Der letzte Pfiff -
ein Drehschwindel
Christoph Marthalers Inszenierung am Theater Basel changiert zwischen kurzweiliger Nummernrevue und melancholischer Entschleunigung
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Bewertung:
Um als Berliner Theatergänger einen neuen Marthaler-Abend zu sehen, muss man mittlerweile weit reisen. Der Schweizer Theatermacher Christoph Marthaler ist an den Ursprung seiner Karriere ans Theater Basel zurückgekehrt und hat dort am 15. September mit der Oper Der Freischütz die neue Spielzeit eröffnet. Noch aus der letzten stammt seine Inszenierung Der letzte Pfiff - ein Drehschwindel, die nun zur Wiederaufnahme anstand. Dass Marthaler sich hier dem Genre des Krimis annimmt, wie es das Theater Basel verlauten ließ, kann man getrost für einen ironisch gemeinten Schwindel halten. Der Regisseur nutzt dieses Label nur für einen weiteren Abend melancholisch-komischer Spielszenen und musikalischer Einlagen, die ein ums andere Mal die Erwartungen des Publikums gekonnt unterlaufen.
Auch die Lösung eines Kriminalfalls gibt Anlass für Marthalers gewohnt absurden Humor. Da kann im Marthalerkosmos und wie überall im echten Leben so einiges schief gehen. Anfangs ist da von Crime aber weniger die Rede. Es geht zunächst um das Unvermögen des Komponisten Franz von Suppè, der die bekannte Ouvertüre zur Operette Dichter und Bauer für nur 4 Franken an einen Musikverlag verkaufte. Musikalisch untermalt wird das von Bendix Dethleffsen am Klavier. Die für Marthaler-Abende so typischen Chöre oder auch ein für Deutsche nicht zu verstehendes Potpourri aus Schwyzerdütsch-Wortbildungen geben den Ton dieses herrlich schrägen Nummernprogramms an. Marthaler hat sich u.a. bei Texten von Herbert Achternbusch, Friedrich Dürrenmatt, Eugen Egner und Ror Wolf bedient.
Noch absurder wirkt die Kulisse, in der das Ganze spielt. Bühnenbildner Duri Bischoff hat mehrere Würstchenbuden auf die Bühne des Theater Basel gestellt. Da steht eine Kostgänger Station neben Woelki Dog und Stolzing‘s Kaldaunen. Alles natürlich auch Anspielungen an mehr oder weniger bekannte Namen. Als Nichtschweizer fällt es einem schwer zu verstehen, was mit einem „Chlöpfer“ gemeint ist. Die Basler Wurstspezialität steht hier zur Debatte. Wobei Marthaler-Ikone Ueli Jäggi das alles ziemlich „Wurscht“ ist, worauf Würstchenverkäufer Raphael Clamer einfach die Rollläden herunter lässt. Ein an diesem Abend noch desöfteren zu erlebender Vorgang. Den ersten Szenenapplaus erntet Clamer dann aber mit seiner wild-rhythmischen Würstchenbudendemolierung, bei der er minutenlang Töpfe und andere Kochgeräte als musikalische Hilfsmittel einsetzt.
Das erste Mordopfer liegt dann mit Liliana Benini auf der Bühne. Sie drapiert sich immer wieder in neuen Posen hin, umringt von im Dunkeln tappenden Beamten, die das italienisch sprechende Opfer, das ihnen Namen und Adresse des Mörders serviert, nicht verstehen können. „Da kann man nichts machen", ist der lakonische Kommentar des überforderten Ermittlerteams. So wirklich ernst scheint es Marthaler dann mit seinem Krimiplot auch nicht zu sein. Er schickt lieber Jean Pierre Cornu als Kardinal-Woelki-Lookalike ins Rennen, der leicht entkleidet unter einer kopfüberhängenden Ketchupflasche Marke „Wotan“ den Segen von oben erwartet. Annika Meier versucht sich als Referenz an die gute alte Berliner Volksbühne an einem Liegestuhl-Slapstick. Jörg Kienberger himmelt zunächst verschämt die Damen vom Würstchengrill an. Sein „Knall der Wonne“ fokussiert sich auf Christel.
Es geht um Handlungsmotive und deren Ausführung, normale und wahnsinnige Menschen, die Völkervernünftigkeit von Schlussfolgerungen oder die vielen farblich unterschiedenen Arten der Traurigkeit. Viel und schön wird auch gesungen. Etwa Mozarts An Chloe, John Jeromes You Me & Us oder auch das bekannte Alles hat eine Ende, nur die Wurst hat zwei. Am Ende ein typischer Marthaler mit einigen Längen, der seine Fragmenthaftigkeit, die der Abend den schwierigen Proben unter Coronabedingungen verdankt, nicht gänzlich verbergen kann und das offenbar auch nicht will.
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Der letzte Pfiff - ein Drehschwindel von Christoph Marthaler am Theater Basel Foto (C) Ingo Höhn
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Stefan Bock - 20. September 2022 ID 13812
DER LETZTE PFIFF - EIN DREHSCHWINDEL (Theater Basel, 18.09.2022)
Regie: Christoph Marthaler
Musik: Bendix Dethleffsen
Bühne: Duri Bischoff
Kostüme: Sara Kittelmann
Lichtdesign: Thomas Kleinstück
Dramaturgie: Inga Schonlau und Malte Ubenauf
Mit: Liliana Benini, Carina Braunschmidt, Raphael Clamer, Barbara Colceriu, Jean Pierre Cornu, Vera Flück, Martin Hug, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Annika Meier, Nikola Weisse und Bendix Dethleffsen
UA war am 8. April 2022.
Weitere Termine: 30.09. / 21.11. / 27.12.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-basel.ch
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