9. Juni 2012, Premiere in der WERKSTATT im Schiller Theater
LEHRSTÜCK
von Brecht/Hindemith
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Reiner Goldberg in dem Lehrstück von Brecht/Hindemith, das am 9. Juni 2012 in der WERKSTATT im Schiller Theater Premiere hatte - Foto (C) Paul Green
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"Massenerschießungen!" als Publikumszitat
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Julian Blaue ist (für meinen Tisch, an dem ich sitze) als ein Animator eingeteilt. Er hat die Aufgabe von der Regie (Michael von zur Mühlen), Vorstellungsbesucher zum persönlichen Gespräch zu animieren, sich mit ihnen beispielsweise über Brecht und/oder dessen Lehrstück locker auszutauschen. Dabei werden gegenseitig Standpunkte und Haltungen zum Thema abgeklopft - und man ist schnell beim "du"...
Es sieht wie früher bei Betriebsparteiversammlungen (im Osten, wo ich her bin) aus: An reihenmäßig aufgestellten Tischen stehen Stühle, auf den Stühlen sitzen die Genossen oder Kandidaten. Es wird einerseits gelauscht auf Das, was augenblicklich - und dem Protokoll nach - referiert und/oder vorgesagt wird. Andrerseits finden dann lebhaft oder unleblaft die nachfolgenden Diskussionen zu den vorgegebnen Themen statt.
Im Falle Lehrstück resp. in dem Falle seiner WERKSTATT-Inszenierung (Staatsoper im Schiller Theater) ist das Alles allerdings ein bisschen lockerer und unverkrampfter als wie früher eingerichtet (Ausstattung von Christoph Ernst). Vor allem aber gibts umsonst zu Essen (Spargelsuppe) und umsonst zu Trinken (Kaffee, Wodka). An dem einen der "Aktionstische" muss dann aber auch für das Leibwohl was getan werden; man schält Kartoffeln und Karotten...
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Bertolt Brecht spannte während der Dreißiger Kurt Weill, Hanns Eisler und Paul Dessau für die Zwecke einer neuen Art politisch-pädagogischen Theaters (Stichwort: Lehrstück) ein; und sie verpackten seine Texte - auch um sich auf ihre Weise musikalisch vom Althergebrachten wegzukomponieren - in Musik. Einer der Allerersten, die das für ihn taten, war Paul Hindemith. Es gibt zwei Fassungen seines und Brechts zuerst als Lehrstück (1929), später dann als Das Badener Lehrstück vom Einverständnis (1930) veröffentlichten Paar-Werks. Brecht (und Hindemith?) übten mit ihnen prinzipiell Kritik an der traditionellen Oper an sich; sie würde die Hörer, lt. Brecht, wegen ihrer unentwegten Durchkomponiertheit narkotisieren und repräsentiere ohnehin lediglich die Bourgeoisie. Thematisch beschäftigten sie (= die Lehrstücke) sich aber mit der Frage, ob der Einzelne dazu gezwungen werden könnte, sich dem mehrheitlichen Gemeinwohl bedingungslos unterzuordnen. Kollektivierung von Individualisten also - schrecklich!!
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Reiner Goldberg, einstmal weltbekannter Wagner-Startenor, spielt einen Flugzeugkapitän bzw. -konstrukteur, dessen Maschine abstürzt oder gar nicht erst zum Fliegen kommt; die drei Monteure, die sein Kleinstgefolge ausmachen, scheitern also wie er... Und unten, auf der Erde, wird der Hilfesuchende grob von den Menschen abgewiesen, und er stirbt... Zwei Schlagsätze durchziechen sich wie'n roter Faden durch den Agit-Prop: "Das Brot wurde dadurch nicht billiger" und "Die Armut hat zugenommen". Trotz Flugzeugkonstruktion und Flugzeugbau - so der verkürzte Schluss.
Nicholas Isherwood, der Küchenchef der Volks- und Armenküche, gibt dem Goldberg daher nichts zu Essen und auch nichts zu Trinken... Der Fortschrittsmensch wird als ein Teil des Bourgoisen angesehen und soll nun, zur Strafe, hungern/dursten...
Doch die Wodkaflasche macht trotz Allem ihre Runde in der WERKSTATT. Eine (nicht erst hierdurch) alkoholisierte Fachbesucherin sah sich im Folgenden aufs Enthusiastischste erhoben, als sie urplötzlich zu "Massenerschießungen" aufrief - nachdem einer der Animateure eines benachbarten Tisches in die Runde fragte, welche Schritte für 'ne Weltgesundung nötig scheinen würden oder so. Ja und selbst Julian Blaue (s. o.) rastete dann furchterregend aus, indem er auf den Tisch der alkoholisiereten Fachbesucherin gesprungen war und sie lauthals zum "Fresse halten" aufforderte; allerliebst!
Anderthalb Stunden sinnloses Vergnügen.
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Brechts/Hindemiths Lehrstück in der WERKSTATT im Schiller Theater - Foto (C) Paul Green
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a. so. - 10. Juni 2012 ID 00000006029
LEHRSTÜCK (Werkstatt im Schiller Theater)
Musikalische Leitung und Bearbeitung: David Robert Coleman
Inszenierung: Michael von zur Mühlen
Ausstattung: Christoph Ernst
Besetzung:
Tenor ... Reiner Goldberg
Bariton ... Nicholas Isherwood
Chor ... Yvonne Madrid, Annika Schlicht, Alexandra Schulz, Martin Gerke und Enrico Wenzel sowie Barbara Gstaltmayr, Jörg Janzer, Julian Blaue, Markus Weckesser und Ahmed Shah
Mitglieder der Staatskapelle Berlin
Premiere war am 9. Juni 2012
Weitere Termine: 10., 12., 14., 16., 17., 23., 24. 6. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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