Brennen
und Löschen
für die
Kunst
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Baal am Berliner Ensemble - Foto (C) Barbara Braun
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Bewertung:
Neues von der Abschiedsfront an Berliner Theatern. Nachdem die Meister Castorf und Peymann ihre letzten Werke abgeliefert haben, kommen die Jungen noch mal zum Zug. Am Berliner Ensemble nimmt sich Sebastian Sommer Bertolt Brechts Erstling Baal vor. Der junge Regisseur hatte hier bereits zum Auftakt seiner Zeit als Nachwuchsregisseur einen veritablen Jahrmarktstrubel mit dem Brecht-Fragment Hans im Glück angerichtet. Auch wenn seine Nachfolgeinszenierungen im kleinen Pavillon nicht immer vollkommen überzeugen konnten - doch wenn es ein großes Talent in der 18-jährigen Intendanz Peymanns am BE gab, dann war es mit Sicherheit Sebastian Sommer.
Auch diesmal hat er ein Händchen für das noch unfertige Talent des BE-Hausheiligen, der anarchisch-expressiven Ader des jungen Brecht, die sich vor allem im ungezügelten, viehischen Dichterfettklos Baal manifestierte. Und mit Matthias Mosbach hat Sommer auch den richtigen Schauspieler, diese Kraft zu verkörpern, auch wenn es ihm doch etwas an Körperlichkeit fehlt. Das macht Mosbach wett durch seinen Aktionsradius, der ihn kreuz und quer über die von Karl-Ernst Herrmann blitz-gezackte Silhouette der Probebühne des BE treibt bis auf eine Art Hochstand, einen eisernen Dichterturm, von dem er zu Beginn das Aussterbend des Egos preist. Die Verweigerung der Anpassung wird dem Bohemian aus Überzeugung wie dem ungeliebten Ichthyosaurus, der aus Trotz nicht auf Noahs Arche wollte, das Leben kosten. Also auch eine Geschichte des bewussten Verglühens eines verkannten Genies will uns Sebastian Sommer hier erzählen.
Wer Martin Mosbach als Kanaille Franz in Leander Haußmanns Räubern mochte, wird ihn als das Tier Baal lieben. Bei ihm reimt sich ungeniert Genie auf Vieh und Baal auf Qual. Den passenden Sound dazu machen ihm die beiden Live-Musiker Jan Brauer und Matthias Trippner an Keyboards, Schlagwerk und E-Gitarre. Auch Mosbach wird einmal zum Bass greifen und Brechts Ballade Erinnerung an die Marie A. singen. Die Frauen sind es, die Baal nimmt und bricht. „Die Liebe ist doch da.“ konstatiert er, sie dennoch immer wieder wegwerfend. Mosbach spielt den unsittlichen Weiberverbraucher und im Alkoholwahn dirilierenden Dichter, der sich wie Rainald Goetz einst in Klagenfurt die Stirn aufschlitzt, oder sich durch Haufen von unbeschriebenem Papier wühlt.
Ansonsten wird Brechts Moritat in kleinen Spielszenen und Musiknummern abgespult. Ursula Höpfner-Tabori reziteirt als Mutter den Choral vom großen Baal, Anke Engelsmann als Meck-Gattin Emilie singt Laßt Euch nicht verführen! im rauchigen Ton einer Nico, und Sven Scheele Die Legende Der Dirne Evelyn Roe als Travestienummer. Das Kraftzentrum der Inszenierung aber bleibt allein Matthias Mosbach, der schwitzend und auch mal nackt die Bühne unter Wasser setzt, als gelte es etwas zu löschen oder eine Sintflut herbeizusprudeln. Felix Strobel, der als Ekart auch noch den glühenden Verehrer Johannes spielen muss, ist kein wirklicher Gegenpart. Auch nicht Boris Jacoby als Salonlöwe Mech und Varietéchef Mjurk, der seine Attraktion Baal in einen aufblasbaren Fatsuite steckt. Karla Sengteller als kokette Johanna und Celina Rongen als Sophie Dechant sind schmückendes Beiwerk in diesem „Museum für Kleinkunst“, wie Brecht es einst selbst schrieb.
Eine neue Baal-Lesart bietet die kraftmeiernde Inszenierung von Sebastian Sommer eh nicht, auch wenn sie gerade musikalisch einige Akzente setzen kann. Ein wenig wirkt der Abend dann doch eher wie ein trotziges Nach-uns-die-Sintflut. Einige Anspielungen wie jüngst an der Volksbühne hat auch Sommer parat, wenn z.B. Boris Jacoby alle Varietédarsteller bis auf den Zwerg entlassen will. Den Spaß, nochmal auf die Pauke zu hauen, lässt sich das scheidende Ensemble trotzdem nicht nehmen. Der Künstler entweicht durch die Hintertür. Ein schmutziges, hungriges Tier, das sich zum Krüppel für die Schönheit schlagen lässt. Mosbach setzt letzte pathetische Worte des sterbenden Baal. So richtig existentiell will es aber dennoch nicht werden. Der Abend endet da, wo er begonnen hat, an den Stufen zum Hochsitz des Genies. Nur hinauf gelangt es nicht mehr. Der Fanclub jubelt. Auftrag erfüllt.
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Baal am Berliner Ensemble - Foto (C) Barbara Braun
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Stefan Bock - 9. April 2017 ID 9960
BAAL (BE-Probebühne, 06.04.2017)
Regie: Sebastian Sommer
Bühne: Karl-Ernst Herrmann
Kostüme: Karl-Ernst Herrmann und Wicke Naujoks
Musik: Jan Brauer, Esmeralda Conde Ruiz und Matthias Trippner
Dramaturgie: Steffen Sünkel
Licht: Karl-Ernst Herrmann und Ulrich Eh
Mit: Matthias Mosbach (Baal), Ursula Höpfner-Tabori (Mutter), Felix Strobel (Ekart), Anke Engelsmann (Emilie), Karla Sengteller (Johanna), Celina Rongen (Sophie), Boris Jacoby (Mech, Mjurk), Sven Scheele (Piller, Pschierer) sowie
Jan Brauer (Elektronik, Synthesizer) und Matthias Trippner (Elektronik, Schlagzeug)
Premiere am Berliner Ensemble: 6. April 2017
Weiterer Termin: 21.04.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de/
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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