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Make Angels

Great Again



Simon Kirsch (liegend) und Nicolas Streit in Engel in Amerika am Schauspiel Köln | Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Zum Ausklang des Cologne Prides und der viel zu kurzen Interims-Intendanz von Rafael Sanchez am SCHAUSPIEL KÖLN lohnt es, ein über vierstündiges Highlight im Depot 2 Revue zu passieren: In der queeren Hochburg Köln widmete sich Matthias Köhler aufsehenerregend dem zweiteiligem Engel in Amerika von Tony Kushner (68). Das Drama, 1991 in San Francisco uraufgeführt, gilt heute als Klassiker der queeren Community und erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den Pulitzer-Preis. Es greift die Stigmatisierung, Unterdrückung und Diskriminierung der queeren Minderheit in der damaligen Reagan-Ära auf. Diese Minderheit wurde in den 1980ern durch die Ausbreitung von Aids von weiten Teilen der Politik und Gesellschaft zum Feindbild erklärt. Eine Infektion mit dem HI-Virus galt als Todesurteil. Medikamente wie AZT waren nur bedingt wirksam, schwer erhältlich und kaum erschwinglich. Das Drama verhandelt unterhaltsam und sozialkritisch Selbsthass und -verleugnung, Scham und Ängste von schwulen Männern. Mike Nichols verfilmte es 2003 erfolgreich als Miniserie mit Meryl Streep, Al Pacino und Emma Thompson in wichtigen Rollen.

Im Depot 2 setzt Requisiteur Patrick Loibl eindrucksvoll einen liegenden Kopf der Freiheitsstatue in Szene, halb im Bühnenboden versunken und lädiert. Auf ihm geistern mitunter Schutzsuchende herum. Hier verstecken sich Menschen der queeren Community. Gemalte Kulissen, Videoprojektionen und bewegliche Elemente kommen zum Einsatz. Im auf vier Stunden zusammengestrichenen Drama folgen Szenen aufeinander oder laufen zeitgleich nebeneinander. Protagonisten der vorigen Szene verlassen die Bühne oftmals nicht. Hellsichtige oder intime Dialoge wechseln im schnellen Tempo. Köhler schafft Ruhepausen im konzentrierten Spiel, wenn sein Ensemble Songs wie „Angst in My Pants“ von den Sparks im Chor darbietet.

In dem Drama zerbrechen mehrere Paarbeziehungen von Mitdreißigern: Die Ehe der Mormonen Joe (Henri Mertens) und Harper (Sophia Burtscher) zerbricht daran, dass Harper unter einer psychischen Krankheit leidet und Joe durch die Beziehung mit ihr eigene homosexuelle Neigungen unterdrücken wollte. Harper halluziniert zuhause tablettenabhängig, während Joe als Anwalt Karriere macht. Parallel zeigt die Aufführung eine anfangs noch glückliche Paarbeziehung. Doch Prior (Nicolas Streit) ist an Aids erkrankt und zeigt seinem Freund Louis (Simon Kirsch) sich am Körper ausbreitende braun-bläuliche Tumorknoten. Louis kann die Zumutungen der Aids-Erkrankung seines langjährigen Partners nicht ertragen und lässt ihn in der Not im Stich. Im Stückverlauf lernt Louis, Textverarbeiter im Bundesberufungsgericht, den Anwalt Joe kennen und sie kommen sich näher. Auch diese Beziehung scheitert, da beide mit ihrem Gewissen hadern und sich der Schuld an vorherigen Partnern bewusst werden.

In Engel in Amerika wird ein weiterer Mann ins Zentrum gerückt: der realhistorische Anwalt Roy Cohn (Andreas Grötzinger), der auch führende Mafiosi erfolgreich vertrat. Er protegierte sogar, wie wir heute über Ali Abbasis im Frühjahr oscarnominiertes Kinodrama The Apprentice wissen, von 1973 bis 1986 den aufstrebenden Unternehmer Donald Trump. In Engel in Amerika bemüht sich der windige Cohn hingegen um den schüchternen Mormonen Joe. Cohn überschreitet ungehobelt und lärmend moralische Grenzen, um erfolgreich zu sein. Er versucht Joe für seine korrupten Machenschaften zu instrumentalisieren und bietet ihn ein Stellenangebot in Washington. Joe, der ebenfalls erzkonservativ und rückwärtsgewandt für die Republikaner eintritt, folgt seinem Beispiel anfangs nur bedingt. Cohn interessiert sich für Joe auch sexuell. Cohn hat sich selbst beim Sex mit Männern mit HIV infiziert, vertritt jedoch die Überzeugung, dass nur Männer ohne Macht schwul seien.

Joe hingegen findet den Mut, sich bei seiner Mutter Hannah (Yvon Jansen) zu outen. Diese ignoriert jedoch brutal seine Worte und nimmt sein Geständnis nicht für voll. Während der Vorführung gibt es jedoch überraschend versöhnliche Annäherungen zwischen Hannah und Prior, wenn sich beide anfreunden.

Das Ensemble agiert wandlungsfähig, dynamisch und humorvoll. Die Inszenierung bietet allerlei Schauwerte: So wird Nicola Gründel mehrfach als Engel mit langen Flügeln während Louis’ Todeskampf von der Bühnendecke herabgelassen. Yvon Jansen sucht als Geist von Ethel Rosenberg den dahinsiechenden Roy Cohn auf, der die Kommunistin einst auf den elektrischen Stuhl brachte. Eine moralisch integre Figur ist hingegen die warmherzige Dragqueen Belize (Kelvin Kilonzo), die tagsüber als schwarzer Pfleger den rassistischen Roy Cohn im Krankenhaus betreut. Er begegnet sowohl Cohn als auch Louis mit Schlagfertigkeit und Toleranz gegenüber deren Lebensentwürfen.

Das Stück beleuchtet eindrücklich, wie Partnerschaften durch (Selbst-)Betrug oder schwere Erkrankungen belastet werden. Die auch in den Bühnenbildern verdeutlichte Brüchigkeit des amerikanischen Traums erscheint gerade in der heutigen Zeit wieder aktuell, wo der amtierende Präsident einen Schutz für Minderheiten abbaut, Hilfsprogramme reduziert oder rückgängig macht und die Rechte der queeren Community angreift und einschränkt.



Engel in Amerika am Schauspiel Köln | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 10. Juli 2025
ID 15358
ENGEL IN AMERIKA (Depot 2, 02.07.2025)
von Tony Kushner

Regie: Matthias Köhler
Bühne: Patrick Loibl
Kostüme: Carla Renée Loose
Video: Marvin Kanas
Musik: Eva Jantschitsch
Lichtdesign: Michael Frank
Dramaturgie: Ida Feldmann
Mit: Sophia Burtscher, Andreas Grötzinger, Nicola Gründel, Yvon Jansen, Kelvin Kilonzo, Simon Kirsch, Henri Mertens und Nicolas Streit
Premiere am Schauspiel Köln: 21. Februar 2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln


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