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Hollywood

Welt am Draht, aber nicht auf Draht



Bewertung:    



Wer Christopher Nolans Science Fiction-Film Interstellar für interessant, aber unausgewogen und überladen empfindet, weil er so wirkt als handele es sich um eine auf drei Stunden eingedampfte 12-teilige Serie, dem bietet der neue visionäre Trip des einstigen Monty Python-Regisseurs (und Cartoonisten) Terry Gilliam zumindest in Sachen Zeitumfang eine Alternative: The Zero Theorem wirkt interessant, unausgewogen und überladen – dies aber nur 100 Minuten lang. Auch Gilliams Blick in die Zukunft verheißt der Menschheit keine leichte Erlösung von dem Übel, das sie sich selbst gebastelt hat. Doch anders als in Nolans Dystopie ist die Welt in Zero Theorem kein staubiger, überbevölkerter Planet, sondern ein mit Werbung und Geschmacklosigkeiten zugemüllter Ort. Die Politik und Bürokratie in den westlichen Metropolen (die Handlung scheint in London stattzufinden, was aber egal ist) ist von PR-Spezialisten und Konzernmanagern übernommen worden, deren wichtigste frohe Botschaft für die dauerzerstreute Menschheit noch unvollendet ist, weil einige wissenschaftliche Weltformeln nicht vollendet worden sind.




Terry Gilliam und Christoph Waltz beim Dreh zu The Zero Theorem | © Concorde Filmverleih


Einer der vielen Angestellten des größten Entertainment- und wohl auch Forschungskonzerns der Welt, „ManCom“, ist der Supernerd Qohen Leth (der derzeit unvermeidliche Christoph Waltz), ein ebenso genialer wie vollkommen besessener Informatiker. Er sitzt nur äußerst ungern wie seine Kollegen an seinem schrillen Arbeitsplatz, eine Mischung aus Hamsterrad und Riesenlaptop, um seine mathematischen Formeln zu knacken. Schließlich dominiert sowohl auf dem Weg zur Arbeit als auch bei der Arbeit selbst permanente Reizüberflutung, die für alle anderen außer Qohen wohl inzwischen zum Alltag gehört. Und zweitens wartet Qohen zu Hause auf einen wichtigen Anruf seines ominösen Chefs, der ihm eine ganz persönliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens versprochen hat, weswegen er sich in eine still gelegte Kirche zurückgezogen hat, die er wohnlich eingerichtet und vor der Außenwelt hermetisch abgeriegelt hat. Doch das Telefon will einfach nicht klingeln…

Diese Konstruktion erscheint mir innerhalb des von schönen, goutierbaren Merkwürdigkeiten nur so wimmelnden Films eine unbeabsichtigte oder fahrlässige Merkwürdigkeit zu sein: Da gibt es also einen hochbegabten Informatiker, der ständig hochkomplexe Berechnungen durchführt, der aber gleichzeitig an den Weihnachtsmann glaubt, nämlich seine Erlösung durch einen Anruf vom schemenhaften Superchef. Schwierig nachzuvollziehen ist auch Qohens klare Ablehnung der Volksverdummung, die ihn umgibt, oder seiner sklavischen Unterwerfung unter ominöse Arbeitsanweisungen, die ihn fast um den Verstand bringen. Immerhin erlaubt ihm der Konzernchef die Heimarbeit nur unter der Bedingung, noch williger, schneller und effektiver Formeln zu lösen und damit der alles erklärenden Weltformel näher zu kommen.



Christoph Waltz in The Zero Theorem | © Concorde Filmverleih


Qohen Leth ist vielleicht einfach zu sehr oldschool, was Arbeitsethos und Identifikation mit der gestellten Aufgabe betrifft. Das zeigen letztlich auch die Begegnungen mit dem aufgeweckten, leicht rebellischen Sohn seines Chefs, der ihm seine Naivität klarmacht, und mit einer süßen Serviceblondine, die ihn offensiv ermuntert, auch mal wieder, pardon, unter Menschen zu gehen (was aber schon im Ansatz bzw. online misslingt). Dass der Film nicht amüsanter und suggestiver ausgefallen ist, als es nach den ersten sehr verspielten zehn Minuten den Anschein hat, liegt leider auch an den zwar witzigen aber insgesamt klischeehaften Nebenfiguren des jungen Nerds (Lucas Hedges) und der blonden Tusse (Mélanie Thierry), die hier genannt wurden, und zu denen auch noch Qohens wuseliger Vorgesetzter (David Thewlis) gehört. Skurrile dekorative Elemente entfalten in Zero Theorem meist mehr Kraft als Seitenhiebe auf die verwöhnte, deformierte Mediengesellschaft.

Dass sich die Weltformel als unlösbare oder – was auf dasselbe hinausläuft – sinnlose Beschäftigungsmaßnahme des gottgleichen „ManCom“-Konzernchefs erweist (Matt Damon in einer schönen Gastrolle), ahnt der Zuschauer lange vor Qohen. Ist die Erzählung nur halbherzig durchdacht? Selbst wenn: auf sehr skurrile und visuell attraktive Weise ist Zero Theorem dennoch unterhaltsam. Aber gerade für diejenigen, die sich mit Gilliams Werk auskennen, wirken die Anspielungen auf Time Bandits, Brazil und 12 Monkeys wenig originell – schlichtweg weil sie nicht so originell sind wie die Ideen aus den früheren Filmen. Immerhin hat Gilliam sein neues Werk mithilfe verschiedener Koproduzenten – darunter auch Hauptdarsteller Waltz – überhaupt stemmen können. Aus Kostengründen musste in den Filmstudios in Bukarest gedreht werden, was einmal mehr verdeutlicht, wie schwer es Terry Gilliam inzwischen hat, genügend Geld für seine Visionen zusammen zu bekommen. Dass Zero Theorem deutlich gefälliger ausgefallen ist als z.B. der superskurrile Tideland (2005) und der überbordende Das Kabinett des Dr. Parnassus (2009) wird dem Python-Veteran in der Zukunft vermutlich nicht sehr viel helfen.



Mélanie Thierry in The Zero Theorem | © Concorde Filmverleih


Max-Peter Heyne – 30. November 2014
ID 8282
Weitere Infos siehe auch: http://zerotheorem-film.de


Post an Max-Peter Heyne



 

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