Blut und
Blutergüsse
|
Anna Prohaska ist, so wie man eindeutiger Weise sieht, das Blondchen in der neuen ENTFÜHRUNG an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Monika Rittershaus
|
Kurz nachdem Osmin seinem Gefangenen Pedrillo mit den Händen dessen Kopf von rechts und links zusammenpresst, fließt Blut die Schläfen runter; eine Art von Überdruck... Die Janitscharen machen einen fürchterlichen Eindruck, ihre Angesichte sind von Blutergüssen überzogen; wer hat ihnen, und warum, die Fressen so poliert? / Die äußerlich(st)en Zeichen einer auf ein Minimum an Optik angelegten Inszenierung.
Kahl und grau die Bühne. Nur ein schwarzer Zwischenboden, der sie cinematografisch in zwei Seh-/Aktionsflächen zerteilt. Und eine Halbwand wandert hoch und runter, gibt mal oben und mal unten Sichten frei. Fünf Holzstühle als Requisiten, weiter nichts. Das hat sich Olaf Altmann ausgedacht.
Und Katrin Lea Tag steckt die sechs gleichwertig agierenden Protagonisten in modernes Fashion-Zeug.
Michael Thalheimer ist Regisseur: Für ihn hat der Serail die nulligste Bedeutung, die es gibt. Dem sogenannten Blondchen, das er schwarzhaarig agieren lässt, legt er, so sinngemäß, die Sprechblase "Ich scheiße auf Osmin, ich scheiße auf Türkei" (natürlich nicht dann so vulgär, doch vom Prinzip her schon) an seine blutrot-aufmüpfigen Lippen; nur als Beispiel mal. / Aber wir haben schon verstanden, wie er's meinen könnte, also ingesamt:
Er brachte ja auch nicht umsonst, quasi von nebenan (DT), einen der Staatsschauspieler mit; Sven Lehmann ist dort Mephistopheles; und dieser FAUST vom Thalheimer, in seiner auf den Gretchen-und-Helena-Plot verkürzten Doppelsicht, ist schon sehr sehens- und sehr hörenswert - - also: Lehmann ist Bassa Selim. Und er kriegte von der Tag den Bart und seine Tränen, die er also offen zeigen wollte, gold geschminkt. Da macht ein Mann aus seinem Herzen keine Mördergrube, denn::
Thalheimer - und das ist das Hauptverdienst dieser an sich sehr einerleien Produktion - gibt die Geschichte einer unglücklichen Liebe Preis. Es ist die Liebe Bassas zu Konstanze. Vorgeschichtlich könnte es so eine Art von Seepiraterie gewesen sein, also dass dann der Bassa so ein Anführer von einer Seepiraten-Clique war, wobei ihm dann drei "Europäer" (die Konstanze, Blondchen und Pedrillo) in sein Netz gerieten; und jetzt kommt Belmonte, seine Braut Konstanze aus den Fängen der Piraten zu befreien oder so; nichts deutet ja, und wie gesagt, auf die Türkei und den Serail als Handlungsorte hin... // Stärkster Moment: Wie Bassa sich die Hände vors Gesicht hält, kurz nachdem er die Befreiung seiner Geiseln zulässt, wie er mit den Tränen ringt, weil er die Angebetete (Konstanze) endgültig verliert...
Christine Schäfer - wohl noch immer auf der Höhe ihrer Stimmgegebenheit - vollzieht diese Entwicklung zwischen Zwiespalt (Bassa und/oder Belmonte?) und Entscheidung (Bassa war/Belmonte ist) geradezu phänomenal. Man sieht ihr an, sie wäre liebend gern eine Geliebte dieses Mannes, der sie "stahl", geworden, wenn nicht diese Vor- und Altliebe (Belmonte) zwischen beiden lasten würde; Bassa hatte halt etwas, was dem Belmonte fehlte - fragen Sie mich jetzt nicht, was!!
Anna Prohaska (Blondchen) fährt zur Höchstform auf. Die Artikulationen, neben ihren lupenrein gesanglichen, lassen auf Darstellungsvarianten in der Zukunft schließen, wo man sich auf sie und ihre Stimme nur so freuen sollte!
Pavol Breslik, einer der am schönsten singenden Mozarttenöre unsrer Zeit, sprüht Schmelz und Charme in die illustre Runde.
Florian Hoffmann, ein gehegter und gepflegter Youngstar aus dem Fest-Ensemble an der Deutschen Staatsoper Berlin, hat mit Pedrillo eine erste große, um nicht gar zu sagen, riesengroße Aufgabe gekriegt. Die meistert er superb. Auch wird ihm "Frisch zum Kampfe", wenn noch ein paar Aufführungen hin sind, endgültig dann und perfekt gelingen; diese Arie ist halsbrecherisch, das muss man einfach sagen.
Maurizio Muraro hat dann doch etwas mit seinen Tiefenlagen, die genauso hochextrem sind wie Konstanzes kosmisches Gekreisch, zu schaffen.
Philippe Jordan leitete die Staatskapelle, die so spielte wie er wollte: hitzig, kräftig und besessen.
Großer Jubel.
(Die paar Arschlöcher, die jedesmal dann "aus Erfahrung" buhen, seien ebenso an dieser Stelle mitgeteilt.)
|
Pavol Breslik, Anna Prohaska, Sven Lehmann, Christine Schäfer und Florian Hoffmann (v. l. n. r.) in Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Monika Rittershaus
|
Andre Sokolowski - 8. Juni 2009 ID 4335
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL (Staatsoper Unter den Linden, 07.06.09)
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Michael Thalheimer
Bühnenbild: Olaf Altmann
Kostüme: Katrin Lea Tag
Besetzug: Sven Lehmann (Bassa Selim), Christine Schäfer (Konstanze), Anna Prohaska (Blonde), Pavol Breslik (Belmonte), Florian Hoffmann (Pedrillo), Maurizio Muraro (Osmin)
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Staatskapelle Berlin
|
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|