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Premierenkritik

Beziehungsspiel zwischen Traum und Wirklichkeit, ziemlich diffus in den Bühnensand gesetzt



Traumnovelle am Schauspiel Frankfurt | Foto (C) Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Die Traumnovelle von Arthur Schnitzler, erschienen im Jahr 1926, scheint wie gemacht für die stark assoziative, fragmentarische Inszenierungsweise von Sebastian Hartmann. Und doch hat der Regisseur mit seiner Adaption für das Schauspiel Frankfurt so seine Probleme. In einem Interview für die Website des Theaters erklärt er, von Schnitzlers Text begeistert zu sein. Nun ist große Textarbeit nicht gerade die Sache von Hartmann. Sein Theater lebt mehr von der Aktion und starken Bildern, wofür die Novelle Schnitzlers über die Krise des Ehepaars Albertine und Fridolin, ausgelöst durch sexuelle Begierden, die die beiden unabhängig voneinander in Form von Gedanken und Träumen haben, durchaus genügend Stoff bietet. Dass er einfach nur den Text bebildern würde, darf man allerdings nicht von Sebastian Hartmann erwarten. Und so waren wohl einige Buh-Rufer am Ende von diesem über 2stündigen Abend mit seiner recht lose zusammengeknüpften Szenenfolge enttäuscht.

Dabei lässt Hartmann ungewöhnlich viel Originaltext über die Rampe schieben. Aber manchmal ist eben weniger eher mehr. Es beginnt nach einem ausgelassenen Tänzchen des Ensembles um das von Hartmann gestaltete Bühnenrund aus Sandkreisen mit ein paar Textfragmenten vom Beginn der Novelle. Das Ensemble sitzt dabei wie öfter bei Hartmann nebeneinander an der Rampe. Die Herren tragen Frack und Zylinder, die Damen glitzernde Abendgarderobe. Adriana Braga Peretzki hat sich dafür sicher von der Ausgangssituation der Novelle inspirieren lassen. Das Paar war am Vorabend bei einem Ball, bei dem beide auch mit anderen Partnern geflirtet haben. Sie erzählen sich nach einer gemeinsamen Nacht amouröse Beobachtungen aus dem letzten Dänemark-Urlaub. Den Arzt Fridolin machen die erotischen Gedanken seiner Frau eifersüchtig, was die Handlung erst in Gang bringt. Schnitzler lässt viel offen, ob sich die Ereignisse der nächsten zwei Tage in der Realität oder im Traum abspielen und ob es bei beider Erlebnissen nicht immer um die gleichen Personen geht.

Bei Hartmann wird zunächst viel im Kreis gelaufen, Klavier gespielt und der Song Leuchtreklame von der Band Milliarden gesungen. Ein Hinweis, wohin es mit einigen kurzen Fremdtexten auch noch gehen soll. Nicht nur das Zwischenmenschliche, auch das große Elend der Welt hat Hartmann wieder im Blick. Dazu werden dann alle mit mehreren lauten Pistolenschüssen in den Sand gestreckt. Wer bis dahin Mühe hatte zu folgen, bekommt von Annie Nowak eine Kurzfassung des Geschehens an der Rampe geliefert. Dann wird wieder gerannt, und immer nach einem David-Bowie-Song setzen sich alle wieder an die Rampe. Das passiert hier in wiederkehrenden Schleifen und Kostümwechseln. So oder so ähnlich ließe sich der Abend weiter beschreiben. Einer herkömmlichen Kritik entziehen sich die Arbeiten von Sebastian Hartmann eh schon seit Längerem. Im günstigsten Fall entwickelt sich in seinen Inszenierungen aus Bühnenbild, Text, Video und Spiel ein magischer Bilderreigen oder eine visuelle und akustische Bühneninstallation. Das passiert an diesem Abend leider nur selten.

Der zunächst noch angegebene Videopart ist im Programmheft kurzfristig gestrichen worden. Er wäre sicher auch unpassend. In einer Art assoziative Nummernrevue reihen sich hier einige wenige erkennbare Spielszenen aneinander. Sie haben bei Textkenntnis auch meist einen Bezug zur Vorlage. Die Randfiguren der Novelle wie ein Bettler, der Fridolin rempelnde Student oder die Prostituierte Mizzi kommen alle mal vor. Auch die Szene beim an einem Herzanfall verstorbenen Hofrat und seiner unglücklich in Fridolin verliebten Tochter. Irgendwann wird Heidi Ecks in einen Leichensack gesteckt. Holger Stockhaus gibt einen Exkurs in Quantenteleportation und hat dann noch einen großen Auftritt mit einer Panikattacke zu moderner klassischer Musik. Auch das ein Stück über die Endlichkeit. Die Spuren im Sand entfernt der große Wellenkamm, der sich immer wieder über den Sandkreis senkt. Hartmann bleibt hier ganz Melancholiker und hoffnungsloser Romantiker.

Caroline Dietrich darf dann am Ende noch Albertines erotischen Traum an der Rampe vortragen. Da bricht der diffuse Abend aber auch abrupt ab. Der schönste Symbolismus und Bilderreigen kann nicht über eine gewisse Unfertigkeit der Inszenierung hinwegtäuschen. Aber so ist es ja meist mit Träumen. Sie sind schwer zu deuten oder schnell wieder vergessen. Da passt das Motto, das Hartmann den meisten seiner Inszenierungen seit Jahren aus dem Off voranstellt. „All that we see or seem / is but a dream within a dream” raunt es da aus einem Gedicht von Edgar Allen Po, das später dann auch noch in ganzer Schönheit deklamiert wird. Bei Schnitzler heißt es am Ende: „Und kein Traum ist völlig Traum.“ Da ist das Paar aus seinen Träumen erwacht und freut sich, einigermaßen heil wieder heraus gekommen zu sein. Sehr tief einsteigen wird man hier auch nicht können. Für die Analyse braucht es keinen Sigmund Freud. Das sollte man aber von diesem Abend auch nicht zwingend erwarten.



Traumnovelle am Schauspiel Frankfurt | Foto (C) Birgit Hupfeld

Stefan Bock - 6. März 2023
ID 14088
TRAUMNOVELLE (Schauspiel Frankfurt, 04.03.2023)
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Video: Tilo Baumgärtel
Dramaturgie: Katrin Spira
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Mit: Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Christian Kuchenbuch, Manja Kuhl, Sebastian Kuschmann, Annie Nowak, Christoph Pütthoff, Matthias Redlhammer und Holger Stockhaus
Premiere war am 4. März 2023.
Weitere Termine: 13., 16., 17., 20., 22., 31.03./ 01., 16., 19., 20.04.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de


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