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RUHRTRIENNALE 2025

She did it

her way



Lars Eidinger und Larissa Sirah Herden in I did it my way in der Jahrhunderthalle Bochum | Foto © Jan Versweyveld

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Eine grau-weiße, unscheinbare Hausfassade mit Schiebeelementen und eine rechts davor stehende Straßenlaterne in gleichen Farbtönen stehen für einen alltäglichen Ort irgendwo, irgendwann. Der Bühnenboden ist dunkel gehalten. Große schwarze Flecken deuten inmitten der Bühne Wasserpfützen an. Ein namenlos bleibender Mann (Lars Eidinger) schlurft von rechts kommend über die Bühne, mit dem Rücken zum Publikum. Er wird von seiner ebenfalls namenlos bleibenden Frau (Larissa Sirah Herden), die von links auftritt, nur mit einem Wort verlassen, „Goodbye“. Er weiß scheinbar nicht, warum. Er bleibt zurück, hadert mit sich und seinen Gefühlen. Der Mann verliert sich im Trennungsschmerz und sehnt sich zurück nach dem kleinen Glück ihrer Gemeinschaft. Er singt bald den pathetischen Klassiker "A man alone" von Rod Mc Kuen, der durch die Interpretation von Frank Sinatra bekannt wurde. Es geht um große Emotionen. Die beiden Hauptfiguren interpretieren Klassiker, wie "Everything must change" von Benard Ighner und "Wild is the wind" von Dimitri Tiomkin und Ned Washington.

Ivo Van Hoves Eröffnungsproduktion der diesjährigen RUHRTRIENNALE, I did it my way, spielt melancholisch auf einer vieldeutigen Klaviatur der Gefühle. Der Regisseur legte die Performance ähnlich interdisziplinär mit Gesang, Tanz, einer mehrebigen Bühne, Live-Musik und einer mehrstufigen Handlung an, wie im Vorjahr seine gefeierte Uraufführung I want absolute beauty, damals mit Musik von PJ Harvey und Sandra Hüller als Hauptdarstellerin. Auch 2025 begleitet Livemusik das Eröffnungsstück. Oberhalb der Bühne ist eine zehnköpfige Band [Namen s.u.] platziert, die unter der musikalischen Leitung von Henry Hey die Solisten mit vielen Bläsern effektvoll untermalt.

Ausgangspunkt des Abends ist das intime, weniger bekannte Konzeptalbum Watertown Frank Sinatras von 1969, aus dem sieben Songs performt werden. In Sinatras Album geht es um ein seit Jahren verheiratetes Paar, das mit zwei Kindern im Teenageralter den American Dream lebt. Doch dann verlässt die Frau plötzlich das Haus und die Familie. Ivo Van Hove spinnt die Perspektive der Frau weiter, die bei ihm schwarz ist und sich zur Aktivistin gegen Rassismus entwickelt. Lieder, die zuvor nicht als Narrative dienten, untermalen nun die Atmosphäre einer intimen Beziehung, die jedoch seitens der Frau über die bloße Paarebene hinausreicht.

Die junge Frau hat vielleicht gefühlt in einer anderen Welt gelebt als der weiße Mann mittleren Alters mit Glatzenansatz. Auch sie scheint verzweifelt, wenn sie „Blackbird“ von Nina Simone performt. Sie betrachtet die soziale und politische Schieflage der Gesellschaft, den hier flächendeckenden Rassismus. Beiden Figuren steht eine große Spielfläche zur Verfügung, um den Abstand voneinander zu wahren. Sie halten sich oft während ihrer Gesangsinterpretationen weit hinten auf der rechten oder linken Bühnenhälfte auf, begegnen sich jedoch auch wiederholt – mal zärtlich, mal voneinander abgewandt – und interpretieren die Klassiker dabei gemeinsam. Da ausschließlich gesungen und nicht gesprochen wird, verharrt die Dynamik oft farblos in Schwarzweißmalerei.

Begleitet werden die beiden Hauptfiguren jeweils von zwei schwarzen Tänzerinnen (Ida Faho, Sylvie Sanou) respektive weißen Tänzern (Marco Labellarte, Samuel Planas), welche die Bewegungen der Hauptfiguren wiederholen oder variieren. Im Tanz wird stets auch eine Fragilität der Figuren deutlich. Es bleibt offen, ob die Tänzer die Paardynamik doppeln sollen, oder gemäß von Sinatras Konzeptalbum Kinder des Paares darstellen.

Die beiden Hauptfiguren versuchen nicht wie die Vorbilder Sinatra oder Simone zu klingen. Während Larissa Herden mit einem dunklen, kraftvollen Stimmorgan bei Klassikern wie „Feeling good“ von Leslie Briecusse und Anthony Newley wirkungsvoll Akzente setzt, singt Lars Eidinger unscheinbar solide. Er lässt jedoch nur selten aufhorchen, etwa bei „In the wee small hours of the morning“ von David Mann und Bob Hilliard. Während die Paardynamik zu Eidingers Vortrag von „The house I live in“ von Earl Robinson und Lewis Allan sich mitunter recht spannungsarm in die Länge zieht, rückt die politische Dimension der Performance in den Vordergrund.

Die Frau widmet sich ihrer Identität und sozialen Position als schwarze Frau, wenn sie mit kräftiger Stimme und tänzerisch eleganten Bewegungen „To be young, gifted and black“ von Nina Simone performt. Sie setzt sich schließlich für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit ein und singt „Why (The King of Love is dead)“. Über die Hausfassade eingeblendete Bildprojektionen von der damaligen US-Bürgerrechtsbewegung gegen Rassismus begleiten Herdens prägnante Interpretation, die sitzend und in sich ruhend mit dem Rücken zum Publikum singt. Kurz nach der Ermordung von Martin Luther King schrieb Nina Simones Bassist Calvin E. (Gene) Taylor 1968 den Song, den die Sängerin wenige Tage danach erst live performte, dann im gleichen Jahr auf Platte veröffentlichte und dem einflussreichen Bürgerrechtler widmete.

Der Titel der Produktion verweist auf Frank Sinatras Überhit „I did it my way“, eines der beliebtesten Lieder für Beerdigungen und Verabschiedungen. In der Ruhrtriennale-Uraufführung werden gleich zwei Versionen dargeboten, erst singt nur Lars Eidinger im Mittelteil kurz sogar von der Orchesterempore. Er und die beiden Tänzer springen während der Performance ausgelassen in die Luft und machen gehend dynamische Rückbeugen. Am Ende singt Eidinger die Hymne zusammen mit Larissa Herden. Die Figuren befinden sich hier in unterschiedlichen Lebenssituationen und der Song markiert hier nur bedingt einen glücklichen Moment in der Beziehung der beiden. Die Frau macht mehrfach wieder Schritte auf den Mann zu und ordnet sich scheinbar auch unter. Am Ende geht das Paar erneut auseinander, nun vielleicht mit mehr Verständnis füreinander.

Der von der Storyline her mitunter diffus andeutungsreiche Abend lässt mehr oder weniger starke Songs der damaligen Zeit Revue passieren. Einige dieser Klassiker werden dabei durch künstlich eingespielte Backing Vocals ergänzt. Die Rechte an den Lyrics konnten bei einigen Kompositionen nicht geklärt werden, weswegen nicht alle, insgesamt etwa 30 Lieder in den Übertiteln ins Deutsche übersetzt wurden. Einige bekannte, zur Aufführung gebrachte Lieder, wie „Strange Fruit“ oder „What now my love“ verbindet man auch nicht unbedingt mit Simone oder Sinatra, sondern eher mit Billie Holiday respektive Elvis Presley. Frank Sinatra komponierte selbst nie, er interpretierte erfolgreich Songs anderer Komponisten. Nina Simone, die sich als klassisch ausgebildete Pianistin anfangs nur gesanglich begleitete, schrieb selbst überwiegend politische Songs, von denen u.a. auch „Four Women“ vor Ort wiederentdeckt wird.

Im Anschluss an die besuchte Vorführung fand eine erhellende Podiumsdiskussion mit dem Regieteam und den beiden Hauptdarstellern statt. Lars Eidinger erzählte unter anderem, dass er Larissa Sirah Herden am Set vom Tom Tykwer-Film Das Licht kennenlernte. Er schlug sie selbst für den Part der Frau vor, für den Ivo Van Hove ursprünglich eine andere Sängerin vorgesehen hatte, die dann doch nicht verfügbar war. Larissa Herden meinte, es sei eine besondere Erfahrung „Strange Fruit“ vor einem nahezu komplett weißen Publikum zu singen. Sie betonte, dass jede soziale Beziehung stets auch als politisch betrachtet werden könnte.



I did it my way in der Jahrhunderthalle Bochum | Foto © Jan Versweyveld

Ansgar Skoda - 27. August 2025
ID 15429
I DID IT MY WAY (Jahrhunderthalle Buchum, 23.08.2025)
Konzipiert und inszeniert von Ivo Van Hove

Musikalische Leitung, Arrangements: Henry Hey
Choreografie: Serge Aimé Coulibaly
Bühnenbild und Licht-Design: Jan Versweyveld
Videodesign: Christopher Ash
Kostümbild: An D'Huys
Sounddesign: Erwin Sterk
Dramaturgische Beratung: Koen Tachelet
Mit: Lars Eidinger und Larissa Sirah Herden sowie Ida Faho, Sylvie Sanou, Marco Labellarte und Samuel Planas als auch den Musikerinnen und Musikern Henry Hey, Volker Kamp, Tim Dudek, Philip Breidenbach, Christian Frentzen, Luzie Micha, Christian Mehler, Philipp Hayduk, Maxine Troglauer und Marc Doffey (Saxophon, Flöte)
Vocal Coach: Lucy Woodward
UA war am 21. August 2025.
Weitere Termine (in Bochum): 27., 28., 30., 31.08.2025
Weitere Termine (in Stuttgart): 26., 27., 28.09.2025
RUHRTRIENNALE


Weitere Infos siehe auch: https://www.ruhrtriennale.de


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