Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Kinder- und Jugendbuch

Der Snow

von damals





Bewertung:    



„Snow landet immer oben“, ist das Motto der Familie Snow analog zum Schnee, der obendrein alles unter einer schönen weißen Decke verbirgt. In der vorangegangenen Buch-Trilogie Die Tribute von Panem, die im Original zwischen 2008 und 2010 erschien, war Coriolanus Snow der skrupellose Präsident des fiktiven Kapitols, einer Dystopie mit einer elitären Gesellschaft, die von sklavenähnlich gehaltenen Rebellen unter Führung von Katniss Everdeen gestürzt wurde. Der alte Snow kam bei den Unruhen ums Leben, die Elite wurde abgesetzt, und damit war die Geschichte zu Ende. Das bedauerten die Fans sehr, deren Anzahl durch die Verfilmungen der Bücher [Catching Fire, 2013; Mockingjay, 2014] mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle und Donald Sutherland als alter Snow rasant wuchs.

*

Nun kam die US-amerikanische Jugendbuchautorin Suzanne Collins auf die Idee, ein Prequel zu schreiben, das die Vorgeschichte von Coriolanus Snow erzählt Die Tribute von Panem – Das Lied von Vogel und Schlange. So etwas birgt die Gefahr in sich, dass man aus Althergebrachten irgendeinen Resteauflauf zusammenschüttet, um im Nachgang noch den ein oder anderen Dollar abzugreifen. Doch das neue Buch ist bewusst anders. Wir hatten drei Bände aus Rebellensicht, die sich gegen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit auflehnten, wir haben ihre Armut, ihr Elend und die unfassbare Grausamkeit der alljährlichen Hungerspiele kennen gelernt. Bei denen müssen sich je zwei Kinder zwischen 12 und 18 Jahren aus den 12 ausgebeuteten Distrikten einen Kampf auf Leben und Tod vor laufenden Kameras und unter elaboriertem und perfektioniertem Medienrummel liefern, bis nur ein Gewinner oder eine Gewinnerin übrig bleibt.

Das Lied von Vogel und Schlange beginnt 64 Jahre früher, als Coriolanus Snow 19 Jahre alt ist und kurz vor seinem Schulabschluss steht. Es hatte vor Jahren ein Aufstand gegen die herrschende Elite stattgefunden, der niedergerungen werden konnte. Als Bestrafung wurden die jährlichen Hungerspiele eingeführt, zur Abschreckung und als Erinnerung an den Krieg. Doch die Kriegsfolgen sind im Kapitol noch deutlich spürbar, ehemals reiche und angesehene Bürger haben erhebliche Einbußen ihres Wohlstandes hinnehmen müssen. Die Familie Snow hat es so schlimm erwischt, dass sie sogar am Essen sparen muss. Sie besteht aus Coriolanus, seiner Cousine Tigris, und Großmadame, der hochherrschaftlichen Großmutter, die Coriolanus nach dem Tod seiner Eltern zu sich nahm und großzog. Sie tun ihr Bestes, den finanziellen Niedergang zu kaschieren, aber im Grunde weiß jeder, wie es um sie steht.

Doch die Snows sind als ambitioniert bekannt, und so wird der Schüler Coriolanus zum Mentor einer der Tribute aus Distrikt 12 ernannt, dem niedrigsten von allen. Er wird immer wieder von der perversen Spieleleiterin Dr. Gaul eingesetzt, was ihn sehr verstört. So hat er an einem Tag Zugang zu ihrem Labor, in dem sie genetische Versuche mit Tieren macht, neonfarbene Giftschlangen züchtet und alle mögliche Arten von Kreuzungen. Der Verdacht liegt nahe, dass es auch Menschenversuche gibt. Ohne es zu wissen, ist aber Coriolanus irgendwie auch ein solcher Versuch, denn Dr. Gaul schickt ihn immer wieder an vorderste Front, stachelt seinen Ehrgeiz an und nutzt seine Unsicherheit und Versagensangst aus. Die Mentoren wurden erfunden, um die nunmehr zehnten Hungerspiele für das gleichgültige Publikum wieder attraktiv zu machen. Die Menschen wollen lieber vergessen und sich ihr Leben neu einrichten, aber eine Diktatur gelingt nur unter der ständigen Erinnerung an erlittenes Leid, Schuldzuweisungen, Spaltung und die Aufrechterhaltung permanenter Angst, die in omnipräsenter Berichterstattung eingehämmert werden. Weil Coriolanus seinen Vater zum Vorbild hat, einen Kriegshelden, lässt er sich auf das perfide Spiel von Dr. Gaul ein.

Er kümmert sich herausragend um seinen Tribut, Lucie Gray Baird aus Distrikt 12, die ursprünglich einem fahrenden Volk angehörte und sich mit musikalischen Darbietungen über Wasser hält. Das hat natürlich genau die erwünschte Medienwirksamkeit und bringt auch Coriolanus Anerkennung ein, die aber auf der Kippe steht, denn er sieht sich immer wieder gezwungen, Regelverstöße zu begehen, deren Vertuschung ihn wieder zu neuen Missetaten verleitet. Im Schlepptau hat er Sejanus Plinth, der im Kapitol eigentlich nichts verloren hat. Er gehört nicht zur Elite, aber weil sein aus Distrikt 2 stammender Vater das Kapitol mit Waffen versorgt hat und zu erheblichem Reichtum gekommen ist, muss man sich mit ihm abfinden. Alle jugendlichen MentorInnen haben Skrupel, und ihnen ist ihre Rolle unangenehm. Auch Coriolanus. Zudem verliebt er sich in Lucie Gray, was die Sache wesentlich komplizierter macht, denn nun muss er alles daran setzen, dass das schmächtige Mädchen die Hungerspiele gewinnt und sie den Zuschauern schmackhaft zu machen. Seine Ideen helfen mit, die Spiele attraktiver zu gestalten und die niedersten Instinkte als Sportereignis zu vermarkten.

Dr. Gaul nutzt den Überlebenstrieb der Menschen aus und bringt Coriolanus in entsprechende Gefahren. Dadurch tötet er in Notwehr seinen ersten Menschen. War Coriolanus durch den Verfall seines Status' schon tief in seinem Narziss gekränkt, wird er nun immer anfälliger für die Macht, ihre Vorteile und die menschenverachtende Ideologie ihrer VertreterInnen. Anders Sejanus, der als Gegenpol der einzige ist, der sich dem System widersetzt, aber zunehmend radikalisiert wird. In diesem Spannungsfeld inszeniert Collins eine bemerkenswerte Geschichte, in der Fragen von Ethik, aber auch das allzu leichte Erwecken des Barbarischen im Menschen erörtert werden. Das Buch hat einige Überraschungen zu bieten, spannende Momente, eine Liebesgeschichte und ein absolut starkes Ende mit dem Potential wieder großes Kino zu werden.


Helga Fitzner - 23. Mai 2020
ID 12257
Verlagslink zum Lied von Vogel und Schlange


Post an Helga Fitzner

Buchkritiken

DVD

Filmkritiken



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeige:




LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)