Gangster,
Knarren,
Kohlköpfe
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Sigrun Fischer in der Titelrolle von Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross
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Bewertung:
Bertolt Brecht wollte sein 1941 im finnischen Exil Exil geschriebene Stück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Erwin Piscator in den USA als parabelhaftes Beispiel für den Aufstieg Adolf Hitlers in Deutschland der 1930er Jahre uraufführen lassen. Obwohl er es auch an die Geschichte des US-amerikanischen Gangsters Al Capone anlegte, stieß der Text auf kein großes Interesse. Die Uraufführung konnte erst nach dem Krieg 1958 in Stuttgart stattfinden. Den Arturo Ui spielte der große Wolfgang Kieling. In der Aufführung des Berliner Ensembles gab Ekkehard Schall ab 1959 über 500 Mal den Ui. Der berühmteste gesamtdeutsche Ui-Darsteller dürfte wohl Martin Wuttke sein, der von 1995 bis zum Ende der Peymann-Ära am Berliner Ensemble in der Rolle des skrupellos nach Macht strebenden Chicagoer Gangsterbosses auf der Bühne stand. Die Heiner-Müller-Inszenierung soll auch unter Oliver Reese wieder ins Programm genommen werden.
In Zeiten rechter, die Massen verführender Populisten steht der Arturo Ui wieder verstärkt auf den Spielplänen der Theater. Pegida und AfD machen Front gegen Flüchtlinge und sogenannte Volksverräter. Am Ort des nun Brechts Parabel aufführenden Staatstheaters Cottbus heißt der Verein der selbsternannten besorgten Bürger „Zukunft Heimat“. Nach Messerattacken zweier jugendlicher Syrer organisierten die Rechten eine Demonstration für einen Aufnahmestopp weiterer Geflüchteter, auf der auch Journalisten beschimpft und attackiert wurden. Die Parallelen zum Schutz anbietenden Gangsterboss Arturo Ui drängen sich also auf, wenn auch historisch gesehen nicht ganz eins zu eins. Was allerdings passt, ist die Besetzung des Ui mit der Schauspielerin Sigrun Fischer. Eine Art Alice Weidel im Hosenanzug mit Zopf und Charlie-Chaplin-Melone. Nicht die erste weibliche Besetzung der Rolle, und auch Regisseur Malte Kreuzfeldt wartete bereits 2014 mit einer Hosenrolle von Shakespeares Richard III. am Schauspiel Chemnitz auf.
Das fügt sich gut, hatte doch auch Brecht nicht nur Al Capone und echte Zeitgenossen Hitlers unter anderen Namen für Uis gewaltsame, die Stadt geschickt erpressende Machtübernahme im Sinn, sondern parodierte in der Szene der Einverleibung der Nachbarstadt Cicero in den Chicagoer Karfioltrust neben Goethes Faust auch den buckligen Königsmörder Richard. Diese die Angliederung Österreichs an Deutschland darstellende Spielszene ist mit das Beste des Abends, aber auch schon so gut wie das Ende einer Inszenierung, bei der Malte Kreuzfeldt Brechts Stück relativ glatt vom Blatt weg spielen lässt. Fischer kann sich hier ein ums andere Mal stark in Szene setzen. Beim Begräbnis des Ignatius Dullfeet (Boris Schwiebert) macht ihr Ui, nachdem er den Sarg ausgeräumt hat, der trauernden Witwe erst einen Antrag und verschafft sich dann die Zusage der Vereinigung mit einer Runde Waterboarding. Zwar erscheinen Ui wie Richard die Toten seines blutigen Aufstiegs, die Furcht hat da aber schon längst ja-sagendes Stimmvieh aus den Bürgern Ciceros gemacht.
Malte Kreutfeldt lässt den Abend am Cottbuser Staatstheater mit einem Vorspiel aus MPi-Salven zur filmreifen Orchestermusik beginnen. Jede Menge Blumenkohlköpfe rollen über die mit Mulch bedeckte Bühne, und Sigrun Fischer rennt in Zeitlupe zur Rampe, diverse nordamerikanische Städte aufzählend. Am Anfang ist das noch wie ein Traum des mit Minderwertigkeitskomplexen und einem zischenden Sprachfehler belasteten Möchtergern-Gangsters. Am Ende werden weitere Städte der Welt in dieser Aufzählung folgen. Im Stil amerikanischer Gangsterfilme sitzt hier der Browning locker. Man trägt zwar Stiefel statt Gamaschen, ansonsten sind die Kostüme von Katharina Beth den 1930er Jahren nach passend gewählt. Der alte Dogsborough (Rolf-Jürgen Gebert), den die Mitglieder des Chicagoer Karfioltrusts (Boris Schwiebert, Axel Strothmann, Michale von Benningsen) mit einem dicken Aktienpaket bestochen haben, trägt Weiß und hört Arien der Callas. Die Trust-Männer sind wie Manager gekleidet, verdankte doch auch Hitler seinen Aufstieg korrupten Politikern und Konzernen.
Den Prolog des Ansagers teilt Kreuzfeldt auf zwei Mädchen auf, die immer wieder im Stück Teile daraus aufsagen. Das mag eine Konzession an Brechts epischen Stil sein, sonst ist das nur netter Gag, genau wie die Auftritte von Gunnar Golkowski und Thomas Harms als Uis Kumpane Givola und Giri. Letzterer trägt die Hüte der von ihm Umgebrachten übereinander. Die Lehrstunde des kleinen Diktators Ui wird dann ganz zur clownesken Chaplinade mit Reclamheften dem ganzen Ensemble als Schauspielerchor. Hier darf sich Fischer zum ersten Mal als großer Populist auf dem Tisch zeigen. Bedrohlich ernst wird es an diesem Abend dann allerdings erst recht spät.
Bis dahin spult die Regie brav alle Stationen des Stücks ab, vom Pakt mit Dogsborough und dem Karfioltrust über den Lagerhausbrand mit gefaktem Prozess und falschen Zeugen bis zum Verrat und Mord am außer Kontrolle geratenen Roma (Volker Weidlich), der dem Aufstieg des alten Busenfreunds im Wege steht. Im Wege scheinen dem Regisseur auch sein Hang zur großen Oper und die Last der Vorbildern gestanden zu haben. Schon Heiner Müller hielt nicht viel von Brechts Stück. Er hat es als böse Farce mit lauten Showeffekten inszeniert. Leider ist auch in Cottbus trotz starker Hauptdarstellerin und guter Ensembleleistung außer Gangster-Show nicht allzu viel mehr zu sehen.
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Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross
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Stefan Bock - 28. Januar 2018 ID 10497
DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI (Staatstheater Cottbus, 27.01.2018)
Regie & Bühne: Malte Kreutzfeldt
Kostüme: Katharina Beth
Dramaturgie: Bettina Jantzen
Regieassistenz: Maria Bock
Besetzung:
Arturo Ui ... Sigrun Fischer
Ernesto Roma ... Volker Weidlich
Manuele Giri ... Thomas Harms
Bowl/Giuseppe Givola ... Gunnar Golkowski
Dockdaisy/Zeugin/Arzt ... Lisa Schützenberger
Butcher/Ignatius Dullfeet ... Boris Schwiebert
Caruther/Hook ... Axel Strothmann
Flake/Fish ... Michael von Bennigsen
Der alte Dogsborough ... Rolf-Jürgen Gebert
Grünzeughändlerin/Frau/Betty Dullfeet ... Kristin Muthwill
Grünzeughändler/Sheet/O´Casey/Verteidiger ... Amadeus Gollner
Der junge Dogsborough/Inna ... Moritz Baumert / Jannes Kroß
Mädchen ... Mathilde Goetze, Nina Preusche
Grünzeughändler/Richter/Ankläger/Schauspieler/Romas Geist ... Ensemble
Premiere war am 27. Januar 2018.
Weitere Termine: 01., 15.02. / 07.03. / 14.04. / 12.05. / 06.06.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatstheater-cottbus.de/
Post an Stefan Bock
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