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nachDRUCK # 6

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Rezension

4. September 2011, Premiere an der Oper Frankfurt

Schoecks PENTHESILEA

Inszenierung von Hans Neuenfels - der auch ein neues Buch ("Das Bastardbuch") verfasste


Hans Neuenfels, Das Bastardbuch - Autobiografische Stationen, Edition Elke Heidenreich, ISBN 978-3-570-58028-8


(Fast) Neues von Neuenfels

Ich liebe die Arbeiten von Hans Neuenfels. Puh, jetzt ist es raus. Schrieb sich eigentlich fast von selbst. Dabei habe ich mir das sauschwer vorgestellt... Diese Liebe wurde einmal, nur ein einziges Mal, auf eine harte Probe gestellt. Das war vor zehn Jahren, als die Salzburger Fledermaus in meinem Wohnzimmer zum Absturz kam. Diese Inszenierung konnte unmöglich von einem bekennenden Operettenliebhaber sein. Ich witterte Verrat, Verrat am Genre. Ich fragte mich: Liebster Hans, warum? Dann kam ich zum ersten Mal nach Salzburg, sah diesen Festspieljahrmarkt der Eitelkeiten und Statussymbole - und verstand. Hier an diesem Ort hatte Neuenfels den Spiegel genau auf diesen Zirkus gerichtet. Eine aufmüpfige Publikumsbeschimpfung war's also - und mehr nicht. Einen Riesenkrach gab's damals. Gerard Mortier wollte ja unbedingt mit einem Knall abtreten.

Neuenfels lässt in seinem neuen Buch, dem Bastardbuch, diesen und viele andere Skandale noch einmal in seinem Stil, der irgendwo zwischen metaphorisch-verschwurbelt und schnoddrig-prosaisch anzusiedeln ist, Revue passieren. Der 500-Seiten-Wälzer ist aber nicht nur die Chronik eines mittlerweile 70-jährigen Enfant terribles. Vielmehr gelingt ihm in autobiografischen Stationen das Kunststück, uns nicht nur den Neuenfels näher zu bringen, sondern auch den Hans. Hans, der fasziniert zwei Männer beim Masturbieren beobachtet, Hans, der gern raucht, der gern trinkt, der in einer Nervenheilanstalt - als Besucher - auf den Chor der Zigarettenarbeiterinnen trifft (obwohl er die Carmen noch nie inszeniert hat) und der das Kapitel Bayreuth mit dem Satz „Seht zu, wie ihr damit zurechtkommt, ihr Erb(s)en!“ beschließt. Adorno und Zehelein, Wien, Frankfurt und Berlin, Max Ernst und Elisabeth Trissenaar: Neuenfels schreibt über Weggefährten, Orte und Menschen, die er liebt, die ihn geprägt haben. Ein vergnügliches wie blitzgescheites, ein ehrliches Buch.

Das packe ich jetzt in den Rucksack, denn mein Zug rollt im Frankfurter Hauptbahnhof ein. Das hiesige Opernhaus startet mit einer vom Theater Basel übernommenen Produktion in die neue Saison, Othmar Schoecks Penthesilea. Diese Neuenfels-Version ist knapp vier Jahre alt und schmückt sich mit dem Etikett „Inszenierung des Jahres“ (Umfrage Opernwelt, 2008). Die Aufregung im Foyer ist dementsprechend groß: Dietmar Schwarz, Basels Noch-Operndirektor und zukünftiger Intendant der Deutschen Oper Berlin, verbusselt Toi-toi-tois, Elisabeth Trissenaar, die in der Regie ihres Ehemannes die Kleist’sche Penthesilea spielte, wird gefragt, ob sie noch immer in Frankfurt wohne (tut sie nicht), und selbstverständlich lugt Putzfrau Aida um die ein oder andere Ecke und hält nach ihrem Hans Ausschau.

Gisbert Jäkel hat so etwas wie ein Kulissenpuzzle entworfen. Ein bisschen klassizistischer Tempel hier, etwas Theater im Theater dort. Versatzstücke sind’s, aber schon der Sache dienlich, genauso wie Elina Schnizlers Kostüme. Neuenfels entdeckt zunächst Humor (!) im Stück, wie z. B. der treffend aus dieser wilden Musik heraus inszenierte Macho-Auftritt der Griechen. Das Pferd, auf dessen Rücken sich Penthesilea und Achilles zu ihrem Liebesglücke setzen, steht ja nicht nur für Troja, sondern spielt auch auf den Traum Penthesileas an - welch’ stimmiges Bild. Übertroffen wird dieses nur durch ein Finale furioso, wenn Penthesilea blutige Koffer mittels Rollstuhl an die Rampe karrt. Bedenkt man aber die konzeptionelle Perfektion des Bayreuther Lohengrins, die präzise Personenführung bei Lady Macbeth von Mzensk (Komische Oper Berlin) oder etwa die fantasievolle Ausstattung von Nabucco (Deutsche Oper Berlin), so erscheint mir die o. g. Auszeichnung, nun ja, vielleicht etwas übertrieben. Eher ist es ein sehenswerter Abend mit grandioser Hauptdarstellerin.

Denn wie Tanja Ariane Baumgartner, die als Penthesilea schon in Basel Triumphe feierte und mittlerweile im Frankfurter Ensemble angekommen ist, die Bühne dominiert, hochdramatisch in die Vollen greift, sowohl der kriegerischen als auch der liebenden Amazone nichts schuldig bleibt, fesselt von der ersten bis zur letzten Minute. Dagegen kommt kein Achilles an, erst recht nicht, wenn er mit einem solch meckernden Vibrato gesungen wird, wie von Simon Neal. Bleibt der Graben. Unter Alexander Liebreich spielt Frankfurts Opern- und Museumsorchester einen technisch wie rhythmisch brillanten Schoeck auf, der mit Schroffheiten aufwartet, aber auch mit viel Liebe zum Detail.
Heiko Schon - red. 5. September 2011
ID 5365
PENTHESILEA (Oper Frankfurt, 04.09.2011)
Musikalische Leitung: Alexander Liebreich
Inszenierung: Hans Neuenfels
Regiemitarbeit: Henry Arnold
Bühne: Gisbert Jäkel
Kostüme: Elina Schnizler
Licht: Hermann Münzer
Dramaturgie: Brigitte Heusinger
Penthesilea … Tanja Ariane Baumgartner
Prothoe … Marion Ammann
Meroe … Britta Stallmeister
Oberpriesterin der Diana … Katharina Magiera
Eine Oberste der Amazonen … Oda Magiera
Achilles … Simon Neal
Diomedes … Guy Mannheim
Ein Herold / Ein Hauptmann … Dietrich Volle
Chor der Oper Frankfurt
(Choreinstudierung: Matthias Köhler, Michael Clark)
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Statisterie der Oper Frankfurt
Premiere war am 4. September 2011
Weitere Vorstellungen: 08., 11., 15., 17., 23.08. / 1.10.2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.oper-frankfurt.de


http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=370818



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