Deutsches Theater/ Kammerspiele, Uraufführung 28. Mai 2005
Oliver Reese: GOEBBELS
Mit Texten aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels
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Aus unsäglichen Tausenden von Seiten Tagebüchern - Serie Piper warf vor Jahren eine schlampig kommentierte "Volksausgabe" auf den Markt - zieht der Erschöpfer eines sogenannten Selbstpalavers mit dem Titel GOEBBELS reichlich und doch unergiebig Material. Sein Name ist Oliver Reese, und er wird vom Deutschen Theater Berlin als Chefdramaturg bezahlt. Nun wird er sich gewiss durch diese kleine Zugelegenheit (zumal führt er Regie in diesem Fall) etwas hinzuverdient haben. Ob das jedoch für ihn höchstselbst oder das ihn beschäftigende Haus zu irgendwelchem Ruhm hätte gereichen sollen, werden Urheber und Auftraggeber sicher noch im Nachhinein zu klären sich bemüßigt fühlen - nein, ein dramaturgisches geschweige denn ein dichterisches Glanzstück war das Alles nicht. Ja und wie sollte es das auch?!
Eine in unabebbbar merkwürdigem Schwung sich haltende Hitler-und-Drittesreich-Beaufarbeitungswelle in den deutschen Film- und Fernsehmedien scheint - nachdem die Unterhaltungsbranche an den allenfalls zu ihrem puren Zweck umhergestülpten Themen kräftigst profitierte (Eichingers DER UNTERGANG, Knopp & Konsorten, Breloers SPEER UND ER etc. pp.) - zu allem Überfluss die hehre Bühne anerlangt zu haben; dabei hatte es vor gar nicht allzu langer Zeit bereits ein echtes Goebbelsstück (MAGDA / Gert Heidenreich) gegeben ...Was ist also und warum zum Unterfangen GOEBBELS / Reese auszusetzen?
Die Verwendung von Zitaten, auch im deutschen Sprechtheater, ist ein legitimes Mittel. Heiner Müller hat das sicher bis zur literarischen Vollendung praktiziert - so gut, dass ihm am Schluss (GERMANIA 3 - er hats gottlob nicht mehr erleben brauchen) ein Prozess daraus erwuchs, den Kiepenheuers Justiziare tapfer auszutragen wussten; Grund war der, dass Müllers Text zu einem Drittel oder gar zur Hälfte aus Zitatanhäufungen bestand, auch von noch lebenden Personen insbesondere rund um die Bretch'sche Erbgemeinschaft, und er daher nie in Buchform hätte kommen dürfen.
Dass nun hier und heut' ein vollmundig als Uraufführung angekündigter Theaterabend (= GOEBBELS / Reese) gänzlich aus Zitatstellen besteht, mitunter also nichts vom Autor oder dessen Handschrift zeigt, erachte ich für ein Kuriosum sondergleichen, und - ich bitte um Verlaub - es ist nicht mehr und auch nicht weniger dabei entstanden als pennälerhafte Fleißarbeit. Ein Zwölfklässler, erst mal auf die Idee gebracht, hätte es sich vielleicht dann auch nicht nehmen lassen, seine Noten in Geschichte oder Deutsch mit einem ähnlich angereicherten Zitatenschätzchen aufzubessern. Ob das Ganze letztlich wirklich zur Beleuchtung und Belichtung der "Entwicklung eines der gefährlichsten Demagogen in der deutschen Geschichte" (lt. der hausinternen Website) beigetragen haben mochte, bliebe wohl auch hinsichtlich der zweiten Aufführung nach der Premiere unnachgiebig anzuzweifeln.
Goebbels schrieb an einer der hervorbemühten Stellen so: "Für ihn (den Führer, a. so.) lasse ich mich vierteilen." Das ist regielich die allein zu akzeptierende, obgleich recht dürftig herbenutzte Klammer Reeses, wenn er Goebbels dann in vier Personen - Ingo Hülsmann, Alexander Khuon, Thomas Schmidt, Frank Seppeler - aufsplittet, die die Textpassagen mit- und nacheinander abzuspulen haben. Das erfolgt in teuer aussehenden Bankkaufmannsklamotten (Einheitsanzüge und Schuhmodelle von Elina Schnitzler) und in einem wechselnd grell wie milchig ausgeleuchteten sterilen Managerambiente (Bühnenbild von Hansjörg Hartung); in die Rundwand eingebaut ein glaskäfiger Schaukasten worin zwei Weißkarnickelchen neunzig Minuten lang verharren und, am Anfang noch zutiefst verunsichert, dem Aktionismus der agierenden Akteure zusehends gelassen und mehr unbeeindruckt folgen.
Eigentlich: Nach Ende all der rezitierten Scheußlichkeiten, deren lose Aneinanderreihung konsequenter Weise in der "Judenlösung" gipfeln musste, sollten die bedauernswerten Schauspieler auf die Entgegennahme eines Schlussapplauses freiwillig verzichten. So und so erschienen mir die Kammerspiele, was die hiermit abgemahnte Vorstellung betraf, als fast schon skandalös zu nennender erkenntnisloser Raum.
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Andre Sokolowski, 30. Mai 2005 www.andre-sokolowski.de ID 00000001904
Goebbels
Mit Texten aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels
Uraufführung
Regie Oliver Reese
Darsteller Ingo Hülsmann | Alexander Khuon | Thomas Schmidt | Frank Seppeler
Bühnenbild Hansjörg Hartung
Kostüme Elina Schnizler
Termine Kammerspiele
01. Juni 2005 - 20.00 Uhr
02. Juni 2005 - 20.00 Uhr
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
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