Wendezeiten
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Bewertung:
Der Roman Die Letzten ihrer Art ist der dritte Teil der als Tetralogie konzipierten Klimasaga der Norwegerin Maja Lunde und gerade auf deutsch erschienen. Lunde hatte 2017 einen Überraschungserfolg mit Die Geschichte der Bienen gelandet, dann 2018, etwas weniger geglückt, Die Geschichte des Wassers nachgelegt, und schwimmt jetzt mit dem neuen Buch wieder ganz oben.
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Lunde bedient sich erneut der im ersten Teil so gelungenen drei Zeitebenen. Im zukünftigen Jahr 2064 herrschen nach dem Klimakollaps apokalyptische Zustände. Während die südliche Halbkugel des Planeten verdorrt ist, regnet es im Norden fast unaufhörlich, so dass Nahrungsmittel, Häuser und alles auf längere Sicht durch die Feuchtigkeit zerstört werden. Manchmal begegnet man in der abgeschiedenen Gegend von Heiane Menschen, die noch weiter nach Norden gehen, wo sie sich ein gelobtes Land erhoffen, ohne jeglichen Beweis, dass es dort wirklich besser ist. Deshalb hat sich Eva entschieden, vorerst in Heiane zu bleiben, so lange sie noch Nutztiere und einen Selbstversorgungsgarten für sich und ihre 14jährige Tochter Isa erhalten kann. Die junge Isa drängt allerdings nach Norden zu gehen, weil es kaum noch jemanden in der Nachbarschaft gibt. Sie hat in ihrem Leben erst sieben andere Menschen getroffen. Doch Eva ist eisern und kümmert sich sogar noch um eine Stute und deren Fohlen, die von den Urpferden abstammen, auch Takhis oder Przewalski-Pferde genannt werden, obwohl das keine Nutztiere sind und im Winter das knappe Heu zugefüttert bekommen müssen. Isa kann das angesichts der existenziellen Bedrohung nicht verstehen, doch Eva hat tief verinnerlicht, dass die beiden Pferde die letzten ihrer Art sind.
Die zweite Zeitebene führt uns in das Jahr 1883, als der St. Petersburger Zoologe Michail zusammen mit dem Tierfänger Wilhelm eine Expedition in die Mongolei vorbereitet. Gerüchten zufolge sollen dort Urpferde gesichtet worden sein, die als ausgestorben galten. Es sind jene Pferde, die schon auf Höhlenmalereien abgebildet wurden. Lunde schildert hier den extrem schwierigen und verlustreichen Kampf einige dieser Tiere einzufangen, um sie zoologischen Gärten zuzuführen, damit ihre Art auf Dauer erhalten werden kann.
Die dritte Zeitebene spielt im Jahr 1992 in der Mongolei, wo die Tierärztin Karin versucht, die in Zoos erfolgreich gezüchteten Urpferde wieder auszuwildern. Auch dies ist ein schwieriges Unterfangen und fordert besonders im ersten Winter Opfer unter den Tieren.
Eva, die im Jahr 2064 noch um den aussichtslosen Erhalt der zwei letzten Urpferde kämpft, kennt diese alten Geschichten, denn Heiane war mal ein Tierpark, in dem es seltene Arten zu sehen gab. Das ist längst Vergangenheit, alles verfällt. Lunde fängt das, was uns erwartet, wenn der Planet weiterhin so ausgebeutet wird, in kleinen Sachen ein. Es ist selbstverständlich geworden, das Eva den Apfelbaum selbst bestäuben muss, denn die Bienen sind ausgestorben. Als das kleine Elektrizitätswerk zusammen mit seinem Betreiber unter einer Schlammlawine begraben wird, gibt es keinen Strom mehr. Die Vorräte in der Gefriertruhe müssen anderweitig haltbar gemacht werden, aber Einsalzen und Trocknen funktionieren nicht richtig, so dass vieles verdirbt. Sie werden auch des öfteren bestohlen, was alles zur Beschwerlichkeit des Überlebens beiträgt. Eva muss jeden Tag bis zur Erschöpfung arbeiten, nur um knapp bemessenes Essen auf den Tisch zu bekommen, trotzdem bringt sie die Kraft auf, Isa abends noch zu unterrichten. Eva trägt schwer an der Verantwortung: „Sollte es jemals einen Zweifel daran gegeben haben, war nun endgültig klar, dass es niemanden sonst gab, keine Hilfe, keine fremden Kräfte und keinen Gott. Es gab nur mich“. Es gibt keine Händler, keine medizinische Versorgung, nichts mehr. Nur Rimfakse, ein Hengst, der von Hauspferden abstammt und den Eva nicht mehr lange davon abhalten wird, die letzte Urpferdstute zu begatten und damit die Zuchtversuche zur Erhaltung der originalen Wildart und die Mühsal von Jahrhunderten zunichte machen würde.
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Lunde gelingt es hervorragend, an den Anstrengungen der Erhaltung einer einzigen Gattung zu illustrieren, welche unsäglichen Schwierigkeiten darin liegen. Schätzungen zufolge sterben täglich 70 Arten aus, was unvorstellbare Dimensionen sind. Die Autorin macht das ohne Angstmacherei oder Appelle, sogar mit Humor, wenn sie Tiere nach ebenfalls ausgestorbenen Marken wie Nike, Puma oder Boeing benennt, aber es wird schon klar, dass wir die letzte Generation, die letzten unserer Art, sind, die die apokalyptische Vision ihres Buches verhindern kann. An einigen Stellen ist der Roman etwas zu ausschweifend, aber die wunderbar gezeichneten Charaktere gehen einem nah, und das Schicksal der Menschen und Pferde geht unter die Haut. Auf jeden Fall ist die Vorfreude auf den vierten und letzten Teil geweckt.
Helga Fitzner - 3. November 2019 ID 11781
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Die Letzten ihrer Art
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