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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Solo-Show

für Stefanie

Reinsperger



Stefanie Reinsperger in Phaidras Liebe von Sarah Kane am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Bewertung:    



Das eine Theateraufführung auch einen Host haben kann, erfährt das Premierenpublikum in Robert Borgmanns Inszenierung von Phaidras Liebe, einer Antikenbearbeitung der 1999 nur 28jähirg durch Suizid aus dem Leben geschiedenen britischen Dramatikerin Sarah Kane. Der antike Hintergrund des Stücks wird hier in einem live in Englisch eingesprochenen Prolog der Inszenierung vorangestellt. Die deutsche Übersetzung kann man auf der Bühnenrückwand lesen. Als Videoprojektion in einer zackigen Öffnung, die wie ein Blitz aus einem Comicheft aussieht, tritt Göttin Aphrodite als Popstar auf und erzählt die Vorgeschichte zur römischen Tragödie des Seneca, die Sarah Kane als Vorlage für ihr 1996 in London uraufgeführtes Stück benutzt hat. Es ist die letzte Theaterpremiere am Neuen Haus des Berliner Ensembles in dieser Spielzeit. Mal wieder ein Solo, das sich in Coronazeiten als die sicherste Aufführungsform erwiesen hat. Und Regisseur Borgmann hat mit Stefanie Reinsperger wohl auch die derzeit vielleicht beste Soloperformerin für sein Vorhaben gefunden.

Ganz allein bestreitet die BE-Schauspielerin den Abend aber nicht. Robert Borgmann und seine musikalische Mitstreiterin Nazanin Noori (gemeinsam sind sie das Projekt 123 CEREMONY) unterlegen die Inszenierung mit einem live eingespielten elektrischen Ambient-Hardcore-Soundteppich, der immer wieder in entscheidenden Szenen kräftig aufwallt und ansonsten nicht weiter stört. Stefanie Reinsperger verkörpert hier in einer Art schizophrenem Selbstgespräch beide Hauptrollen, den wohlstandsverwahrlosten, sexbesessenen, TV-süchtigen und Hamburger verschlingenden Prinzen Hippolytos sowie die unglücklich in ihn verliebte Stiefmutter und Theseus-Gattin Phaidra. Weitere Rollen wie König Theseus, Phaidras Tochter Strophe, ein Arzt, ein Priester und Stimmen aus dem Volk [Namen s.u.] werden von Borgmann, Noori und Anderen eingesprochen.

Die Doppelrolle erscheint zunächst nicht ganz plausibel. Borgmann stützt sich aber auf ein zum Teil im Programmheft wiedergegebenes Interview mit der Dramatikerin, das in der 1998 bei Rowohlt erschienen deutschsprachigen Erstausgabe zur damals neuen und hippen Londoner Theaterszene der 90er Jahre (Carr, Crimp, Kane, Ravenhill) abgedruckt ist. Darin spricht Kane vom „Versuch, zwei Extreme in meinem Kopf zu verbinden“. Dieses Regie-Konzept muss Reinsperger nun in einem ungeheuren Kraftakt mit viel Verve und Wut im Bauch umsetzen, was ihr einerseits recht anschaulich gelingt, aber andererseits kaum eine neue Lesart des düsteren Kane-Stoffs darstellen dürfte.

Vor rotem, klinisch sauberen Bühnen-Hintergrund, der das mit elektronischem Spielzeug, Chipstüten, schmutzigen Schlüpfern und vollgewichsten Socken zugemüllte Zimmer von Hippolytos zeigen soll, performt Reinsperger zunächst in schwarzem Trägerhemdchen und kurzen Latex-Buchsen den launischen, depressiven Prinzen, der mit einem großen Gymnastikball mit Smiley-Aufdruck und drei in Frischhaltefolie eingewickelten lebensgroßen Kegeln Stehaufmännchen spielt. Dabei klingen die zynischen Worte des Hippolytos scharf wie Rasierklingen. Jeder Satz ein verletzender Florettstich. Das erinnert entfernt an Heiner Müllers Stück Quartett. Wobei dort der verbale Schlagabtausch zwischen ebenbürtigen Partnern abläuft. Hier trifft der Hass nur die bedingungslos liebende Phaidra.

Es ist die vierte Szene des Stücks, das Zusammentreffen zwischen Hippolytos und Phaidra. Regieanweisungen und das immer wieder zwischen den Sätzen eingefügte Wort „Stille“ werden vom „Host“ Aphrodite englisch eingesprochen und sind an der Bühnenrückwand deutsch zu lesen. Nachdem sich Reinsperger ausgetobt hat, erscheint sie in schwarzem Witwen-Outfit auf der anderen Seite der Bühne, wo wie ein Sarg eine Sonnenbank steht und es unentwegt schwarze Asche regnet. Nach einem Zwischenspiel mit eingesprochenem Arzt wiederholt sich die vierte Szene nun aus der Sicht der gedemütigten Phaidra. An der Liebe leiden hier eigentlich beide. Vom schwarzhumorigen Zynismus der Vorlage bleibt hier aber nur ein schwer erträglicher Manierismus.

Ein wenig Langeweile macht sich ebenfalls breit. Der Plot muss ja auch noch abgespult werden. Das Gespräch Strophes mit Hippolytos, in dem sie ihm vom Selbstmord Phaidras und deren Vergewaltigungsvorwurf berichtet und die Szene in der ein Priester Hippolytos zur Buße bewegen will, werden zum Teil wieder eingesprochen. Das blutige Ende mit der Vergewaltigung Strophes durch den heimgekehrten Theseus, die Genitalverstümmelung und das Ausweiden des Hippolytos durch das aufgebrachte Volk erscheint zum dräuenden Elektrosound gleich nur noch als Schrift auf der Bühnenrückwand. Dazu tanzt Stefanie Reinsperger im weißen Brautkleid. Hippolytos Schlussworte „Hätte es doch nur mehr Momente wie diesen gegeben.“ bleiben da reine Wunschvorstellung.



Phaidras Liebe von Sarah Kane am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Stefan Bock - 24. April 2022
ID 13588
PHAIDRAS LIEBE (Neues Haus, 22.04.2022)
Regie, Bühne und Kostüme: Robert Borgmann
Musik: Robert Borgmann und Nazanin Noori
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Amely Joana Haag
Mit: Stefanie Reinsperger, Robert Borgmann und Nazanin Noori (Live-Musik) sowie den Stimmen (Volk) von Felix Benk, Esther von der Decken, Fiona Hauser, Jonas Vogt und Tim Wedell
Premiere am Berliner Ensemble: 22. April 2022
Weitere Termine: 24.04. / 07., 08., 09., 28., 29.05.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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