnung, die bei aller Liebe doch selbst irgendwie leicht lust-verklemmt wirkt. Wir sehen weder einen originalen Shakespeare noch einen richtigen Pucher, sondern ein eher unentschlossenes Zwitterwesen, wie es dem Regisseur so vielleicht doch nicht vorgeschwebt haben dürfte. Seine grandiose Münchner Sturm-Inszenierung von 2007 erreicht Stefan Pucher mit diesem lauen Lüftchen am DT nicht mal in Ansätzen.
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Stefan Bock - 1. März 2015 ID 8465
WAS IHR WOLLT (Deutsches Theater Berlin, 27.02.2015)
Regie: Stefan Pucher
Bühne: Barbara Ehnes
Kostüme: Annabelle Witt
Musik: Christopher Uhe
Video: Chris Kondek und Phillip Hohenwarter
Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Margit Bendokat, Andreas Döhler, Christoph Franken, Wolfram Koch, Bernd Moss, Katharina Marie Schubert, Anita Vulesica und Susanne Wolff
Premiere war am 27. Februar 2015
Weitere Termine: 6., 14., 15., 26. 3. / 2., 3., 12., 26. 4. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/
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