Geschichten
aus dem
Wiener
Wald
Johann Simons inszeniert Horváths Klassiker als bizarres Körperballett der totalen Selbstauslöschung
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Geschichten aus dem Wiener Wald am Burgtheater Wien | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Geschichten aus dem Wiener Wald, das als bekanntestes Theaterstück Ödön von Horváths gilt, gehört zu Wien wie der Wiener Walzer, was es gerade zum Jahreswechsel zu einer sicheren Bank für das Abo-Publikum macht. Das macht es aber auch zu einem Klischee, obwohl die Wiener Seligkeit und das Volkstückhafte, das hier anklingt, eher eine bitterböse Parodie auf selbiges ist. Die Hauptfigur Marianne ist eine Schwester von Horváths tragischen Frauenfiguren Karoline und Elisabeth. Aber auch kämpferisch im Versuch, das kleine, selbstbestimmte Lebensglück zu finden. Eine sentimentale, bedauernde Betrachtung verdienen diese Frauen nicht. So auch in Johan Simons' neuer Inszenierung für das Wiener Burgtheater. Mit Sarah Viktoria Frick hat der Regisseur eine starke Darstellerin für die Marianne gefunden. Auch sonst trumpft die Produktion mit einer Riege von 15 gestandenen SchauspielerInnen auf, u.a. Maria Happel als Baronin, Oliver Nägele als Zauberkönig, Nicholas Ofczarek als Fleischhauer Oskar, Sylvie Rohrer als Valerie und Martin Schwab als Rittmeister.
Johan Simons ist kein großer Freund experimentellen Regietheaters. Seine feine Handschrift belässt den Horvath-Plot szenisch jederzeit klar erkennbar. Der Text spricht für sich und bedarf auch heute kaum einer Aktualisierung. Es gibt in Simons Inszenierung aber immer wieder kleine Momente des Innehaltens, die wie ein getupftes Ausrufezeichen wirken. Etwa wenn alle andächtig Puccini lauschen, oder in sich gekehrt stumm verharren. Ganz nahe komme sich die Figuren hier immer wieder, gehen auch mal in den Körperclinch. Dazu lässt Simons u.a. Schweinegrunzen einspielen oder später auch ein plärrendes Kind. Übergriffigkeit nicht nur in den Worten der Männer, wie dem brutalen Metzgergesellen Havlitschek (Daniel Jesch), auch der vermeintliche Charmeur Alfred (Felix Rech) umschwärmt seine Opfer Valerie und Marianne. Die verbale Brutalität des Textes wird so körperlich spürbar, wie die bekannten Worte Oskars, dass Marianne seiner Liebe nicht entkommen wird.
Johannes Schütz hat eine angedeutete Ladenzeile gebaut. Dahinter befindet sich ein Podest auf sonst leerer Bühne. Obwohl das gesamte Ensemble fast durchweg auf der Bühne verbleibt, lassen sich durch Drehen die einzelnen Szenen von der Straße im 8. Bezirk über den Wiener Wald und die Wachau bis ins Tanzlokal Maxims immer wieder neu verorten. Der Liebes- und Leidensweg Mariannes ist vor allem einer von Männern bestimmter. Alle Versuche der Selbstermächtigung scheitern, auch wenn Marianne und die Baronin in der Tanzszene mit angeschminkten Bärten Männerposen persiflieren. Von der Fleischbeschau mit schüchternen Liedvortrag von Draußen in der Wachau zur gesellschaftlichen Ächtung sind es da nur ein paar Takte Musik. Stück und Inszenierung zeigen in den einzelnen Frauenfiguren wie Valerie, der Mutter (Annamária Láng) und der grantigen Großmutter Alfreds (Gerdrut Roll), die für den Tod von Mariannes Kind verantwortlich ist, die einzelnen Stufen der patriarchalen Deformation. Dem kann sich auch Marianne nicht auf Dauer entziehen.
Simons lässt mit dem deutschen Studenten Erich (Jan Bülow), der hier einen sozialen Film nach der Vorlage von Mariannes Schicksal drehen will, und ansonsten viel von Austausch des Volkskörpers und einer neuen Welt schwafelt, den aufkommenden Faschismus anklingen. Auch wenn das hier noch nicht viel Anklang findet, fällt es doch auf fruchtbaren Boden. Die Wiener Gemütlichkeit, sofern es sie überhaupt gibt, ist schnell vergessen. Der Krieg ist auch für die Wiener Männerwelt ein Naturgesetz. Ein weiteres Opfer ist Marianne, die sich zwar aus ihrem Sklavendasein befreien und nicht mehr geschlagen werden will, letztendlich aber am Zusammenhalt der Männer scheitert und sich ihrem Schicksal ergibt. Simons lässt hier am Ende einfach den titelgebenden Walzer bis zur völligen Erschöpfung spielen. Ein bizarres und quälendes Umhertappen, Zerren und Stürzen.
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Geschichten aus dem Wiener Wald am Burgtheater Wien | Foto (C) Matthias Horn
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Stefan Bock - 2. Januar 2022 (2) ID 13382
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD (Burgtheater Wien, 30.12.2021)
Regie: Johan Simons
Bühne: Johannes Schütz
Kostüme: Greta Goiris
Musik: Mieko Suzuki
Licht: Friedrich Rom
Dramaturgie: Sebastian Huber und Koen Tachelet
Besetzung:
Alfred ... Felix Rech
Die Mutter ... Annamária Láng
Die Großmutter ... Gertrud Roll
Der Hierlinger Ferdinand ... Johannes Zirner
Valerie ... Sylvie Rohrer
Oskar ... Nicholas Ofczarek
Havlitschek ... Daniel Jesch
Rittmeister ... Martin Schwab
Marianne ... Sarah Viktoria Frick
Zauberkönig ... Oliver Nägele
Erich ... Jan Bülow
Baronin ... Maria Happel
Der Mister ... Falk Rockstroh
Emma ... Lili Winderlich
Premiere war am 18. November 2021.
Weitere Termine: 14., 19., 30.01.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at/
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