Deutsche Oper Berlin, 23. April 2006
FRAGMENTE
Ein Memento zu Mozarts "L'Oca del Cairo" (Die Gans von Kairo) KV 422 von Roland Schwab und Christian Baier
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\"Erfolglose\" Gestalten zellebrieren Mozart an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bernd Uhlig
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Die Szene könnte aus Glucks Orpheus und Eurydike erstammen, aber auch aus Spielbergs Poltergeist - die aufgeweckten Toten brechen durch die Erde an den Grabsteinen vorbei nach oben - könnten Ausstatterin Karin Fritz und Roland Schwab, ihr Regisseur, Verwandtschaftliches an- wie ausgekostet haben; der Gesamteindruck, rein optisch, kann mit gutem Grund als eine Art von Depressiva nachbezeichnet werden: das Theater im Theater oder, besser noch, Theater hinter dem Theater, je nach eingenommner Perspektive. Ganz weit hinten also, wenn man aus der Sicht des Auditoriums berichten sollte, grenzt ein roter Samtvorhang die realistische (das noch weit hinter hingedachte Publikum) vom künstlerischen "Rest der Welt", den Leuten im bzw. vorm Theater resp. roten Samtvorhang. Man nimmt, in Zauberflöte-Figaro-Kostümen, lauthalsigen Beifall sowie hergeworfne Blumensträuße breit lächelnd und Händchen haltend Mann an Mann und Frau an Frau entgegen, knickst, verbeugt sich brav und schreitet, in der Reihe, links am roten Samtvorhang entweg... die Bravi und die überenthusiastisch anmutenden Pfiffe einzelner verlorner Seelen und Bewunderer zur Kenntnis nehmend. Danach schließt der Vorhang. Alle Farbe ist mit einem Schlag entwichen. Und die eigentliche Bühne wird zum Totenreich.
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"Erfolglose" (so der Programmzettel) bevölkern leichenähnlich diesen Raum. Ein Orkus der gestrandeten und unerfüllten Hoffnung auf ein wahres und erfülltes Leben in der Kunst... als Künstler. Wie Lemuren kriechen, kreisen, krusten die Gestalten - aus Bewegungschor, Statisterie, Fassadenkletterern (Choreografie von Silke Sense) hin und her und hoch und runter; es gerät schierhin zu einer Unerträglichkeit fürs Auge... nein, so viele Untote, so der Art viele fratzenlose Geisterbahngestalten fast zwei Stunden lang um die hinzu nicht unähnlich maskierten, kostümierten Hauptprotagonisten (Marguerre, Prudenskaja, Kang, Bieber, Scherer, Lee, Brück) beibewegt zu sehen, kostet Überwindung. Und man muss schon sehr ein Optimist, ein Freund des Lebens sein, um nicht mental-beschädigt diese Vorstellung am Ende zu verlassen. Tröstlich, fast dann wider die Erwartung, reagierte ein frenetisch aufgelegtes Publikum. Dass sich das so dann noch nicht richtig rumgesprochen hatte in Berlin?!
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FRAGMENTE heißt der fulminante Abend und beinhaltet vor allem Teile oder Ausschnitte - Fragmente also - aus L'Oca del Cairo KV 422, einer völlig unbekannten, da von Mozart nie als Endprodukt geplanten und gedachten, Oper; und es muss im Nachhinein als wohltuende Leichenfledderei bezeichnet werden was sich da das Inszenierungsteam unter Johannes Debus (Dirigat) geleistet haben wollte, denn: Diese Musik - in Teilen lässt sie schon an Arien, Duette und Ensemblesätze wie aus der Entführung oder gar dem Figaro verdenken - ist es wert, dass man sie unverschämter Weise der Verschlusssache des Erbgutes entreißt; wie wenn nicht so könnte dem Genius, ausgerechnet dann im Mozartjahr, noch eine ganz besondere und unverwechselbare Note angewidmet sein! Innovativer hatte das bisher noch keiner machen wollen, nochmals Bravo!! und Hut ab!!!
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Andre Sokolowski - red / 24. April 2006 ID 2359
Deutsche Oper Berlin
FRAGMENTE
Ein Memento zu Mozarts "L'Oca del Cairo" KV 422
von Roland Schwab und Christian Baier
Musikalische Leitung: Johannes Debus
Inszenierung: Roland Schwab
Ausstattung: Karin Fritz
Dramaturgie: Christian Baier
Choreografische Mitarbeit: Silke Sense
Gesangssolisten: Eleonore Marguerra, Marina Prudenskaja, Yosep Kang, Clemens Bieber, Tina Scherer, Hyung-Wook Lee, Markus Brück
Instrumentalisten: Florian Heidenreich (Kontrabass), David Johnson und Kevin McCutcheon (Klaviere), Tilman Hussla, Martin Bräutigam und Matthias Müller (Streichertrio)
Bewegungschor und Statisterie der Deutschen Oper Berlin
Fassadenkletterer der Fa. akrobat Industriekletterer
Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere am 15. April 2006
Nächste Vorstellungen: 1., 5., 18. und 29. Dezember 2006
Weitere Infos siehe auch: http://deutscheoperberlin.de
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