Alternative Fakten zum letzten Abend
Kleists AMPHITRYON am Staatsschauspiel Dresden
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Bewertung:
„Wer oder was bin ich?“, ganz ohne Robert Lembke, dafür deutlich existenzieller. Göttervater Jupiter fühlt sich von Alkmene, der schönen Gattin des Königs von Theben Amphitryon, in religiöser Hinsicht unzureichend wertgeschätzt und steigt herab sowie in des Königs Kleider und Körper, um dies auf sehr irdische Art zu kompensieren. Die Freude an der Bestrafung ist beiderseits, doch treten in der Folge einige psychologische Kollateralschäden auf, die wohl selbst Jupiter so nicht vorhersah. Dabei werden die Identitäts- und Sinnkrise erfunden und die Grundlagen für das heute florierende Handwerk des Psychotherapeuten sowie das Filmmaterial von Woody Allen geschaffen.
Heinrich von Kleist lässt dieses kleine psychologische Experiment, das schon von Molière entwickelt wurde, zu Forschungszwecken in zwei sozialen Schichten durchführen. Die Verwirrung ist in beiden Fällen ähnlich, doch im Proletariat geht es deutlich pragmatischer zu, und als Kassenpatient wartet man ja eh ewig auf eine Therapie. So findet sich Sosias (Philipp Lux erneut herausragend als großer Komödiant mit feiner Selbstironie) nach dem Einsatz überlegener Gotteskörperkräfte des Merkur (Martin Reik schön ungehobelt und desinteressiert am Zwischenmenschlichen) deutlich schneller damit ab, sein Ich an den anderen abzugeben und die zänkische Frau gleich mit, zumal es ja nicht für lange sein soll.
So leicht tut sich das neuerdings doppelte –Tryonchen nicht: Ehre und letztlich Staatsräson stehen auf dem Spiel. Denn wenn man nach fünf Monaten im Felde zur Gemahlin ruhm- und beutebeladen zurückkehrt, erwartet man als König doch etwas mehr Euphorie als ein Bussi und das routinierte „Schon da, Schatz?“ Die Erklärung macht es alles andere als besser. Soso, man wäre letzte Nacht schon einmal dagewesen und hätte die Vorräte an Leidenschaft aufgebraucht. „Wie jetzt?“ sagt man da heute, bei den Griechen zog sich das allerdings über zehn Textseiten, was dem phantastischen Matthias Reichwald die erste Gelegenheit zum großen Monolog gibt. Auch ein König kann nicht gleichzeitig der Gattin im Ehebette beiwohnen und die Ordnung im Feldlager beaufsichtigen, und das Wort Stellvertreterkrieg war damals noch nicht erfunden.
Alkmene wiederum ist ob der durch scheinbar schnelles Vergessen als gering empfundenen Wertschätzung ihrer Zuwendungen zu Recht beleidigt. Auch bei Adel's gibt dann ein Wort das andere, und der Haussegen hängt deutlich schief im Schlosse, zumal die Dame des Hauses langsam begreift, dass sie wohl einer Bio-Kopie zu Willen war.
Höheren Ortes bleibt dieses Ungemach nicht verborgen, und Jupiter geht auf die nächste Mission, diesmal im Sinne der Wiedergutmachung. Er glänzt mit Dialektik, an derem Ende Alkmene als schuldlos dastehen soll, doch die hat – wie die meisten im Saal – zwischendrin den Faden verloren und behält vorerst ihren festen Willen zum Unglücklichsein. Jupiter aber quatscht sie weiter zu, und irgendwann ist die Gottesmeinung Konsens zwischen ihnen, Überraschung.
Es braucht danach einiger weiterer Disputationen und Erörterungen (die dankenswerterweise in der Inszenierung nicht mehr Platz als unbedingt nötig einnehmen), um wirklich alle Beteiligten zur Erkenntnis gelangen zu lassen, dass Geschichte die Lüge ist, auf die man sich geeinigt hat. Damit geht das Leben erstmal weiter, spätere Folgen und Schäden psychischer Art sind jedoch nicht ausgeschlossen.
Was hier so nüchtern beschrieben wird, entwickelt auf der Bühne eine große Dramatik, die nicht nur auf den schon bejubelten Matthias Reichwald als Amphitryon und/oder Jupiter zurückgeht - dessen bewusst verwaschene Übergänge zwischen den beiden in ihm wohnenden Figuren im Schlussmonolog ganz, ganz großes Theater sind - sondern auch auf Ina Piontek, deren stimmgewaltige Charis den Bezugspunkt für das „normale Leben“ markiert, und auch auf Paula Skorupa, die als Alkmene ein großes emotionales Volumen entfaltete. Dass ihre Spielweise vom Berichterstatter weiterhin als hölzern und spröde empfunden wird, ist subjektiv bedingt. Respekt verdient ihre Leistung allemal.
Gibt es am Ende einen guten Schluss? Naja. Wat mutt, dat mutt. Fünf Jahre später ist die Szenerie sicher eine andere.
Aber im Stück verbirgt sich am Ende noch eine Jesus-Geschichte: Jupiter gewährt Amphitryon als Wiedergutmachung einen Wunsch. Dieser erhofft sich spontan einen vom Göttervater gezeugten eigenen Sohn. (Dass er jenen in knapp neun Monaten ohnehin hätte, ganz ohne Wunsch, erschließt sich dem von den Turbulenzen geistig erschöpften König offenbar nicht.) Jupiter kommt damit also billig davon. Der Knabe soll Herkules heißen.
Somit wäre übrigens auch eine Lücke in der Bibel geschlossen: Selbst wenn die Protagonisten dort Josef, Maria und „Gott“ heißen und in den ersten beiden Fällen der Unterschicht angehören, könnte es doch so gewesen sein bei der Zeugung des Jesuskinds. Heldentatentechnisch war der Herkules allerdings deutlich erfolgreicher.
Es bleibt zur Dresdner Inszenierung noch zu schreiben, dass das Bühnenbild von Olaf Altmann diesmal an Gerhard Richter erinnerte. Die Geschichte wurde mit jeder gezogenen, monochrom grauen Wand unübersichtlicher, auch wenn sich das Bühnenfeld immer mehr weitete. Doch am Ende war es so eng wie am Anfang. Schönes Bild.
Und Wolfgang Engel ist natürlich noch zu erwähnen, bzw. es ist ihm zu gratulieren. Eine sehr klassische, weitgehend texttreue, nicht durch Mätzchen verwässerte stringente Inszenierung… Was will man mehr? Vielleicht noch, dass es Herrn Engel weiter stetig besser gehe möge und er noch die Kraft für viele, viele Inszenierungen findet.
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Sandro Zimmermann - 5. Februar 2017 ID 9822
AMPHITRYON (Schauspielhaus, 04.02.2017)
Regie: Wolfgang Engel
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Zwinki Jeannée
Musik: Sven Kaiser
Licht: Michael Gööck
Dramaturgie: Julia Weinreich
Besetzung:
Amphitryon / Jupiter ... Matthias Reichwald
Alkmene ... Paula Skorupa
Charis ... Ina Piontek
Sosias ... Philipp Lux
Merkur ... Martin Reik
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 4. Februar 2017
Weitere Termine: 08., 13., 22.02. / 05., 17., 22.03.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de
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