Betörender Animationsfilm in bester japanischer Tradition - nicht nur für Kinder
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Bewertung:
Es ist für alle Freunde der japanischen Anime (Animationsfilme) eine traurige Nachricht: Eine der renommiertesten Tokioer Produktionsfirmen für Zeichentrickfilme, die Ghibli-Studios, beenden nach über 30 Jahren ihre Tätigkeit. Aus den berühmten Ghibli-Studios für Animation stammt unter anderem auch die für den deutschsprachigen Raum produzierte Zeichentrickserie Heidi, mit denen 1983-84 in der Bundesrepublik eine Generation von jungen TV-Guckern aufgewachsen ist. Die im flächigen, aber konturstarken Zeichenstil gestaltete Serie war wiederum stilbildend für andere Kinderprogramme, die in Japan für Euro-Sender produziert wurden, etwa Wickie – der Wikinger und Die Biene Maja.
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Der mutmaßlich vorletzte Film aus den Ghibli-Studios, Die Legende der Prinzessin Kaguya, ist mit beinahe drei Stunden Laufzeit und anspruchsvoller Symbolik noch einmal eine betörende Fabel, deren melancholischer Grundton nostalgische Gefühle aufkommen lässt. Die viele existentielle Themen und weite Zeiträume umfassende, epische Erzählung ist nicht aufwändig gezeichnet und mit raffinierten Tricktechniken versehen wie die großen, stärker tiefenperspektivisch gestalteten Ghibli-Kinofilme von Hayao Miyazaki, Prinzessin Mononoke (1997) oder Chihiros Reise ins Zauberland (Goldener Bär der BERLINALE 2002, Oscar Bester Animationsfilm 2003). Miyazakis Kollege, Regisseur und Drehbuchautor Isao Takahata orientiert sich mit Zeichenkohle und Wasserfarben an alten japanischen Zeichentraditionen und knüpft mit seinem minimalistisch-skizzenhaften Stil an die frühe Blütezeit der Ghibli-Anime an, als mit Serien wie Heidi ein sehr junges Publikum bedient wurde.
Die Geschichte basiert auf einem japanischen Volksmärchen aus dem zehnten Jahrhundert: Mitten im Wald findet ein alter Bambussammler in einem Blütenkelch ein winziges Baby, das sich vor seinen Augen in eine Art Däumeline verwandelt. Kaum hat er das winzige Blütenkind behutsam nach Haus zu seiner Frau gebracht, wächst die Elfe in Windesseile zu einem Mädchen und einer jungen Frau heran. Zeit für Spielen in der Natur und die erste Jugendliebe zu einem Bauernsohn bleibt Takenoko („Bambussprössling“) da kaum. Denn die kinderlosen Pflegeeltern sind sich sicher, mit dem Mädchen ein himmlisches Geschenk erhalten zu haben, für das nur die beste Schulausbildung gut genug ist. Vor allem, als der Bambussammler noch Goldstücke in einem Gehölz findet, ist die Erziehung Takenokos zu einer Prinzessin beschlossene Sache.
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Die Legende der Prinzessin Kaguya | (C) Universum Film
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Die Legende der Prinzessin Kaguya | (C) Universum Film
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Die Legende der Prinzessin Kaguya | (C) Universum Film
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Für die fröhliche, lebenslustige Takenoko bedeutet das, ihre Gefühle und ihre Spontaneität zu unterdrücken, strenge Benimmregeln zu befolgen und für eine äußerliche Fassade leidvollen Schönheitsprozeduren zu unterziehen – vornehme Blässe inklusive. Unweigerlich drängen sich dem Zuschauer die steifen, wächsernen Gesichter der Herrscherfamilie am japanischen Chrysanthemen-Hof auf, wenn gezeigt wird, wie Takenoko sich in Prinzessin Kaguya verwandeln lässt und dabei immer unglücklicher und verzweifelter wird. Ghibli-Regisseur Isao Takahata hat dem Märchen sicherlich mit Absicht eine sehr irdische Dimension hinzugefügt, um solche Parallelen zu evozieren. Vor allem regt Takahata mit seinem Ko-Autor Riko Sakaguchi dazu an, sich den besonderen Wert der unbekümmerten, noch für alle möglichen Eindrücke offenen Kindheit bewusst zu machen, die allzu schnell von den geistigen und personellen Hierarchien der Erwachsenenwelt geprägt wird, bis alle Fantasie zu verkümmern droht.
Die Legende der Prinzessin Kaguya besticht nicht nur durch seine feine Animation, sondern auch seine feinsinnige Symbolik und die humorvollen Seitenhiebe gegen Obrigkeitshörigkeit im Allgemeinen und innerhalb der japanischen Gesellschaftsordnung im Besonderen. Wer sich auf den langsamen Rhythmus des Films einlässt, erlebt eine hypnotisierende Zeitreise in eine exotische Fantasiewelt, in der man ausnahmsweise einmal nicht von digital aufgepeppten Gut-gegen-Böse-Schlachten zugedröhnt wird. Ganz am Schluss verpasst Takahata der Story dann doch noch eine große Prise Mythologie, die europäische Zuschauer, die keine genauen Kenntnisse über die schintoistische Variante der buddhistischen Lehre von der Reinkarnation der Seele besitzen, kaum werden erschließen können.
Dies aber ist ein marginales Problem, das eigentliche Dilemma ergibt sich in Bezug auf die Zielgruppe (FSK - ohne Altersbeschränkung): Isao Takahatas erster Ghibli-Film seit 14 Jahren, für den der 79-jährige Altmeister acht Jahre Produktionszeit benötigte, ist für Kinder thematisch zu komplex und auch zu melancholisch geraten. Erwachsenen wiederum wird angesichts der oft anspruchsvollen und anspielungsreichen Story der Erzählton zu naiv und kindlich erscheinen. Eine interessante Entdeckung ist es allemal für jede Altersgruppe.
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Max-Peter Heyne - 22. November 2014 ID 8268
Weitere Infos siehe auch: http://www.studioghibli-festival.de/
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